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Ausgabe:

1895 Nr. 22

Spalte:

571-572

Autor/Hrsg.:

Hollweck, Jos.

Titel/Untertitel:

Der apostolische Stuhl und Rom. Eine Untersuchung über die rechtliche Natur der Verbindung des Primates mit der Sedes Romana 1895

Rezensent:

Köhler, Karl

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Seite 1

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57i Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 22. 572

fondern in feinen Objecten, befonders in einem, der
Lehre von den letzten Dingen. Gleich darauf nennt
Verf. natürlich Hoffnung und Furcht als die ftärkften
Triebfedern im fittlichen Leben des Muhammedaners.
Sie machen doch wohl das ,Wefen' des muslimifchen
Glaubens, fofern er fittlich triebkräftig ift, aus, das jenem
Objecte entfprechende Wefen, wie Hingabe das Wefen
des chriftlichen Glaubens ift, das feinem Objecte, Chriftus,
entfpricht.

Leipzig. K. Thieme.

Hollweck, Lyc.-Prof. Dr. Jof., Der apostolische Stuhl und

Rom. Eine Unterfuchung über die rechtliche Natur der
Verbindung des Primates mit der Sedes Romana.
Mainz, Kirchheim, 1895. (VII, 191 S. gr. 8.) M. 2.60

Die verliegende Schrift befchäftigt fich mit einer
Frage, welche nur für den Katholiken verhanden ift
und nur auf der Grundlage katholifcher Ideen beantwortet
werden kann. Dafs Petrus und feine Nachfolger
von Chriftus mit dem Primate der Jurisdiction
über die gefammte Kirche betraut feien, fteht dogmatifch
feft; die Frage, ob die Worte Jefu zu Simon Petrus als
dem Felfen, auf den er feine Gemeinde bauen wolle, etwas
von einer Herrfchermacht im Sinne des Papftthums enthalten
, oder ob von einer amtlichen Nachfolge darin die
Rede fein könne, diefe Frage, an welcher die Verfuche,
für die Papftgewalt die Grundlage in einem Gebote des
Herrn nachzuweifen, immer fcheitern werden, kann nicht
in Betracht kommen, wo die Tradition redet. Auch
darüber befteht für das katholifche Bewufstfein kein
Zweifel, dafs der jeweilige Nachfolger des Petrus in dem
Bifchof von Rom zu finden fei, die Sedes Apostolica daher
mit der Sedes Romana zufammenfalle. Ob dagegen j
die Verbindung des päpftlichen Stuhles mit Rom kraft
göttlichen Rechts beftehe, d. h. eine unabänderliche, heils-
nothwendige Inftitution fei, ift eine Frage, über welche
das kirchliche Lehramt noch nicht entfchieden hat. Sie
kann noch ohne Ketzerei bezweifelt werden. Es ift keine
blofse Doctorfrage. Wird fie verneint, fo ergiebt fich, dafs
unter Umftänden das Papftthum, feines Wefens unbe-
fchadet, von dem Sitze in Rom getrennt und mit einem
anderen bifchöflichen Sitze (etwa Liffabon, Barcellona,
Baltimore meint der Verf.) verbunden werden könnte.
Die Tragweite des Umfchwungs wäre nicht zu ermeffen,
aber wer kann wiffen, was die Zukunft bringen wird?
Der Verf. befpricht die Frage nach der Einleitung in zwei
Abfchnitten: bisherige Erörterung der Frage und: Verfuche
einer Löfung der Frage. Der erftere giebt in kurzen
Zügen einen inhaltreichen und lefenswerthen Ueberblick
der betreffenden Anfchauungen in ihrer gefchichtlichen
Entwickelung. Im Allgemeinen ift die Stimmung in der
Kirche feit Anbeginn vorherrfchend für die Untrennbar-
keit des päpftlichen Stuhles von Rom gewefen. Nur
vereinzelte Stimmen haben fich zu Zeiten für die Möglichkeit
einer Trennung ausgefprochen; es find durchgängig
folche, deren Stellung zum Primate nicht vorwurfsfrei
ift, wie die Vertreter des griechifchen Schismas und
der ,Neuerer' des 16. Jahrhunderts mit ihren Vorgängern,
dann die fchlechten Katholiken der fpäteren Zeit, Galli-
caner, Janfeniften, Febronianer. Ganz verfehlt ift hier
das Urtheil über die Stellung Luther's zu Marfilius von
Padua. Luther's Kirchenbegriff hat mit dem Dcfensor
pacis gar nichts zu fchaffen. Auch was über Calvin getagt
wird, beruht auf irriger Auffaffung. Die Löfung der
Frage, welche der Verf. im letzten Abfchnitt (S. 112—190)
verfucht, wird felbftverftändlich von ftreng katholifchen
Vorausfetzungen aus unternommen. Es ift anzuerkennen,
dafs der gewählte Standpunkt correct und ficher feft-
gehalten und mit Scharffinn durchgeführt wird. Auch
wiffenschaftliche Unbefangenheit, fo weit davon bei diefer
Stellung die Rede fein kann, ift dem Verf. nicht abzu-

