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Ausgabe:

1895 Nr. 9

Spalte:

243-244

Autor/Hrsg.:

Schauenburg, L.

Titel/Untertitel:

100 Jahre oldenburgischer Landeskirche von Hamelmann bis auf Cadovius (1573 - 1667) 1895

Rezensent:

Kawerau, Gustav

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243 Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 9. 244

Schauenburg, I'aft. L., 100 Jahre oldenburgischer Kirchengeschichte
von Hamelmann bis auf Cadovius (1573—1667). j
Ein Beitrag zur Kirchen- und Culturgefchichte des
17. Jahrhunderts. 1. Bd. Oldenburg, Stalling's Verl., '
1894. (XI, 487 S. gr. 8.) M. 9. —

Die auf dem Titel bezeichneten Jahre umfpannen
die Regierung des Grafen Johann (1573—1603) und die
ungewöhnlich lange Anton Günther's (1603—1667) von
Oldenburg, kirchlich betrachtet die Zeit der ungehinderten
Herrfchaft der luther. Orthodoxie. Oldenburg hat
den Vorzug gehabt, faft unbehelligt von der Verwüftung
des 30jährigen Krieges zu bleiben, daher zeigt auch das
kirchliche Leben hier eine weit ruhigere Continuität
als in anderen Landeskirchen. Verfaffer unternimmt es |
nun, an der Hand eines reichen archivalifchen Materials,
befonders der Vifitationsprotocolle, die Ausgeftaltung
und Befchaffenheit einer deutfchen lutherifchen Kirche i
im Zeitalter der Orthodoxie nach den verfchiedenften j
Beziehungen actenmäfsig darzuftellen. Seine Arbeit wird
damit zu einer Specialkirchengefchichte, die jeder einzelnen
Parochie des kleinen Gebietes (Oldenburg und
Delmenhorn) nachforfchen kann und daher vor Allem
localgefchichtliche Bedeutung hat. Aber gerade diefe 1
detaillirte Behandlung des Stoffes gewährt auch für höhere
kirchengefchichtliche Gefichtspunkte reiche Ausbeute: die
Stellung und Thätigkeit der Superintendenten, die Vor- 1
bildung der Palloren für ihr Amt, die Examina, die |
Vifitationen, die Stellung der Kirchgefchwornen und der 1
Vögte zur kirchlichen Verwaltung u. drgl. Themata finden
hier wenigftens für ein benimmt begrenztes Kirchengebiet
actenmäfsige Berichterftattung. Ich nenne nur einzelne
Punkte, für die hier Material geboten wird. Für
eine grofse Zahl der Paftoren ift feftgeftellt, auf welchen
Univerfitäten fie und wie lange fie ftudirt haben; die j
Studienzeit fchwankt zwifchen V2 uno- 7> Ja & Jahren.
Noch kommt es vor, dafs jemand vom Küfler zum Paflor
aufrückt. Es findet lieh eine Ordination fchon im Alter
von 21 Jahren (S. 82). Etwa 6b°/0 der Paftoren der Landeskirche
find Paftorenföhne, eine beträchtliche Zahl kommt
fodann aus dem Bauernftande, weniger liefert das höhere
und niedere Bürgerthum, aber die Küfterföhne ftreben
nach dem Pfarramt; faft völlig unbetheiligt bleibt der
deutfehe Adel. Lehrreich ift der Nachweis, dafs Orgeln
allgemeiner erft feit dem zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts
angefchafft wurden. Für die Frage nach dem
Bildungsftand der Paftoren erfchliefst uns der Verf. aus
den Vilitationsacten ein werthvolles Material: die Ver-
zeichnifse der Pfarrbibliotheken. Anfangs lauten die Vifi-
tationsfragen nur, ob die Paftoren auch eine Bibel und
Commentare dazu befäfsen und was für explicationes loco-
runt theologicorum fie neben der Bibel läfen, und auch
fonft für Bücher hätten. Später wird beftimmter gefragt,
ob fie auch die Bibel in Unguis originalibus gebrauchten.
Heterodoxe Schriften finden fich dabei faft nirgend, nur
unter den Commentaren erfcheinen auch folche von cal-
vinifchen oder auch von katholifchen Autoren. Die
deutfehe Bibel ift in jedem Pfarrhaus, ftets auch die
lateinifche; die hebräifche ift noch feiten, auch das grie-
chifcheN.T. keineswegs allgemein zu finden, doch mehren
fich diefe Bibelausgaben fichtlich feit der Mitte des
17. Jhrhs. (S. 210). Gar kein Intereffe zeigt fich für Kir-
chengefchichtt. Die Vifitationen werden aber auch von
den Superintendenten zu f. g. collaüoncs, d. h. theologi-
fchen Prüfungen der Paftoren verwendet. Man wird dem
Verf. dafür dankbar fein, dafs er einige folcher Unterredungen
zwifchen Vifitator und Vifitandus uns aus den
Acten mitgetheilt hat. Wir fehen, wie auch hier die
Controverspunkte (bef. gegen die reformirte Kirche) im
Vordergrund flehen; wir finden hiebei unter den Geift-
lichen neben Beifpielen kläglicher Ignoranz auch folche
gewandter Handhabung der fyllogiftifchen Methode in
dogmatifcher Argumentation, gelegentlich auch das Bei-

