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Ausgabe:

1892

Spalte:

643-646

Autor/Hrsg.:

Müller, Karl

Titel/Untertitel:

Kirchengeschichte, 1. Bd 1892

Rezensent:

Harnack, Adolf

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643

Angelo [Dat.], Angelum, Angelo [Abi.] u. f. w. zu
fuchen). Und dafs durch Derartiges gerade die Gräcität
der Vulgata in ein helleres Licht gerückt würde, wird
man fchwerlich behaupten können. So gewahrt man
auch nicht, dafs hier denjenigen Ausdrücken eine be-
fondere Aufmerkfamkeit gewidmet wäre, welche durch
Hieronymus oder ältere Ueberfetzer in Anlehnung an
den griechifchen Bibeltext neu geprägt worden find.
Weit davon entfernt, hat der Verf. ohne Unterfchied ;
alles zufammengeftellt, was irgendwie auf eine griechifche !
Wurzel zurückgeführt werden kann. Wörter wie classis, I
epistula, historia, hora, latro, leo, mulus, norma,
oleum, poena, succus, stola, turris, wurden mit dem j
gleichen Apparate verfehen wie agonizo, amen, ana-
thema, apostolus, azymum, baptisma u. dergl.
Dazu gefeilen fich fämmtliche Eigennamen mit grie- !
chifcher Endung. — Ueberrafchend wirken mitunter die
Belege, welche aus Du Cange beigebracht find. So wird j
z. B. zu ancora bemerkt: ,Du Cange: ANCHORA est
nota quaedam quae apponitur in libris'; zu bibliotheca |
(im I. und 3. Buche Efra im Sinne von Bücherfamm- j
lung): ,Du Cange: Bibliorum liber, seu utrumque Testa-
mentum, Vetus et Novum'; zu Christus: ,Du Cange:
CHRISTIFERUS, Vexillifer, Alferez. Ita appellatum j
Alferum in Charta Beremundi Regis observati Anton.
de Yepez, in Chronico Ord. S. Benedicti tom. 6. pag. 17. j
quod in Regis vexillo Chris tus, vel certe signum Christi, 1
seu crux, effingerentur'; zu cisterna (nur im Sinne j
von Wafferbehälter): ,Du Cange: CISTAE columnatae, !
quas vulgo Büffets dicimus. Speculum Saxonicum lib. I. !
art. 24. § 2: Cistas columnatas, id est, cum elevatis j
tecturis'; zu draco: ,cfr. Du Cange s. v. — Dracones,
Majores naves dictae Suecis. — DRACUNCULUS,
Parvus draco, Joanni de Janua'. Zu hora wird ein
längerer Artikel über Horae canonicae, Horae reguläres
, Horae de sancta Maria und dergl. ver-
botenus abgedruckt. Zu Judaea wird bemerkt: ,Du
Cange: Judaea, Judaearia, Juderia, Judaicae, Judaismus
, Mansio Judaeorum in oppidis: Le quartier des
Juifs, Juierie, apud Villharduinum n. 83'. Es ift mir
nicht gelungen zu ergründen, was derartige Nachweife
hier eigentlich follen. Auch der Satz der Praefatio,
welcher zum Schlufs eine Art Erklärung dafür enthält,
hat mich von der Nützlichkeit derfelben nicht überzeugt.
Er lautet: ,Neque enim adhuc eiusmodi exstat aut
index aut collectio uerborum accuratior omnesque
Uulgatae Editionis uocum Graecarum complectens locos
ex ipso fönte haustos additis mediae et infimae
Latinitatis uocibus quaestiunculisque etymo-
logicis'.

Wer fich dafür intereffirt, welche von den in der
Praefatio angeführten Ausgaben der Verf. feiner Arbeit
zu Grunde gelegt, findet dafür einen Fingerzeig S. 120
unter o nag er, wo Job 39, 5 mit dem Druckfehler vncula
(,sic! deest i') citirt wird. Die an dritter Stelle genannte
Ausgabe von Heyfe und Tifchendorf hat richtig vin-
cula. Es könnte alfo die Regensburger vom J. 1849
(ed. Valent. Loch) oder die Römifche vom J. 1861 (als
Herausgeber war Car. Vercellone zu nennen) gewefen fein.

Berlin. O. v. Gebhardt.

-_---.-

Müller, Prof. D. Karl, Kirchengeschichte. I. Bd. [Grundrifs
der theolog. Wiffenfchaften, 4. Thl., 1. Bd.] Freiburg i/B.,
J. C. B. Mohr, 1892. (XXII, 636 S. gr. 8.) M. 9.50;
geb. M. 10.50.

