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Ausgabe:

1895 Nr. 14

Spalte:

357-360

Autor/Hrsg.:

Behrmann, Geo.

Titel/Untertitel:

Das Buch Daniel, übersetzt und erklärt 1895

Rezensent:

Kamphausen, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 14.

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Freilich kann fich Ref. nicht in allen Einzelheiten
mit dem Verfaffer einverftanden erklären. Hätte der
Verfaffer mit der gefchichtlichen Betrachtung, auf deren
Boden er fich principiell geftellt hat, durchgehends Ernft
gemacht, fo hätte er den Dek. Ex 20 nicht für mofaifch
erklären dürfen, und er hätte fich dann von der gefchichtlichen
Bedeutung des Mofes wohl ein etwas anderes Bild
gemacht (vgl. Smend, altteft. Rel.-Gefch. S. 31 ff. 47).
Dann würde aber auch feine Beurtheilung der priefterl.
Thorah der vorproph. Zeit und die Würdigung der pro-
phetifchen Thätigkeit, die er lediglich als eine reforma-
torifche auffafst, etwas anders ausgefallen fein. Im Einzelnen
will ich noch Folgendes erwähnen: der Dekal.
Ex 34 darf nicht als ein Auszug aus dem Bundesb. Ex
2CVj—23,5 bezeichnet werden (S. 27. Anm. 1). Es darf
ferner nicht gefagt werden, dafs mit der Zufammen-
arbeitung von JEDP zugleich der definitive Abfchlufs
des erften Theils des altteft. Kanons gegeben fei (S. 109).
Zwar hatte diefes Werk fofort eine einzigartige autoritative
Geltung, aber das hinderte nicht, dafs man noch
mancherlei Zufätze hinzufügte, vgl. Com. Einl.2 S. 86.
Doch genug der Ausftellungen. Es ift jedenfalls erfreulich
, dafs die von der hift.-krit. Erforfchung des A.T.'s
feftgeftellten Thatfachen immer mehr Beachtung finden,
und dafs man von Tage zu Tage mehr erkennt, dafs
die Ergebnifse diefer Forfchung mit der rel. Betrachtung
der altteft. Gefchichte nicht in Widerltreit liegen. Das
vorliegende Buch kann Jedem, der fich fchnell über die
Gefcliichte der altteft. Thorah unterrichten will, empfohlen
werden.

Jena. B. Baentfch.

Behrmann, Senior Hauptpaft. Geo., Das Buch Daniel,
übersetzt und erklärt. [Handkommentar zum Alten
Teftament, hrsg. von W. Nowack. III. Abth. Die
prophet. Bücher, 3. Bd., 2. Thl.] Göttingen, Vanden-
hoeck & Ruprecht, 1894. (LI, 84 S. gr. 8.) M. 2. 80

Die Arbeit des Hamburger Seniors und Hauptpaftors
B. bildet einen Theil des von Nowack herausgegebenen
Handkommentars zum Alten Teftament und vorausficht-
lich keinen der unrühmlichften Theile des noch nicht
vollendeten Gefammtwerkes, das fich um die Förderung
der Wiffenfchaft bereits grofse Verdienfte erworben hat.
Schon wegen diefer tüchtigen Leiftung hätte B. das ihm
kürzlich von der Univerfität Kiel verliehene Ehrengefchenk
eines Doctors der Theologie reichlich verdient. Er zeigt
in fprachlicher Hinficht eine gründliche und umfaffende
Gelehrfamkeit und bewährt zugleich eine nicht gewöhnliche
exegetifche Gefchicklichkeit und eine gewiffenhafte
Selbftändigkeit. Da in Zukunft niemand, ohne fich felbft
zu fchädmen, diefen Commentar zum Buche Daniel unbenutzt
laffen darf, fo ift's wohl weniger nützlich, dafs
ich meine Empfehlung desfelben durch weitere Ausführungen
zu ftützen fuche, als dafs ich auf einige Mängel
hinweife, deren Schwinden dem Buche m. E. eine noch
gröfsere Brauchbarkeit geben könnte.

Ich will mich nicht mit Aeufserlichkeiten aufhalten,
für welche B. zum Theil nicht einmal verantwortlich ift,
z. B. der übergrofsen Zeilenlänge der kleingedruckten
Anmerkungen, worin die Anfänge neuer Verfe nicht
deutlich genug hervortreten. Bequem finde ich's auch
nicht, wenn z. B. auf S. XVI die Einleitung dreierlei ver-
fchiedene arabifche Ziffern zur Anwendung kommen,
als würden dadurch die Anfänge der einzelnen Abtheilungen
leicht kenntlich gemacht. Trotz forgfältiger Cor-
rectur find allerlei Druckfehler flehen geblieben, z. B.