fpiel felbftändigen, dem Examinator opponirenden theo-
logifchen Unheils. Bei der Wahl der Superintendenten
legt man entfehieden Werth auf ihre theologifche Erudition
, wie denn die alte Orthodoxie letztere viel höher
gewerthet hat als es ihr modernes Nachbild thut. Inter-
effant ift ferner der Nachweis, dafs trotz des Territorial-
prineips hier die luther, Landesherren felbft an einem
wichtigen Punkte die Bekenntnifsreinheit ihres Landes
trüben: im Militär fragt man wenig nach dem Bekennt-
nifs, und ausgediente Militärs werden dann als Vögte in
den Civildienft übernommen, und fo wird ein Porten, in
dem der Staat mit feiner Sittenpolizei der Kirche dienen
will, nicht feiten im lutherifchen Lande mit Reformirten
befetzt. — Diefe Proben follen dazu dienen, auf das für
die kirchliche Culturgefchichte und für das Kirchenrecht
werthvolle Material aufmerkfam zu machen, das hier
neben vielem, nur localgefchichtlich intereffirendem Stoff
aufgefpeichert liegt. Der 2. Bd. foll Cultus, Seelforgc
und Sittenftand in der gleichen Zeit behandeln, ein dritter
die Gebiete Jeverland und Kniphaufen.

Druckfehler find nicht ganz feiten: S. 21 1. 1657 ft.
1557; S. 31 Herrlinger ft. Hertinger (derf. Name ift auch
S. 187 falfch gedruckt); S. 32 1. 1574 ft. 1474; S. 33 1.
20 ft. 30; S. 103 1. 1575 ft. 1875-, S. 198 1. Vismar ft.
Vilmar; S. 201 Socinianismus ft. Socianismus; S. 221 pon-
tificii ft. pontifici u. drgl. m. Sprachliche Eigenthümlich-
keiten: S. VI Beordnung (ft. Ordnung); S. 208 ein Pau-
vrien(?); ebd. ein bedeckter Kopf (ft. befchränkter); S.
229 oberlich. Und werden theologifche Lefer, die doch
römifches Recht nicht zu kennen brauchen, ohne Erläuterung
wiffen, was ein ager cmpliytcutiarius im Unter-
fchied vom agcrproprius (S. 42) ift? Auch der Ausdruck
,Prichel' (Empore?) S. 105, 109 u. ö. dürfte manchem Lefer
unverftändlich fein.

Breslau. G. Kawerau.

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von Cand. theol. Paul Pape.

Zehlendorf bei Berlin.

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