fprechen. Er trägt kein Bedenken, die pfeudo-ifidorifche
Fälfchung, wenn auch in etwas zurückhaltender Weife,
als folche anzuerkennen. Ueber das zur Entfcheidung
ftehende Problem fpricht er fich richtig dahin aus: ,Wer
unabänderliches Recht für jene Verbindung (des päpftlichen
Primates mit der Sedes Romano) behaupten will,
mufs annehmen, dafs diefelbe entweder auf den Befehl
des Herrn (voluntate antecedente) entftanden oder, nachdem
fie entftanden war, feine ausdrückliche Sanction
{voluntate consequente) erhalten hat'. Der Verf. gefteht zu,
dafs beides weder aus der Schrift noch aus der Tradition
zu erweifen ift (S. 121). Man ift daher, fährt er fort, auf
den indirecten Weg der Beweisführung gewiefen, d. h.
auf den Beweis, dafs die Kirche die Verbindung für eine
untrennbare hält. ,Wegen des nothwendigen urfäch-
lichen Zufammenhangs zwifchen Untrennbarkeit und einer
göttlichen Anordnung refp. ausdrücklichen Beftätigung
ift mit dem Einem das Andere von felbft gegeben'. Ein
lehramtlicher Ausfpruch der Kirche in diefem Sinne liegt
nicht vor, auch nicht in der Bulle Unam Sanctam und dem
Vaticanum von 1870, da diefe gleichwie die Concilien
von Lyon (1270) und Florenz, auf welche man fich beruft,
überall nur die Thatfache der Nachfolge des römifchen
Pontifex im Primat conftatiren, nicht aber das Recht feft-
ftellen (S. 129). Gleichwohl hält der Vf. das jus divinum
der Verbindung des Primates mit Rom und daher die
Untrennbarkeit derfelben feft. Alle legitimen Träger der
Tradition ftimmen darin überein, indem ,1. die Väter fie
als eine untrennbare anfehen, 2. die Päpfte diefe An-
fchauung theilen, 3. die Concilien in ihren Entfchei-
dungen fich fo ausfprechen, dafs man annehmen mufs,
fie fetzen die Untrennbarkeit als felbftverftändlich voraus
, 4. die Schule diefelbe mit unwefentlichen Schwankungen
allezeit gelehrt hat, 5. das gläubige Volk davon
überzeugt ift' (S. 135). Der Verf. ift der Meinung, ,dafs
die göttlich-rechtliche Natur der Verbindung des Primates
mit Rom fonach feft ftehe', und dafs es ihm gelungen
fei, ,diefelbe über berechtigte Zweifel zu erheben', und
wendet fich zu der Frage, auf welchem Wege ift fie entftanden
? Da die gefachte Anordnung oder Beftätigung
von feiten des Herrn fehlt, fo fleht er fich, wie er zu-
gefteht, bezüglich der Art und Weife der Entftehung
jener Verbindung ,auf reine Combination angewiefen'
(S. 177). Der nun folgende Verfuch zur Durchführung
der Combination, fein und klug angelegt, wie er ift, erweift
fich als reines Product der Verlegenheit und entbehrt
jeder überzeugenden Kraft. Dafs in Zukunft die
bis jetzt vermifste Definition des jus divinum durch das
unfehlbare Lehramt erfolgen werde, ift nichts weniger als
unwahrfcheinlich. Im Zufammenhang damit wird ein
weiterer Fortfehritt der dogmatifchen Entwickelung nicht
ausbleiben. Der Verf. weift am Schluffe in ein paar kurzen
Sätzen darauf hin. ,Chriftus hat nicht blofs im Allgemeinen
die Freiheit der Kirche und ihres Oberhauptes
gewollt, fondern die volle, durch kein Hindernifs einge-
fchränkte Freiheit. Aber diefe Freiheit im Vollfinn
fchliefst die weltliche Souveränität des Papftes als notwendige
Bedingung in fich. Darum fügte es auch die
göttliche Vorfehung, dafs im Laufe der Zeit diefe
Souveränität den Päpften in Rom zufiel. Seitdem ift der
Papft König von Rom und ift es jure divincr. Die Keime
zu erfchütternden Verwickelungen und Kataftrophen
liegen hier. Es wird kommen, was kommen mufs, wo
eine Kirche fich auf ein angebliches jus divinum gründet
und fo zur reinen Rechtsanftalt wird unter Verleugnung
des Wefens der Religion.

Darmftadt. _ K. Köhler.

Notiz.

In der Revue Benddicline (1895 Nr- 9 P- 385—396) bietet Morin
in einem ,Essai d'autoeritique' zu 42 von ihm veröffentlichten Auffatzen
Bemerkungen, refp. Correcturen, Retractationen und Zufätze. Der Auf-
fatz wird daher von allen denen, die die Arbeiten Morin's benutzen, zu
berückfichtigen fein. A. H.