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Ausgabe:

1893 Nr. 6

Spalte:

159-162

Autor/Hrsg.:

Corssen, Peter

Titel/Untertitel:

Der Cyprianische Text der Acta apostolorum 1893

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1893. Nr. 6.

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und hier bietet Addis eine wirklich neue Gabe, folange
Bacon's Fortfetzung noch nicht erfchienen ift. Jeder, der
lieh mit hexateuchifchen Fragen befchäftigt oder ihnen
Antheil und Verftändnifs entgegenbringt, wird hier fein
Buch mit Vortheil benutzen als eine hocherwünfehte
Veranfchaulichung des bisher Erreichten. Es ift Addis
trefflich gelungen, bei völligem Verzicht auf Eigenes,
foweit ich zu fehen vermag, und einer gewiffen Zurückhaltung
gegenüber kühnerem Vorgehen, z. B. der Scheidung
zwifchen J1 und J2, durchfehnittlich die wahr-
fcheinlichfte Entfcheidung herauszufinden und wiederzugeben
. An einzelnen Stellen möchte man etwas mehr
wünfehen. Wenn das Bundesbuch richtig als E ausgezeichnet
ift, fo hätte die Urgeftalt der Bundesworte in
Ex. 34 J zugewiefen werden follen. Dasfelbe gilt für
die Urgeftalt von Ex. 12, 21—27. 13, 3—16, die gar
nicht in das .ältefte Buch' aufgenommen find. Indeffen
werden die frommen Wünfche eines jeden Betheiligten
fehr verfchieden fein, der Dank hoffentlich ein allgemeiner.
Möchte er fich in einem Abfatze diefes Bandes beweifen,
der die Herausgabe des 2. und letzten, Deuteronomium
und Prielterfchrift umfaffend, ermöglicht.

Strafsburg i/E. K. Budde.

Corssen, Pet, Der Cyprianische Text der Acta apostolorum.

Berlin, Weidmann, 1892. (26 S. gr. 4.) M. 1. 60.

Die jüngfte Studie eines um die Kritik der lateinifchen
Bibelüberfetzung fchon mannigfach verdienten Gelehrten
bietet viel mehr, als man nach dem Titel vielleicht erwarten
würde. Ihre Leetüre wird jedem Theologen, der
auf ftreng wiffenfehaftlicher Grundlage das Neue Tefta-
ment bearbeiten möchte, und keineswegs blofs dem Liebhaber
der Textkritik, förderlich fein: wichtige principielle
Gedanken, die Corfsen hier ausfpricht, verdienen min-
deftens ernfte Erwägung.

Corfs. knüpft feine Erörterungen an den von Sam.
Berger in dem Heft: Le Palimpscste de Fleury, fr agments
du Nouveau Testament en Latin Faids 7889 mufterhaft —
was die Verbefferung einzelner Ergänzungen des Unlefer-
lichen durch Corfs. nicht ausfchliefst — veröffentlichten
Text einer Handfchrift des altlateinifchen N. T.'s von c.
600, die freilich äufserft mangelhaft und fragmentarifch
erhalten ift; dem Umfange und der Bedeutung nach das
Wichtigfte find die Ueberrefte der Apoftelgefchichte.
Corfs. hat nun feffgeftellt, dafs der Text diefer Ueberrefte
identifch ift mit dem von Cyprian in feinen Citaten
aus der Apgefch. benutzten d. h. dem officiellen Texte
der carthagifchen Kirche von c. 250 n. Chr., und dafs
wir weitere Zeugen diefes cyprianifchen Textes — das Wort
immer auf die Apgefch. befchränkt — befitzen in den
reichlichen Citaten der unter Profper's Werken veröffentlichten
Schrift von c. 450 de promissionibus et praedica-
tionibus Dci, aber auch in den umfänglichen Anführungen
aus der Apgefch. 1,1—8 und 2,1—13, fowie 1,1—2, 11 bei
Auguftin contra epistidam fundamenti c. 9 und in contra
Feldern Manichaeum c. 4. 5. Die anderen von derVulgata
abweichenden Ueberlieferungen der lateinifchen Apgefch.,
wie der lateinifche Text in den Codices D und E, in
den Citaten der meiften abendländifchen Väter mit Ein-
fchlufs des Auguftinus da, wo er abgefehen von den erwähnten
Schriften fich auf die Apgefch. beruft, flehen
doch dem cyprianifchen Texte in feinen verfchiedenen
Vertretungen weit ferner als der Vulgata und als fich
untereinander; fie zeigen alle die Tendenz, jenen ur-
fprünglichen Text dem vereinigten' griechischen Texte
des 4. Jahrhunderts anzunähern. Bei diefer Gelegenheit
beweift Corfs. die nahe Verwandtfchaft des von Lucifer
v. Cagliari benutzten Textes mit dem im Codex gigas
{ed. J. Belsheim 1879) vorliegenden.

