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Ausgabe:

1893 Nr. 23

Spalte:

576-578

Autor/Hrsg.:

Geigel, F.

Titel/Untertitel:

Protestantisches Bekenntniss und organische Artikel. Ein Rechtsgutachten 1893

Rezensent:

Baldensperger, Wilhelm

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575 Theologifche Literaturzeitung. 1893. Nr. 23. 576

auch Beck in feinem Realismus mehr Worten als Wahrheiten
huldigte (68). Tholuck hat ,auch Complimente
für den Rationalismus gehabt' (34). Stier ifl ,Häretiker
in der Lehre von der Genugthuung' (35). Frank ift
,kein biblifcher und lutherifcher Theologe' (46) und
Luthardt fleht ,unter der Wirkung der modernen Welt-
anfchauung' (47) — beide als Synergiden —, Delitzfch
,mengt Glauben und Unglauben manchmal zufammen'(47),
Orelli ifl ,leider ohne Tapferkeit in mancher kritifchen
Frage' (244) und wie es fcheint (248) /liberal'. Die Hallenser
Theologie von Gefenius bis Beyfchlag ifl ,nur ein
Proteft gegen die Reformation' (72). ,Faft der einzige
confequente Lutheraner' ift Ströhe], und aufserdem haben
auch die Miffourier das gute Recht Luthers für fich (49).
Auch unter den Reformirten findet fich Abfall genug.
In Ebrards Römerbrief z. B. ,waltet ein wilder Fanatismus
gegen die freie Gnade' (73) und er wie Heppe
,fälfchen die altreformirte Lehre wider befferes Wiffen' (73).

Nun aber vollends auf der Linken! Die Charakte-
riftik Baur's S. 53 wird zwar manchem etwas herb er-
fcheinen. Aber das ift es eben: wir find ,fo völlig frivol geworden
', dafs Henke von den Gaben des Herrn in Baur und
Weizfaecker von dem Recht und der Pflicht ihn zu feiern
fprechen konnten (54). Bei Keim hat ,offenbar das Gehirnleiden
, dem er früh erlag, auf die Hervorbringung
feiner Bücher gewirkt' (55). Auch bei Biedermann
zeigt fich die Täufchung des kranken menfchlichen Gehirns
(245). Alex. Schweizer bietet .determiniftifch-pan-
theiftifches Heidenthum'(245). Bei Hafe fragt man, ,ob
auch ihm alle Religion zur Illufion geworden' (63).
Weizfaecker's apoftolifches ZA, Weifs' und Bey-
fchlag's Leben Jefu, Pfleiderer's Urchriftenthum ,find
doch nur Erfcheinungen der fortfchreitenden Verwefung
des Proteftantismus' (56), ,der unruhige, agitatorifche W.
Beyfchlag' (35) ,charakterifirt eine Reihe von Theologen
. . ., die mit ihrem offenbaren Heidenthum und
fchwächlichen Menfchendienft die Cultur mit dem Chri-
fter.thum verföhnen wollen' (36).

Die Darfteilung der Theologie Ritfehl's fleht nach

clauso, die Pafchafius vertreten habe, wenn auch ohne
,die Lüfternheit des Hieronymus, der der Vater
diefer gynäkologifchen Phantafien ift'. Auf eine
Anfrage bei Herrn Zahn erhielt ich die Antwort, der
Ausdruck fei ,aus dem Mund Harnack's in einer Recenfion
der Kreuzzeitung angeführt über das Buch des Jefuiten
(Exjefuiten) Hoensbroech, Chrift und Widerchrift'. Da
nun die Redaction der Kreuzzeitung fich eines folchen
Artikels nicht mehr erinnerte, eine zweite Anfrage bei
Herrn Zahn keine Antwort fand und bei Hoensbroech
endlich jene Befchuldigung in der That auf die bezeichnete
Stelle der DG. gebaut ifl, fo bleibt wohl kein
anderer Ausweg als die Annahme, dafs Herr Zahn fich
durch einen Jefuiten hat verblenden laffen. Das fällt
immerhin auf bei einem Mann, deffen Buch fo voll ift
von gerechtem Zorn über die verblendende Macht des
Jefuitismus in unferer Zeit. Indefs merkwürdiger ilt es
noch, dafs Herr Zahn, der die Kirchengefchichte fo als
Kirchengericht behandelt, eine Verurtheilung wegen Lä-
fterung auf Worte gründet, die er nicht aus dem Mund
oder der Feder des Angeklagten hat, auch nicht aus
einem guten Bericht, fondern aus einem Zeitungsbericht
über eine jefuitifche Anklagefchrift. Der Gedanke wird
fich hier wie fonft manchem aufdrängen, dafs einzelne
der Prädicate, die Herr Zahn feinen Perfonen beizulegen
liebt, gerade in feinem Mund eigenthümlich berühren,
zumal die Behandlung der Worte H.'s, wie dem Kundigen
fchon meine wenigen Citate zeigen, ihre, meinethalben
leichteren, Parallelen hat. Noch auffallender aber
ift mir folgendes. Ich habe am 9. Aug. Herrn Zahn in
einem dritten, eingefchriebenen, Brief fein Verfehen aufgedeckt
und das Vertrauen ausgefprochen, dafs er das
Bedürfnifs haben werde, über diele fchwere grundlofe
Befchuldigung öffentlich fein Bedauern auszufprechen,
zumal fie mit befonderer Leichtfertigkeit vorgenommen
worden fei. Ich wollte ihm, wie ich fchrieb, dadurch
Gelegenheit geben, feine Anklage zurückzunehmen, ehe
ich fein Buch anzeigte. Ich erhielt keine Antwort und
m. W. ift auch fonft nichts erfolgt. Das ift doch eine

