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Ausgabe:

1893 Nr. 23

Spalte:

571-572

Autor/Hrsg.:

Vernier, R. P. Donat

Titel/Untertitel:

Histoire du patriarchat arménien catholique 1893

Rezensent:

Gelzer, Heinrich

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57i

Theologifche Literaturzeitung. 1893. Nr. 23.

572

Excurs Harnack's: Katholifch und römifch — —, der in
manchen Punkten mit obiger Darfteilung (ich berührt'.
Das ift mehr als naiv. Es hätte heifsen muffen: ,mit
dem die obige Darftellung fich in allen Hauptpunkten
berührt'. — Aber der Verf. liebt es, zu fchreiben: ,So
urtheilen auch' oder ,Dies ift auch die Anficht von' u. f. w.,
wo meift das auch entweder überflüffig ift oder den
Sachverhalt unrichtig wiedergiebt.

Giefsen. G. Krüger.

Vernier, R. P. Donat, S. J., Histoire du patriarchat armenien

catholique. Lyon & Paris, Delhomme et Briguet, 1891.
(343 S. gr. 8.)

Melchifedek Muradian, armenifcher Erzbifchof von
Smyrna, hat auf die Aufforderung, welche Leo XIII. am
25. Juli 1881 an die armenifche Nation richtete, fich der
Obhut feines Hirtenftabes wieder anzuvertrauen, mit einem
geharnifchten Schreiben geantwortet, worin er ein Eingehen
auf die Forderung des Papftes als ein Aufgeben
des apoftolifchen Charakters der armenifchen Kirche bezeichnet
. .Die Armenier, wenn fie dem Papfte gehorchen,
fallen von Gott ab und verehren einen Menfchen'. Der
Verf. will nun beweifen, dafs die Union mit Rom keineswegs
einen Abfall von einer 19 hundertjährigen Tradition
bezeichne, dafs vielmehr dadurch Armenien einfach zu
der ungefälfchten Lehre des hl. Apoftels Gregor Lufavoric"
zurückkehre, und dafs während des langen Laufs der
Jahrhunderte die Patriarchen Armeniens meiftens die
Gemeinfchaft mit Rom aufrecht erhielten und nur zeitweife
fich die Wahrheit verdunkeln liefsen.

Die Auseinanderfetzungen über den römifchen Primat
im Eingang des Werkes können wir als hiftorifch werthlos
hier völlig übergehen; es genügt, anzuführen, dafs
der Verf. bereits Petrus als Stifter nicht nur des römifchen
Univerfalpatriarchats kennt, fondern auch der zwei
von ihm abhängigen Nebenpatriarchate: Alexandrien für
Afrika und Antiochien für Afien. Das ganze Elaborat
macht den Eindruck, als fei dasfelbe dem Collegienheft
irgend einer jefuitifchen Lehranftalt entlehnt; die fcho-
laftifche Beweisführung erinnert an vergangene Jahrhunderte
. So wenn er (S. 92), um Gregor's Reife nach Rom
und feine Weihung durch Silvefter zu beweifen, den Satz
aufftellt: Kein alter Schriftfteller leugnet Gregor's Reife
nach Rom, alfo kann diefelbe nicht abfolut geleugnet
werden. Folglich wer diefelbe leugnet, verflöfst gegen
die Gefetze der Logik, auch wenn die Zeugnifse für die
Reife nicht authentifch find. Für Gregor's Gefchichte
operirt der Verf. mit Agathangelos, als wäre deffen
Werk ein einheitliches, gleichzeitiges hiftorifches Denkmal.
Von Gutfchmids' Forfchungsrefultaten hat er keine
Ahnung. Es lohnt fich daher nicht, den Irrthümerknäuel
in feine einzelnen Beftandtheile aufzulöfen.

Befonders wichtig ift nun die Gefchichte der armenifchen
Patriarchen (richtiger Katholikoi) bis 550. Der
Verf. vindicirt fie alle der Rechtgläubigkeit auch für die
Zeit nach 451. Er hat hierin allerdings Vorläufer an
Photios und an einigen armenifchen Prälaten, welche in
der Kreuzfahrerzeit den Lateinern zu Gefallen die That-
fachen entftellten. Richtig ift nur fo viel, dafs die Armenier,
von den Perfern au?s heftigfte bedrängt, an den das
römifche Reich feit 451 erfüllenden Glaubenskämpfen
fich fo gut, wie gar nicht, betheiligt haben. Indeffen
fobald fie einigermafsen Ruhe bekommen, verdammt ein
Concil zu Valarsapat unter dem Katholikos Babken Ende
des V. Jahrhunderts das Concil von Chalkedon. Was der
Verf. S. 156 dagegen vorbringt, find allgemeine Redensarten
ohne Werth; die urkundlichen Auszüge aus den
Concilsacten bei Uchtanes von Edeffa fcheint der Verf.
nicht zu kennen. Auch im Einzelnen finden fich vielerlei
Verftöfse. Den hl. Nerfes I läfst er gegen die wahre
Chronologie am II. ökumenifchen Concil Theil nehmen;

