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Ausgabe:

1896 Nr. 21

Spalte:

546-547

Autor/Hrsg.:

Hauler, Edmund

Titel/Untertitel:

Eine lateinische Palimpsestübersetzung der Didascalia 1896

Rezensent:

Achelis, Hans

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Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 21.

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letztere nicht der eigentlich mafsgebende. Es kommt
dem Verfaffer darauf an, zu zeigen, wie ,angefichts der
Göttlichkeit Jefu dennoch an belYimmten Punkten in
feinem Leben' fich Irrthümer einhellen konnten (S. 4).
Diefes metaphyfifche, dogmatifche Intereffe ih fo fehr
das übergreifende, dafs die gröfsere Hälfte der Abhandlung
fich mit den Einwänden auseinanderfetzt, die man
von" der kirchlichen Chrihologie und Soteriologie aus
gegen das Irren Jefu erheben könnte. Von diefem Standpunkte
aus wird an der Zweinaturenlehre, an der Anfelm'-
fchen Verföhnungslehre, an der neueren Kenofe u. f. w.
Kritik geübt, in der überall bemerklichen Abficht, die
Göttlichkeit Chrihi fo abzugrenzen und ficherzuhellen,
dafs ihr etwaige Irrthümer nichts anhaben können. Ein
Prüfhein negativer und darum rein äufserlicher Art,
deffen Unangemeffenheit nur um fo deutlicher wird, wenn
der Verfaffer zu dem ganz richtigen Refultat gelangt,
dafs die Irrthümer Jefu für den Glauben ganz unwefent-
lich feien, weil feine Heilsmittlerfchaft und feine göttliche
Offenbarung auf einer ganz anderen Grundlage
ruhen (S. 76 f.). Der weltliche Charakter des von S.
angewendeten Mafsftabes tritt vielleicht noch fchärfer
tu Tage darin, dafs er es für die allein unanfechtbare
Methode hält, ,aus den Thatfachen der Irrthümer Jefu
feine volle Menfchheit zu erfchliefsen' (S. 5). Wie weit
liegt das ab von dem Intereffe, das das N. T., ein Paulus
oder überhaupt der religiöfe Menfch an der Menfchheit
Chrihi nimmt!

Die Frageheilung des Verfaffers läfst eine hinreichende
innere Wahlverwandtfchaft mit dem Gegen-
ftande vermiffen. In dem Mafse, als dies der Fall ih,
mufs auch die hihorifche Orientirung der Arbeit als eine
mangelhafte bezeichnet werden. Eine hihorifche Perfön-
lichkeit wird nur dann richtig erfafst und gewerthet,
wenn das Urtheil fich auf das bewufste, abfichtsvolle
Wirken Derfelben gründet. Hier giebt der Verfaffer
über das Erkennntnifsvermögen Jefu ein Urtheil ab auf
Grund einiger fehlerhaften Andeutungen desfelben über
das Jonasbuch und die Abfaffung des Pf. 110. Aber
damit reproducirt jajefus nur die Meinungen feiner Zeit-
genoffen und dazu ih fein bewufstes Denken fo wenig
auf die eigentlich unrichtigen Punkte gerichtet, dafs diefe
nur als gelegentliche Mittel zu einem ganz anderen
Zwecke dienen. Wie follen wir auf diefem Wege über
fein innerftes Perfonenleben Auffchlufs erhalten? Nicht
einmal über fein Erkenntnifsvermögen werden wir aufgeklärt
, wenighens nicht in dem Sinne, dafs wir erführen
, was dasfelbe unterfcheidet von demjenigen feiner
Zeitgenoffen. Denn unter Irrthum verheben wir eigentlich
doch nur das, was ein Individuum oder eine Gruppe
fich im Unterfchied von der ganzen übrigen Umgebung
zu Schulden kommen läfst. Ueber meine Irrthümer,
wenn fie folche fein follen, mufs mich irgend Jemand
aufklären können. Wo waren zur Zeit Jefu Diejenigen,
die ihn über die fraglichen Punkte eines Befferen hätten
belehren können? Traditionelle Anfchauungen, welche
die Gefchlechter auf einander vererben, nennen wir
nicht ohne weiteres Irrthümer, fonh müfsten zuletzt
fämmtliche Ideen der früheren Jahrhunderte, die ganze
geiftige Gefchichte der Menfchheit unter diefen rein
negativen Begriff des Irrthums gehellt werden, infofern,
wie der Verfaffer es felbft ausfpricht (S. 95) die geihige
Entwickelung durch den Irrthum bedingt ih. Das wäre
aber eine abhracte, unfruchtbare Betrachtungsweife.
Eine hihorifch behimmte Pfychologie kennt höhere Aufgaben
, als zu unterfuchen, in wie weit gewiffe gefchicht-
liche Formen und Formeln dem logifchen Schema von
Wahr oder Nichtwahr entfprechen.

