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Ausgabe:

1895 Nr. 22

Spalte:

561-563

Autor/Hrsg.:

Vollmer, Hans

Titel/Untertitel:

Die alttestamentlichen Citate bei Paulus, textkritisch und biblisch-theologisch gewürdigt, nebst einem Anhang über das Verhältnis des Apostels zu Philo 1895

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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j6i Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 22. 562

Antiochus Epiphanes die in 2, 44 f. und 7, 26 f. ausge-
fprochenen Hoffnungen zu erfüllen anfing und für die
Zukunft ganz zu erfüllen verfprach, und als dadurch auch
feine Schrift eine immer wachfende Aufnahme fand, da
legte ihm dies nicht blofs den Gedanken nahe, fie zu
erweitern und durch Berückfichtigung der neuen Ereig-
nifse zu vervollftändigen, fondern es veranlafste ihn auch
zu der Abficht, fie aus der Umgangsfprache in die
höhere Sphäre der heiligen Sprache der kanonifchen
Schriften des A.T. zu erheben. Zu diefem Zwecke ver-
fafste er den zweiten Theil (c. 8—12) fogleich hebräiich
und fing dann an, den erften Theil gleichfalls ins Hebrä-
ifche zu übertragen, ftand aber 2, 4 von der Durchführung
feiner Abficht ab, weil ihm hier eine paffende
Gelegenheit zum Aufhören vorzuliegen fchien, indem
wenigftens für das zunächft Folgende das aramäifche
Idiom feiner Anficht nach gerechtfertigt war. Es wäre
dies ein Vorgang ganz analog dem betreffs Efra 4, 6 f.
vorliegenden, welche der Chronift aus dem Aramäifchen
überfetzte, um vom hebräifchen zum aramäifch gefchrie-
benen Folgenden überzuleiten; ebenfo wie dies, dafs der
Verfaffer des Buches Daniel in c. 3 nicht wieder zum
Hebräifchen überging, eine Parallele darin findet, dafs
im Buch Efra das Aramäifche nicht mit den aramäifchen
Urkunden aufhört, was ja dort fogar zur Ueberfetzung eines
urfprünglich hebräifchen Stückes (c. 5,1—6,15 abgefehen
von 6, I4b und einzelnen Wendungen) ins Aramäifche
unter Hinzufügung überleitender aramäifcher Sätze von
der eigenen Hand des Chroniften (4, 24. 6, 16—18)
führte. — Ferner möchte ich noch in Kürze das Re-
fultat meiner fchon vor einiger Zeit angeftellten Unter-
fuchungen über die arabifche Ueberfetzung des B. Daniel
mittheilen. Es hat fich nämlich dabei herausgeftellt,
dafs diefe arabifche Ueberfetzung im wefentlichen den
Theodotion-Text des cod. Alexandrinus wiedergiebt, und
zwar in der Weife, dafs da, wo im cod. Alex, fich offenbare
Schreibfehler finden, die urfprüngliche Lefung durch
die arabifche Ueberfetzung repräfentirt wird. Diefe ift
alfo ein vortreffliches Hülfsmittel, wenn es gilt, den Typus
des cod. Alex, möglichft unverfälfcht zu eruiren. Da, wo
die arabifche Ueberfetzung nicht dem Texte des cod.
Alex, entfpricht, folgt fie zumeift dem gewöhnlichen
Theodotiontexte (wobei zunächft die Frage offen bleiben
mufs, ob in folchen Fällen der der arabifchen Ueberfetzung
zu Grunde liegende Text oder der des cod. Alex.
den reineren Typus des Theodotiontextes repräfentirt);
wenn fie dagegen von dem Wortlaute beider Texte der
Theodotionüberfetzung abweicht und damit theilweife
auch vom MT, fo ftimmt fie dann in verhältnismäfsig
vielen Fällen mit der Pefchittha überein.

Zürich. V. Ryffel.

Vollmer. Hans, Die alttestamentlichen Citate bei Paulus,

textkritifeh und biblifch-theologifch gewürdigt, nebft
einem Anhang über das Verhältnis des Apoftels zu
Philo. Freiburg i B., J. C. B. Mohr, 1895. (VIII, 103 S.
gr. 8.) M. 2. 80

Ein fchon mehrfach behandeltes Problem wird hier
auf's Neue aufgenommen und zugleich in einen umfaffen-
deren Zufammenhang gebracht. Nur der erfte Theil behandelt
die eigentliche ,Textfrage' und kommt zu dem
Refultate, dafs die paulinifchen Citate zwar in der Regel
zweifellos auf LXX zurückgehen, nicht aber auf eine be- I
itimmte unter den auf uns gekommenen Textgeftaltungen
(S. 19). Den Jefajas citirt Paulus gewöhnlich ungefähr
in der Form von A, Citate aus anderen Büchern nähern
fich, wiewohl feltener, der Form von B. Die alttefta-
mentlichen Schriften waren eben damals noch einzeln im
Umlaufe. Um fo eher könnte man meinen, der Apoftel
werde, wo ihm gerade keine Ueberfetzung zu Gebote
fteht, auch aus dem Urtexte überfetzen oder mit ver-