fodann führt er (S 131) fünf armenifche Bifchöfe an,
welche in Chalkedon fubfcribirten. Allein diefe Bifchöfe,
wie der von Theodofiopolis-Karin und der von Ekeleac
(Akilifene) gehörten zum römifchen Armenien, das natürlich
fowohl politifch, wie kirchlich von Byzanz abhing,
und fo beweifen diefe für den Glauben der perfarmeni-
fchen Praelaten nichts; auch auf dem V. Concil und dem
Quinifextum begegnen uns armenifche Subfcriptionen,
felbftverftändlich aus dem den Römern unterworfenen
Landftrich. Verf. erkennt Gottes Strafe für den unter
Nerfes II durch das Concil von Dvin vollzogenen Abfall
in der Eroberung der Stadt Dvin durch die Araber unter
Herakleios. Merkwürdigerweife hat die fehr orthodoxe
Stadt Jerufalem und ihr fleckenlofer Patriarch Sophronios
diefelbe Strafe fchon vorher erlitten. Die vorübergehenden
Unionsverfuche unter Kaifer Herakleios, dem als Mono-
theleten die Armenier in derThat günftiger gefinnt waren,
als den übrigen Griechen, veranlaffen den Verf., fämmt-
liche Katholikoi von Ezra bis auf Elias (633—718) für
die katholifche Einheit zu revindiciren. Fatalerweife hat
gerade Elias in Albanien mit Hülfe der Mahomedaner
die Orthodoxie unterdrückt; man wird alfo diefen Kirchen-
fürften kaum als Zeugen der Wahrheit hinftellen dürfen.
Den Gegenkatholikos Vahan (965—972) nimmt er ebenfalls
ohne Grund für die Katholiken in Anfpruch; aus
dem faftgleichzeitigenGefchichtfchreiberStephanosAfoAik
folgt, dafs dem Streit der beiden Katholikoi kein dogma-
tifcher Diffenfus zu Grunde lag.

Aus der Kreuzfahrerzeit und der Epoche des fube-
nidifchen Königreichs Cilicien ift er nun allerdings fo
glücklich, eine Reihe für Rom höchft fchmeichelhafte
und feinen Primat anerkennende Schreiben von Katholikoi
und Königen vorweifen zu können. Ebenfo follen
mehrere Concilien die Union vollzogen haben. Indeffen
wie übel es mit diefer neu gewonnenen Einheit ausfah,
giebt der Verf. faft wider Willen zu. Das bedrängte
cilicifche Reich hatte politifche Gründe, fich an das
Abendland anzulehnen. Clerus und Volk jedoch wollen
nichts von der Union wiffen. Sie wird nur in Sis beobachtet
(S. 239). Der König und der hohe Clerus,
wenn fie unionsfreundlich waren, machten fich Illufionen
über Glauben und Stimmung des Volkes (S. 250). So
kommt es immer zu neuen Glaubensprüfungen und neuen
Unionen, die alle eitel Blendwerk find oder höchftens
dazu dienen follen, abendländifche Unterftützung und
päpftliche Almofen nach dem Often zu leiten. Eine
wirklich brauchbare Leiftung ift der letzte Theil des
Werkes, welcher (S. 289fr.) von der Miffionsthätigkeit
der Jefuiten in Armenien handelt, und ausführlich die
Gefchichte des feit 1740 wieder hergeftellten katholifchen

! Patriarchats der Armenier behandelt. Der katholifche
Patriarch hat den Titel von Sis, refidirt aber in Bezummar

J am Libanon; die Einzelangaben über die Gefchichte diefes
Patriachats verdankt der Verf. einer Abhandlung des
gegenwärtigen Bifchofs von Adana,Mfgr.Garabed-Aflanian,
welcher feine Notizen dem Patriarchalarchiv vonBezummar
entlehnte. Bekanntlich ift dann durch die berühmte
Bulle treversurus' das Patriarchat nach Conftantinopel
verlegt und mit dem dortigen Erzbisthum vereinigt
worden. Ueber den jetzt beigelegten Streit der fog. Kupe-
lianiften und die neueften Masnahmen Leo's XIII findet
man ebenfalls reiches, wenn auch natürlich ftark römifch
gefärbtes Material in dem Schlufstheil des Werkes. Um
unfer Urtheil kurz zufammenzufaffen, ift Vernier's Werk
für die ältere armenifche Kirchengefchichte unbrauchbar;
dagegen für die Specialgefchichte der Unirten feit dem
Beginn des XVIII. Jahrhunderts hat es felbftändigen
Werth. Der Druck ift fehr fplendid; beigegeben find
16 Abbildungen, theils architektonifcher und landfchaft-
licher Art, theils Portraits bekannter Kirchenfürften der
neueften Zeit, wie Cardinal Haffun, Patriach Azarian u.f. f.

Jena. H. Geizer.