Nicht als ob es dem Hihoriker benommen werden
follte, die Frage der Irrthumsfähigkeit Jefu zu erörtern
, aber es mufs am richtigen Orte gefchehen, in
dem richtigen Rahmen, in der richtigen Abhufung zu
den grofsen mafsgebenden Gefichtspunkten. Wer hingegen
diefen Punkt fo ifolirt wie S., wer ihn fogar zur
Einführung in ein zufammenfaffendes Werk über J. Ch. für
geeignet hält, der läuft die ftärkhe Gefahr, diefe Perfön-
lichkeit von vorn herein in ein fchiefes Licht zu hellen.
Wenn der Verfaffer meint, dafs die von ihm behandelte
Frage gerade für die heutige Theologie eine brennende
geworden fei, — fo doch nur für diejenige Theologie,
welche noch im Bann der katholifchen Chrihologie heht.
Für die hrenge hihorifche Forfchung ih die Annahme,
dafs Jefus über den Kanon des A. T. nicht anders gedacht
hat als feine Umgebung, fo felbhverhändlich als
die andere Thatsache, dafs er diefelbe Sprache gefprochen
hat, und ebenfo gekleidet war wie fie. Sit venia dicto!

Mit Abficht haben wir unferen Diffens mit dem Verfaffer
etwas fchärfer zum Ausdruck gebracht als in unterer
Recenfion feines früheren Werkes, weil noch weitere
Veröffentlichungen Desfelben bevorhehen und wir
deffen überzeugt find, dafs bei Befolgung einer anderen
Methode feine Leihungen vermöge ihrer formellen Vorzüge
, der Klarheit und Frifche der Darheilung, für die
urchrihlichen Probleme in viel höherem Mafse ergiebig
fein würden.

Giefsen. Baldenfperger.

Hauler, Edmund, Eine lateinische Palimpsestübersetzung der
Didascalia apostolorum (Sitzungsberichte der Kaif. Akademie
der Wiffenfchaften in Wien. Philofophifch-hiho-
rifcheClaffe.BandCXXXIV. Wien 1896). 54 S. 8. M. 1,30.

Seit vorigem Winter hörte man, dafs Herr Privat-
docent (jetzt a. o. Profeffor) Dr. Edmund Hauler aus Wien
in einem Veronefer Palimpfeh dielateinifcheUeberfetzung
der fyrifchen Didaskalia gefunden habe, jener pfeudo-
apoholifchen Kirchenordnung, die, im dritten Jahrhundert
in Paläffina oder Syrien verfafst, nur durch eine Parifer
Handfchrift in fyrifcher Ueberfetzung erhalten ih. Wäre
die Nachricht nicht von behunterrichteter Seite ausgegangen
, fo hätte man verfucht fein können, fie zu bezweifeln
. Die fyrifche Didaskalia war, wie man bis dahin
annahm, nur in ihrer engeren Heimath bekannt gewefen;
ferner giebt es mancherlei Didascaliae apostolorum, und
Verwechslungen unter ihnen liegen fehr nahe; war es
wahrfcheinlich, dafs gerade das ältehe und wenigh verbreitete
Stück der Didaskalien-Literatur ins Abendland
gekommen war? Aber Hauler giebt in der vorliegenden
Abhandlung genaue Rechenfchaft über die Handfchrift,
und fo darf man ihm zu einem bedeutenden Funde gra-
tuliren, der fich der lateinifchen Ueberfetzung der Di-
dache und der des erften Clemensbriefes zur Seite hellt.

Die Pergamenthandfchrift LV (53) der Capitular-
bibliothek in Verona enthält auf 99 Blättern von einer
langobardifchen Hand des achten Jahrhunderts die Sentenzen
des Ifidor von Sevilla. Ein Theil der Blätter, 33
und 34, 60—98, ih palimpfeh. Die Zeit der unteren Schrift
läfst fich genau fehhellen, da auf Blatt 88 ein Confular-
verzeichnis von 439 bis 486 heht, das von anderer Hand
i bis 494 ergänzt wurde; fie ih alfo 486 gefchrieben (vgl.

Mommfen im Hermes VII 474—481), vielleicht die ältehe
1 Handfchrift ihrer Art, und damit für die Paläographie
[ eine der wichtighen lateinifchen Handfchriften überhaupt.
Zangemeiher und Wattenbach haben auf Tafel 29 und 30
ihrer Exempla codicum latinorum beide Seiten der Fahen-
tafel reproducirt. Die übrigen 80 Seiten des Palimp-
fehes behandeln, wie Reifferfcheid fich ausdrückte {Biblio-
theca palrum latinorum italica I 99), ein ecclefiahifch.es
Thema. Mommfen hat Veranlaffung gegeben, ihren Inhalt
genauer zu behimmen, und Hauler hat mit Hülfe
von Franz Xaver von Funk fehgehellt, dafs fie die Didaskalia
enthalten, zwar nicht vollhändig, aber doch über
die Hälfte des Ganzen.

Bekanntlich ih die fyrifche Didaskalia in die erhen
fechs Bücher der Apoholifchen Konhitutionen eingear-