fchiedenen Ueberfetzungen operiren. Die erftere Annahme
wird jedoch mit fchlagenderen Gründen zurückgewiefen
(S. 21 f.), als die zweite (S. 33 b). In der That find einzelne
Citate, namentlich zu Hiob, nicht aus LXX, fondern
werden von unferem Verfaffer auf jüngere Ueber-
fetzer zurückgeführt, in welchen er Vorgänger von Aquila,
Symmachus und Theodotion fleht (S. 33). Zu den gebrachten
Beweisftellen hat indeffen Kloftermann (Deutfche
Litteraturzeitung S.424f.) einige Ausstellungen zu machen,
die zwar das vorliegende Problem nicht verändern,
aber im Einzelnen diefelbe Zurückhaltung gebieten,
welche auch einer weiteren Hypothefe des Verfaffers
gegenüber angebracht fein wird. Derfelbe nimmt nämlich
im Anfchluffe an Hatch an, es habe jüdifche Sammlungen
altteftamentlicher Belegstellen {ilicta probanlia)
gegeben, woraus die bei Paulus zuweilen begegnenden
Verfchmelzungen und Verkettungen von Citaten fich erklären
follen. ,Uebrigens hat man fich die Verwendung
einer folchen Sammlung durch den Apoftel keineswegs
als durchgängig vorzustellen: weitaus in den meisten
Fällen wird er jedenfalls auf die LXX zurückgehen, und
in einer ganzen Reihe von Stellen, wo Paulus von der
alexandrinifchen Version abweicht, wird man nur unabsichtliche
, zum Theil auch wohl beabsichtigte Aender-
ungen diefes Textes zu fehen haben' (S. 43). Ganz einverstanden
kann man jedenfalls mit der Herleitung von
I Cor. 2, 9 aus Jef. 64, 3 und 65, 16 fein (S. 44 b), wenn
auch keine zwingenden Gründe vorhanden find, eine
folche Combination fchon einer jüdifchen Anthologie
zuzufchreiben (S. 48).

Der zweite Theil gilt der ,Verwendung der Citate'
im Intereffe der paulinifchen Theologie. Was hier gefagt
wird, ift in der Hauptfache unanfechtbar. Paulus erweift
fich in der völlig unhiftorifchen. jedweden Zufammenhang
vernachläffigenden, dafür auf typologifche und allego-
rifche Anwendung zugefpitzten Auslegungsmethode durchweg
als ein Kind feiner Zeit. Dafs er fich zuweilen mit
feinem älteren Zeitgenoffen Philo berührt, ift fchon längft
bemerkt worden. In weiterer Verfolgung folcher Beobachtungen
(S. 66 b) findet unfer Verfaffer im Anhange
(S. 80 f.) es fogar wahrfcheinlich, dafs dem Apoftel einzelne
philonifche Schriften zu Gefichte gekommen find.
Bezüglich des Tractates de confusione linguarum wenigftens
erreicht diefe Annahme eine beachtenswerthe Wahr-
fcheinlichkeit. Das alexandrinifche Buch der Weisheit
kennt Paulus auf jeden Fall, und die Unterlage feiner
Theologie ift auf keinen Fall von rein paläftinifcher Art
gewefen. Andererfeits hat der in Jerufalem Gebildete
die abfolute Infpirationstheorie des Alexandriners, fo fehr
er dazu neigt, doch nicht vollständig erreicht. Den Nachweis
hiefür bringt der dritte Theil, welcher ebenfo für
die biblifche Theologie von Belang ift, wie der zweite
für die biblifche Hermeneutik, der erfte für die biblifche
Textgefchichte.

Unter der Ueberfchrift ,üarlegung der Gefammt-
anfehauung des Paulus vom Alten Testament' werden
zuerst die Anfätze zur abfoluten Infpirationstheorie nach-
gewiefen, hierauf gezeigt, wie die Antinomie, dafs der
Apoftel fortwährend aus demfelben Gefetze als oberster
Autorität argumentirt, deffen Ungültigkeit für den Christen
er doch behauptet und durchfetzt, fich löfe im Hinblick
auf feine Unterfcheidung eines buchstäblichen und eines
pneumatifchen Schriftverftändnifses. Jenes ift Sache der
jüdifchen Gegnerfchaft, diefes Sache des Apoftels in
feiner Eigenfchaft als Geiftesträger, vgl. I Cor. 2,14. .Israel
hat feine heiligen Schriften nicht zu verstehen vermocht,
da es fich, feinem pfychifchen Wefen entfprechend. nur
an die finnliche Erfcheinung des Buchstabens hielt' (S. 74).
Unter folchen hermeneutifchen Vorausfetzungen versteht
es fich, wie das Alte Testament, trotzdem dafs es feinem
buchstäblichen, jüdifchen Verftändnifse nach eine dahinter
liegende Religionsftufe vertritt, doch ewige Bedeutung
beanfpruchen kann in feiner dreifachen Eigenfchaft als