S. 28 yb ftatt xb, S. 31 mm, mn ftatt mm. mn, S. 71

CWi ftatt n^B. Zu den Aeufserlichkeiten läfst fich wohl
noch die Ueberfchätzung der Ausgabe des mafor. Danieltextes
von Seligm. Bär rechnen. Weil nämlich durch 1
diefe erft im J. 1882 ein zuverläffiger MT gewonnen fei, |

fo meint B. (S. IL), dafs ,in fprachlicher Hinficht jeder
Commentar, der älter ift als das letzte Jahrzehnt, als
antiquirt anzufehen ift'. Ich denke, die im Herbft 1894
zu London auf Koften der Bibelgefellfchaft erfchienene
fchöne mafor. Ausgabe des A.T.'s von Ginsburg wird
nicht nur zeigen, dafs Bär oft genug Unrecht hat, fondern
auch darthun, dafs diefe geringfügigen Abweichungen
vom fogen. Textus reeeptus für den Sinn faft immer
gleichgültig find. Mir wenigftens fcheint die erfchöpfende
Vorführung des grammatifchen Materials, die Kautzfeh
mit faft immer richtigem Urtheil für das Biblifch-Ara-
mäifche ausgeführt hat, an Werth für die Auslegung des
Danielbuchs die kritifchen Ausgaben von Bär und Ginsburg
zu übertreffen. Nun hat zwar B. die Grammatik von
Kautzfeh fleifsig benutzt, zuweilen auch verbeffert (vgl.
z.B. Dan. 2, 39; 7, 18. 19); aber eine ftärkere Benutzung
älterer Commentare, z. B. der Erklärung Ewald's zu
Cap. 2, 1 und 7, 22, hätte vielleicht zu einer befferen
Geftaltung des Grundtextes geführt.

Die beiden Hauptmängel, die ich an B.'s Buch wahrzunehmen
glaube, beftehen in der fcheinbar merkwürdigen,
aber doch nicht ganz feltenen Verbindung allzu grofser
Gebundenheit in Sachen der gefchichtlichen Wirklichkeit
und allzu grofser Ungebundenheit in textkritifcher Beziehung
. Nach meiner Ueberzeugung gehört der vom
Verf. des Buches Daniel gefchriebene Confonantentext zu
den am beften erhaltenen Texten des ganzen Alten
Teftaments. Aber B. unterfchätzt ihn fehr, während der
von ihm felber (S. XXXI) ,nur gering' genannte text-
kritifche Werth der LXX noch immer überfchätzt wird.
Um fo lieber hebe ich hervor, dafs B. (S. XXXVI) den
entfeheidenden Grund für die frühe Verdrängung der
LXX aus dem kirchlichen Gebrauch durch Theodotion
ganz treffend in der gedankenlofen Erfetzung von QiyaB
durch die Ausfprache D^BB findet, die fich der kirchlichen
Deutung der Jahrwochen auf die Zeit Chrifti in den Weg
Hellte. Nur feiten nimmt B. den MT da in Schutz, wo
ich mit anderen Auslegern einen Schreibfehler vermuthen
mufs, z. B. Cap. 4, 14 trOTTS1 ftatt miTby (2, 30), als
bezeichnete der eine Ausdruck den Zweck, der andere
den Erfolg. Sehr zahlreich find dagegen die Stellen,
an denen B. mir ohne alle Noth den MT zu ändern
fcheint. Ich befchränke mich hier auf einige Beifpiele
eigenthümlicher Art, die darum fo intereffant ift, weil
es fich um eine, von B. entdeckte Claffe angeblicher
Textverderbnifse handelt, um Einfchiebfel oder Gloffen,
die fchon vor der um 100 v. Chr. verfafsten LXX ent-
ftanden fein follen, vgl. S. XXVIII.

Erwartet man auf rein conjecturalem Gebiet billig
eine befondere Vorficht des Kritikers, ehe er zur Aender-
ung des überlieferten bibl. Grundtextes fchreitet, fo mag
der Lefer entfeheiden, ob B., der die 62 Jahre von Cap.
6, 1 fehr wunderbar aus LXX herzuleiten weifs, die genannte
Forderung in Cap. 7, 5 erfüllt. Hier überfetzt B.:
,Und fiehe, ein anderes Thier [ein zweites] glich einem
Bären, [und auf eine Seite wurde es geftellt]', entdeckt
alfo in diefem Verfe nicht weniger als zwei Gloffen.
Was die erftere betrifft, fo ift das Wort WW ^ewifs
nicht durchaus unentbehrlich; feine Tilgung aber3kann
ich nicht einmal für eine Verfchönerung des Textes
halten, weil in der Aufzählung durch diefen Zufatz das
erfte i-inx fich zweckmäfsig von dem in V. 6 folgenden
"nn» unterfcheidet. Noch viel weniger jedoch empfiehlt
fich die Tilgung von riüpn tn~ltJÖbl, da diefe Worte
nicht bedeuten, dafs das Thier beifeite geftellt wurde,
fowenig als nb^üS (V. 4) heifsen kann, dafs eines mit
Leichtigkeit weggefchafft ward. Nur in Folge irriger
Auslegung hat B. das eine für eine Gloffe zum andern
gehalten, wie auch Gunkel (Schöpfung und Chaos. Göttingen
1895, S. 327, Anm. 2) irrig in "iTJ"na eine Corruptel
vermuthet. Gerade dies unmifsverftändliche iirntt giebt
uns den fichern Wegweifer durch die folgenden,' mit
Abficht orakelhaft dunkeln Ausdrücke. Wie das Löwen-

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