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Ausgabe:

1892 Nr. 26

Spalte:

636-637

Autor/Hrsg.:

Rahlfs, Alfred

Titel/Untertitel:

Ani und anaw in den Psalmen 1892

Rezensent:

Budde, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1892. Nr. 26.

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richtigen vorführt? Wird ihm doch immer wieder die
Entscheidung übertragen!

,Der Lefer' ift, wie deutlich erfichtlich, jedes gebildete
Gemeindeglied, das bisher von der ganzen Frage nicht
das Geringfte verftanden hat. Will man von ihm einen
Schiedsfpruch, was an fich eine ftarke Zumuthung ift, fo
mufs man ihm den Stoff wenigftens fo unparteiifch und
fo vollftändig und überfichtlich wie möglich vorlegen.
Das hat Biflell nicht gethan, weder das Erftere, wie fchon
die gebotenen Proben beweifen werden, noch das Letztere.
Es ift zweifellos ein Mangel an der Arbeit von Kautzfeh
und Socin, dafs fie unterfchiedslos alle Beftandtheile,
welche während des Entwicklungsganges bis zum Ab-
fchlufs der ,Genesisl zu den einzelnen Quellen oder bei
ihren verfchiedenen Vereinigungen hinzugekommen find,
vom leifeften Federftrich bis zu Novellen grofsen Um-
fangs hinauf, unter eine einzige Schriftforte zufammen-
geworfen haben. Statt diefen Mangel zu befeitigen, fchlägt
Biffell daraus Capital. Es ift ein weiterer Mangel, dafs
jene viel zu feiten auf den urfprünglichen Zufammen-
hang, die urfprüngliche Reihenfolge innerhalb der Einzelquelle
hingewiefen (z. B. nicht einmal bei 19, 29), überhaupt
zu feiten die Gründe für die vollzogene Scheidung
angeführt haben. Statt diefem Mangel abzuhelfen, läfst
Biffell ihre fämmtlichen Anmerkungen vollends fort, ein
unverantwortliches Verfahren! Jene find zum guten Theil
gerechtfertigt durch den Zufatz zum Titel ,namentlich
zum Gebrauch bei akademifchen Vorlefungen', fie rechnen
alfo auf die Erläuterungen des Vortragenden. Statt
deffen thut Biffell alles, was in feinen Kräften fteht, um
das Wäfferchen zu trüben (vgl. befonders feine ausführlichen
Erläuterungen zur Sintfluthgefchichte, die aus weifs
geradezu fchwarz machen; doch fteht es durchgängig fo).
Alle jene, von B. noch vergröfserten Mängel vermeidet
fein Landsmann Bacon, der die Zufätze nach folchen,
die fich an J, E, P anfchliefsen, durch gleiche, aber in
2 Abftufungen kleinere Schrift unterfcheidet, der die
Gründe der Scheidung angiebt, die urfprüngliche Reihenfolge
anmerkt, endlich die einzelnen Quellen zufammen-
hängend abdruckt und herzuftellen verfucht. Warum hat
Biffell nicht feiner Scheidung die Wohlthat der Farben
angedeihen laffen?

Die Frage nach dem Verhältnifs diefes Buches zu
dem Bacon's kann nicht umgangen werden. Beide tragen
diefelbe Jahreszahl, aber die Vorrede zu Bacon's Buch
trägt die Zeitangabe ,October 1891', die ,Einleitung' von
Biffell ,im Mai 1892'; am 4. Januar meldete mir Bacon,
dafs fein Buch jüngft erfchienen fei, erfchienen an dem-
felben Orte wie BiffeH's Buch. Warum ift Bacon's mit
keinem Worte Erwähnung gethan, fondern drückt fich
Biffell aus, als ob die ganze Frage in Amerika bisher
ein rein exotifches Gewächs wäre? ,Noch giebt es keine
genügende Darlegung diefer verfchiedenen Argumente
[für die Quellenfcheidung] von Englifchen oder Amerika-
nifchen Schriftftellern. Das Schema hat unter uns fein
debut gemacht als Erzeugnifs der ,reifften deutfehen Ge-
lehrfamkeit', und ift durchgängig angenommen, wenn
überhaupt, fo auf Grund deffen, was gemeinhin als der
„consensus der neueren Kritik" bekannt ift'. Diefer Satz
hätte eine Anmerkung in irgend welchem Sinne erhalten
muffen, wenn er vor dem Erfcheinen von Bacon's Buch
gefchrieben wäre; wahrfcheinlich ift dies nach derUnter-
fchrift nicht. Wie die Dinge liegen, ift das Buch durch
feinen geringeren Preis und die auffallende äufsere Einrichtung
geeignet, dem fehr tüchtigen und nützlichen
Bacon's, von dem übrigens demnächft die zweite Auflage
erfcheinen wird, eine fchädliche Concurrenz zu machen.
Und falls wirklich ,der Lefer' fo tugendhaft ift, wie
Biffel ihn fich vorftellt, vermag es auch unmittelbar fchäd-
lich zu wirken, befonders zur heutigen Zeit, wo mehrere
der trefflichften Vertreter (Prof. Briggs in New-York und
Smith in Cincinnati) wegen ihrer wahrhaft evangelifchen
Anfchauungen über das Alte Teftament vor einem Glau-