neueren feurigeren Urtheilen nicht mehr auf der Höhe, ! feltfame Art bei einem Mann, der die Schwächen und
und die freundlichen Urtheile über die Giefsener Theo- j Sünden eines Jahrhunderts und feiner Vertreter fo unerlogen
(57. 89) will ich als ihr ehemaliger Genoffe fcho-
nend übergehen. (Sie haben u. a. Bismarck zum Dr. theol.
gemacht, weil er als Gegner der Speculation eigentlich

bittlich behandelt und immer auf den härteften, ver-
letzendften, giftigften Ausdruck bringt.

Herr Zahn fchliefst feine Vorrede mit den Worten:

auch ein Ritfchlianer wäre'.) Wellhaufen und feine ; .Mein Buch ift nicht für die, die von Selbfttäufchung

.lärmenden Genoffen machen aus dem AT. ein Chaos'
(57. 96). .Cornill . . mufste die Thorheit in ein fpafs-
haftes Compendium [gleich darauf: ,Comödie'j zufammen-
laffen. . . Jene unreinen Geifter aber werden das hciligfle
Problem nie löfen' (57J.

An den Namen des ,Irrlehrers' Harnack, des Theologen
des Berliner Tageblatts (91), der mit andern ,Irr-
lehrern' zufammen der Kirche durch den Minifter von
Gofsler aufgedrängt worden ift (89. 95. 124), knüpft fich
der Streit um das Apoftolicum. Es war im Fall Schrempf,
dafs ,die Ritfchlianer über die Mafsen fälfehten und
logen und in der Eifenacher Erklärung ihre völlige Verwirrung
offenbarten. Der .geniale' A. Harnack erklärte
die auf dem eyangelifchen Bericht und
den Bekenntnifsen der Kirche beruhende jungfräuliche
Geburt des Herrn für eine gynäkolo-
gifche Phantafie. Irrlehre und Läfterung gehen immer
zufammen [Anm. .. Die Schrift von H. hat die 21. Aufl.
erlebt. Die Lüge florirt]. Kaifer und Reich legten
am 31. Oct. 1892 feierlichen Proteft dagegen ein und
thaten die Irrlehrer in Reichsbann' (69).

Nicht der letzte Satz hat mich erfchreckt — der
Wunfeh des Verfaffers eilt der Wirklichkeit voraus —
fondern die Läfterung Harnack's. Wo aber hat H. fie
vorgetragen? Es lag nahe, an DG. III, 276 Anm. zu
denken. Aber dort handelt es fich nicht um die jungfräuliche
Geburt der evangelifchen Berichte, fondern
um die mittelalterliche Entdeckung der Geburt utero

leben: mich hat ein grofser Ernft und Schmerz bei
diefer Schilderung begleitet'. Wohl, aber chriftlicher Ernft
äufsert fich nicht in ungezügeltem Schelten und Verdammen
, dem nicht einmal die gewiffenhafte Prüfung
deffen vorausgeht, was der Verurtheilte fagt; und chriftlicher
Schmerz hat nichts von dem hämifchen Spott,
dafs alles doch nichts hilft.

Breslau. Karl Müller.

Geigel, Reg.-R.a. D. F., Protestantisches Bekenntniss und
organische Artikel. Ein Rechtsgutachten. [Aus: ,Zeit-
fchr. für Kirchenrecht'.] Freiburg i/B., J. C. B. Mohr.
(S. 117--198. gr. 8.) M. 1. —

Dies Schriftchen, ein Sonderabdruck aus der Zeit-
fchrift für Kirchenrecht (Bd. III, Heft 2) dient der Klarlegung
einer für die proteftantifchen Kirchen des Reichslandes
brennenden Frage. Von den 5 reformirten Con-
fiftorien in Elfafs-Lothringen hat dasjenige von Metz
am 7. Dec. 92 den Befchlufs gefafst, fich der Schweflerkirche
anzufchliefsen und die ihm zuftehenden Befug-
nifse an das Oberconfiftorium des Aug. Bek. abzutreten,
um fo ein einheitliches Kirchenregiment herzuftellen.
Schon in den letzten Jahren vor dem Krieg hatten fich
die franzöfifch Reformirten von Weft-Lothringen mit
Elfäffern Aug. Conf. flark vermifcht. Seitdem ift
aber in Folge der Einwanderung eine grofse Anzahl von