Jene Grundthefe über die Quellen unferer Kenntnifs
vom cyprianifchen Texte und der Beurtheilung desfelben
wird S. 8—14 an einer Reihe von Beifpielen, mit Act. 1,

I 7 beginnend und Act. XIV, 22 endend, demonftrirt. Das
Material für die nichteyprianifchen Texte ift aus Sa-
! batier entnommen und gewifs bisweilen der Vervoll-
ftändigung und auch Verbefferung fähig, aber die Richtigkeit
von Corffen's Anfchauung wird nicht beftritten
werden. S. 14—17 befpricht er dann die Differenzen
zwifchen den fünf Zeugen der cyprianifchen Itala an den
oben vorgeführten Belegftellen; der befondere Werth
der Palimpfefte von Fleury tritt dabei zu Tage; am meiften
hat Pfeudo-Profper fich fchon einer Beeinfluffung durch
fpätere Texte unterzogen.

Doch Corfs. begnügt fich nicht mit diefen immerhin
recht intereffanten Einheilten. Er hatte die Abficht, das
induetive Verfahren durch eine Analyfe der erhaltenen
Fragmente zu ftützen, .einmal die Natur des der Ueber-
fetzung zu Grunde liegenden griechifchen Textes und
dann der Ueberfetzung felbft ans Licht zu ftellen'. Er
verfpricht auch S. 26, fich fpäter der Aufgabe zu widmen,
,den Sprachgebrauch der cyprianifchen Ueberfetzung
darzuftellen' und dadurch ihren Charakter klar zu machen.
Sei diefer cyprianifche Text als der erfte fette Punkt
in der fchwankenden Ueberlieferung einmal feffgeftellt in
feinem Werth und Wefen, fo werde es leichter, mit Klarheit
rückwärts und vorwärts zu fchauen und wichtige
Fragen der Ueberlieferung des N. T.'s zu löfen. Aus
äufseren Gründen hat Corfs. die Ausführung diefes Unternehmens
verfchoben und fich (S. 18—25) mir- einigen
Andeutungen über feine Refultate begnügt. Er fieht im
cyprianifchen Texte am fchärfften die Eigenthümlich-
keiten des fogenannten occidentalifchen Textes hervortreten
, den aufser einer Reihe von Ueberfetzungen ja
der codex Bezae D für Evangel. und Apoftelgefch. am
betten repräfentirt. An einigen in der That frappanten
Beifpielen, Act. 1, 2. 3, 7. 8. 18, 8. 14, 19 illultrirt der
Verf., dafs der urfprüngliche Charakter der .abendländifchen
Recenfion' in der cyprianifchen Itala viel urfprüng-
licher und deutlicher fich offenbart, als felbft in cod. D,
infofern diefer, unter dem Einflufs der griechifchen Vulgata
flehend, oft die Neigung zeigt, verfchiedenartige Lesarten
beider Gruppen widerfpruchsvoll mit einander zu verbinden
, falls er nicht fchon ganz diefer Vulgata den Vorzug
giebt. Am intereffanteften ift in diefer Beziehung Act.
14, 19, wo fogar der cod. Epliraemi Syri rescr. C fich
von dem kürzeren Texte des Vatic. Sinait. u. f. w. viel
erheblicher unterfcheidet als D, während der urfprüngliche
Wortlaut diefer ganz eigenartigen Recenfion nur aus dem
Texte von Fleury (h) klar wird. Hat der Lefer hier unwillkürlich
den Eindruck, dafs h eigentlich den Vorzug
vor der allgemein reeipirten Lefung verdiene, fo
macht Corfs. S. 21—23 den Verfuch, für Act. 9, IO—12
refp. für die Gefchichte der Heilung des erblindeten Paulus
durch Ananias die Textkritik als das Mittel zur Lö-
fung quellengefchichtlicher Fragen zu erweifen; nach
ihm ftellt der textus reeeptus in v. 12 eine Ungeheuerlichkeit
dar, dafs in einer Vifion dem Ananias ein ganz
unmöglicher {elösv dvöoa Avaviav ovouaxi dosXvövxa xal
EjciDsvra avxm X£lQa? öjicoq ctvaßXdpy) Inhalt einer gleichzeitigen
Vifion des Paulus mitgetheilt werde; fall fei man
verfucht, mit h den Vers zu ftreichen. Und doch fei eben
diefer Vers von höchffem Werth; ,wir fchauen an diefer
Stelle wie durch einen Spalt bis auf den Boden, aus dem
die Apoftelgefchichte hervorgewachfen ift'. Das dvöuaxt
ift aus dem verfchiedentlich bezeugten uv vQauaxi ent-
ftanden, Avaviav irrig hinzugefetzt; das ojtcoq dvaßX. etwa
aus xal dvtßXeipev verändert: v. 12 enthielt urfprünglich
eine in fich völlig abgerundete Gefchichte, nach welcher
Paulus in Folge eines Traumgefichts das Augenlicht wiedererlangte
. In den folgenden Verfen werde diefe fehr wahr-
fcheinliche Vifionsgefchichte zu einer legendenhaften Wun-
derheilungsgefchichte vergröbert; und das fei für den Verf.
I der Apgefch. bezeichnend, ,dafs er aus verfchiedenen
I Quellen verfchiedenartige Züge zufammenträgt, die ihm
I zu einem einheitlichen Bilde zu verbinden nicht gelingt'.