,An Darftellungen derKirchengefchichte fehlt es wahrlich
nicht'. So beginnt der Verfaffer feine Vorrede. Wir
danken ihm, dafs er trotzdem eine neue Darfteilung vorgelegt
hat; denn er hat in ihr einen Grundrifs gefchaffen, j
der nicht nur alle bisherigen kurzgefafsten Lehrbücher
übertrifft, fondern die Behandlung der ganzen Disciplin !

auf eine höhere Stufe hebt. Die Vorzüge der neuen
Darftellung liegen vor Allem in der neuen Auswahl und
Anordnung des Stoffs — ich müfste das ganze Inhalts-
verzeichnifs herfetzen, um diefes Urtheil zu begründen.
Was der Verf. als feine Abficht ausgefprochen hat: ,die
Gefchichte im ftraffen Zufammenhang ihrer Elemente
vorzuführen, Ereignifse und Zuftände nur fo weit aufzunehmen
, als fie lebendige Kräfte, Mächte der Entwicklung
oder Hemmung bilden; in diefem Sinn die
Zügel des Stoffs feft in den Händen zu halten und den
Blick immer auf das Ganze zu richten' — das hat er wirklich,
fowohl für die alte als für die mittelalterliche Kirchen-
gefchichte, erreicht. Es wird eine Freude fein, nach
diefer Kirchengefchichte zu lefen und zu lernen. Ein
zweiter Vorzug ift die Prägnanz und Klarheit, Kraft
und Schönheit der Darftellung. Sie konnte nur einem
Forfcher gelingen, der in dem ganzen Stoffe fo heimifch
oder fo felbftändig und gleichmäfsig bewandert ift wie
der Verfaffer, und der vermöge feiner theologifchen
Durchbildung und hiftorifchen Schulung überall den Kern
und das Mafs der Dinge erfafst. Der dritte, vielleicht -
augenfälligste Vorzug liegt in der Darfteilung des Mittelalters
(diefer erfte Band reicht auf 613 S. bis gegen
Ende des 13. Jahrh.). Es ift ein offenes Geheimnifs unter
uns Kirchenhiftorikern, dafs wir im M.-A. hinter den
Profanhiftorikern zurückgeblieben find oder richtiger, dafs «
weder die Auswahl getroffen noch die Form gefunden
ift, in der die ungeheuere Arbeit, die in den letzten
40 Jahren hier geleistet worden, für die Darstellung der
Kirchengefchichte nutzbar zumachen ift. Karl Müller's
Grundrifs hat — das darf man ihm nachrühmen — diefem
Mangel abgeholfen. Es ift eine Freude, einmal eine
Gefammtdarftellung der Kirchengefchichte aus der Feder
eines Historikers zu erhalten, der auf dem Gebiete der
M.A.liehen Gefchichte eine Autorität ift. Hier find der
Kirchengefchichte neue Provinzen erobert, Veraltetes
und Unbedeutendes ift zufammengeftrichen, Vieles, was
früher im Vordergrund stand, hat fich mit einer befcheide-
neren Stellung begnügen müffen, Anderes, was in den
älteren Lehrbüchern nur unsicher angedeutet worden,
erfcheint hier, in feiten Zügen ausgeführt, an der Spitze.
So ift das Gefammtbild —■ bisher waren wohl fast überall
Giefeler's Studien und feine Auswahl mafsgebend —
ein anderes geworden: die Darftellung hat auch hier,
wie in der alten Kirchengefchichte, Relief und an der
allgemeinen Cultur-, Verfaffungs- und der politifchen
Gefchichte eine sichere Grundlage erhalten; fie ift über
die Federzeichnung einzelner Bilder herausgehoben. Die
verhältnifsmäfsige Ausführlichkeit diefes Theils wird daher
Niemand beklagen, und auch darin wird dem Verf. bei-
zuftimmen fein, dafs fein Lehrbuch dem Vortragenden
eine kürzere Zufammenfaffung derM.-A.lichenGefchichte
ermöglichen wird. Eine folche thut Noth, wollen wir die
Studenten nicht unnütz belasten. Man mufs wünfehen,
dafs es zur Regel wird, die Kirchengefchichte vonjuftinian
bis zum Ausgang des 15. Jahrh. in vier Stunden vorzutragen.

Ein Element, das man ungerne vermifst, tritt in der
Darfteilung des Verfaffers in den Hintergrund, das
Biographifche bezw. die Charakteristik der Per-
fonen. Allein ich vermag meinerfeits auch nicht abzu-
fehen, wie man es in einem ,Grundrifs' unterbringen
foll. Die Hafe' fche Kunft ift nicht Jedermann gefchenkt;
fie ift dazu auch nicht ganz unbedenklich, wenn die
Charakteristik der Kürze wegen zur Gnome werden
mufs, und fchliefslich nur dem Kenner ganz verständlich.
Die Neander'fche Weife der Chasakterfchilderung aber
eignet fich für einen Grundrifs überhaupt nicht. Hier
hat die Vorlefung den Grundrifs vor allem zu ergänzen
und damit dem Stoff ein Leben zu geben, das
fich durch die Druckerpreffe nur ungenügend fortpflanzen
läfst. Lebendige perfönliche Eindrücke müffen
perfönlich wiedergegeben werden; dann wirken fie weiter.
Die Kirchengefchichte aber ift trotz alles Dogmatifchen,