1 bensgericht flehen. Aber es ift zu hoffen, dafs der ge-
j funde Sinn des Amerikaners fich auch hier nicht fangen
laffen wird. Vor allem wer dem fchönen Himmelblau
von P bis in die Mitte der Genefis aufmerkfam nachfolgt
, wird, trotz alles Vorbauens der Einleitung, fich der
Richtigkeit des Bekämpften nicht verfchliefsen. —

Zum Schlufs mufs ich einem Mifsverftändnifs vor-
i beugen. Ich halte das Verfahren des Verfaffers für par-
teiifch und unbillig {unfair) im höchften Grade, nicht für
j unehrlich. Wie gänzlich aufser Stande er zur Auffaffung
j gefchichtlicher Hergänge ift, das hat Biffell, auch abgefehen
I von diefem Buche — ich folge damit dem Urtheile von
i Prof. G. Moore (ZATW 1889 S. 283. 290.298) — oft und
hinlänglich bewiefen. So glaubt er gewifs im höchften
I Rechte zu fein und merkt gar nicht, wie unbillig er ver-
! fährt. Das Merkwürdigfte ift, dafs er felbft, trotzdem er
die Sintfluthgefchichte für einheitlich hält und auf Ur-
I Offenbarung zurückführt, trotzdem ihm der Redactor ein
I Hirngefpinnft ift, an der Tradition nicht fcheint fefthalten
zu wollen. So läfst ein ziemlich orakelhafter Satz auf
1 S. XIV fchliefsen. Er wünfeht alfo forgfältigfte Prüfung.
,Und wenn es fich herausftellen wird, wie wir es für
wahrfcheinlich halten, nicht nur, dafs urfprüngliche Quellen
bei der Zufammenfetzung der Genefis benutzt wurden,
fondern dafs ihre Grenzen, mit einem gewiffen Grade
von Wahrfcheinlichkeit, fich aufweifen laffen, fo wird
diesErgebnifs weder fonderbar noch unwillkommen fein'.
Man darf auf den Astruc redivivus, der diefes Pudels
Kern ift, gefpannt fein.

Strafsburg i/E. K. Budde.

Rahlfs, Privatdoc. Lic. Dr. Alfr., i» und 1» in den Psalmen,

Göttingen, Dieterich's Verl., 1892. (100 S. gr. 8.)
M. 2. 40.

Der eigenthümliche Reiz, mit dem diefe der Göttinger
theologifchen Facultät behufs Erlangung der Licentiaten-
würde eingereichte Abhandlung gewifs nicht blofs den
Berichterftatter anzieht, beruht weniger auf ihren Ergeb-
nifsen als auf der Sicherheit, Ruhe, Abrundung des Verfahrens
, auf der durch und durch wiffenfehaftlichen Methode
. Umfchliefst diefe das A und O deffen, was eine
folche Arbeit nachweifen foll, fo war von dem vertrau-
teften Schüler de Lagarde's und in gewiffem Sinne feinem
Teftamentvollftrecker nichts anderes zu erwarten.
Indem wir ihn als Mitarbeiter auf unferem befonderen
Gebiete willkommen heifsen, dürfen wir zugleich der
Freude Ausdruck geben, dafs mit dem zu frühen Tode
des Meifters doch die echte Ueberlieferung feiner Weife
I zu arbeiten uns nicht verloren gegangen ift.

Die Auffchrift läfst eine rein fprachliche Erörterung
zum Wörterbuche der Pfalmen erwarten; in Wirklichkeit
rnüffen alle Zweige der altteftamentlichen Wiffenfchaft
zu dem Gebotenen beitragen und aus ihm einen Beitrag
entnehmen. Freilich darf man auch fragen, ob die Schrift
nicht die Auffchrift ihres erften Theiles ,Die Gruppe Pf.
22. 25. 31. 34. 35. 38. 40. 69. 71. 102. 109' hätte tragen
follen. Umfafst doch der zweite Haupttheil ,Die übrigen
Pfalmen' nur 2 Seiten, während ,15» und 133J', diesmal
ohne eine Einfchränkung, die Auffchrift des Untertheiles
A III. bildet. Die Zufammenfchliefsung jener Gruppe
(unter Streichung von Pf. 51 [70] und Hinzufügung von
22. 31) übernimmt der Verf. von Ewald, führt dann aber
den ,Nachweis der Zufammengehörigkeit' auf S. 5—29
in umfaffendfter und durchaus felbftändiger Weife aus
Wortfehatz, Inhalt, Compofition und Stil. Er kommt,
nachdem er Pf. 71 als (mit Wahrfcheinlichkeit) Nachahmung
von Pf. 22 und 31 ausgefchieden, zu dem Er-
gebnifs, dafs die 10 Pfalmen einem einzigen Dichter angehören
. S. 30—53 handeln von der Zeit der Abfaffung.
Nach umfichtiger Mufterung der Ueberfchriften folgt als
gewichtigftes Merkmal das btnC nibfifi 3»i Pf. 22,4, das