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Ausgabe: | 1892 Nr. 20 |
Spalte: | 498-502 |
Autor/Hrsg.: | Herzog, J. J. |
Titel/Untertitel: | Abriss der gesamten Kichengeschichte. 2., verm. u. verb. Aufl 1892 |
Rezensent: | Kawerau, Gustav |
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Theologifche Literaturzeitung. 1892. Nr. 20.
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am Martinitage etc. hören laffen. Ausgezeichnet durch
folche Lieder find Weihnachten mit einem fünfzeiligen
Lied, das den Triumph Chrifti über die Dämonen feiert
(S. 184), der h. Bafiliostag (1. Jan.), der den Bafilios als
Lehrer der Jugend darfteilt, vielleicht in Erinnerung an
die Klofterfchulen, die der Heilige gegründet (185). Am
Epiphanienfeft (xa <P<ära) erfcheint im Lied die Panagia
und ruft den Täufer, dafs er den Jefusknaben taufen foll
(185). In den Liedern des Lazarostages (6. 99. 185. 186),
der am Sonnabend vor Palmarum gefeiert wird, wird
bald die nahe Auferftehung des Herrn gepriefen, bald
der Priefter gerufen, der am Lazarostag vergeffen, zur
rechten Zeit feine Kirche aufzufchliefsen. Als ein Bei-
fpiel diefer Lieder führe ich das auf den h. Bafilios an.
Ayioq BaoiXriq egyerai djcd xyv Kacöagda.
„BaöiXy fi' jiov&ev igyEOai xal 'jiovQe xaxrjßaivEiq;"
>Mx irv Kaiodguav sgyov/iai xal 'q xd oxoXeco jcrjyalvco."
„BaOlX', xdxOE vd <päq vd Jtiyq, xdxOE vd xgayovöyoyq."
..'Bya> ygd/jfiaxa '[id&atva, xgayoydia der elgtgco'"
'2 xyv jtax£gixo dxovfinyOE, z>a 'xy xyv aXfpaßyxa,
x' r) xaxEgtxo' yxav yXmgy, xi ccxoXvxe ßXaoxdgi,
xal 'q xyv xog(prj xov ßXaOxagiov XEgötxa <^a}XiaOfi£vy,
üialgvu VEgd xd 'vvyta xyq xal yidyi 'c xa <px£gd xyq,
gavxiC,£i xov dcpEvxy (iaq (ia£,v (i£ xyv xvgd uaq.
Eine bedeutende Rolle fpielen die Feft- und Heiligentage
auch im täglichen Leben. Am Tryphonstag (i.Febr.)
bittet das Volk für die Weinberge (14). Am erften Faften-
montag fpricht das Volk in Epiros nicht gern das Wort
,Ratte' und üftern nicht das Wort ,Floh' aus, damit diefe
Plagegeifter in dem Jahre nicht überhandnehmen (14).
Am Karfreitag hängen die Frauen die Wäfche nicht auf,
fondern trocknen fie auf den Dächern, um nicht durch
das Aufhängen der Wäfche das Kreuzigen (Aufhängen)
nachzuahmen (213). An allen grofsen Fefttagen giebt
man nicht von dem eigenen Herdfeuer ab.
Dafs das Anrufen der Namen von Heiligen oder
Gott auch in den Liedern feinen Ausdruck findet, brauche
ich nur zu erwähnen. Auch heilige Stätten wie die Ayla
2o<fia, 4yiov ogoq leben im Volke fort. In den Fluch-
und Wunfchformeln tritt wie bei uns das Religiöfe heraus
. An den Wortlaut der Bibel erinnert die Verfiche-
rung: AXt/Uxia Xiyco, xi dXrftua eLv 6 &s6q (198). Dahin
gehören auch die Scheltwörter rsgcody (Herodes), TV
yovöa (Judas), BfiXdxE, AvxlyjgiOxE (219). Schönen bibli-
fchen Bezug nimmt auch der Wunfeh an die zum Fifchen
Ausziehenden: 'oav x' dt ÜExgov, ,wie des heiligen Petrus
' sc möge dein Fifchzug gerathen.
Die Darftellung des Aberglaubens, der vielfach auf
das Heidenthum zurückgeht, ift in mehreren Abfchnitten
des Buches enthalten. Zu den meiften Angaben werden
die von uns auf dem Lande Aufgewachfenen germanifche
Parallelen finden. Der xaxäq und der xaXdysgoq find
höchft volksthümliche Figuren. Es kann nicht fehlen,
dafs der Humor des Volkes fich diefer Geftalten bemächtigt
hat, doch meift in harmlofer Weife, wie in dem
Kinderlied: O xaxäq fiaq 0 xaXdq, xcoyEi x' äoxga xd
xoXXd, 'ydgaq' Evav xexeivo etc. (m), oder im Sprüchwort
(191). Derbe volksmäfsige Bezüge finden fich nicht
minder, z. B. in dem Lied, das lauter Unmöglichkeiten
nennen will und dazu beginnt: Floidq eIöe -d-yXvxd xaxd
xal öidx* dyyaGxgmfiEvo; (9). Vulgär find mehrere Verhöhnungen
der Ehe des nandq (71. 91. 174). Noch beliebter
ift der Mönch als Volksfigur. Der Humor freut
fich erfichtlich an dem Gegenfatz der grofsen Heiligkeit
des xaXöyEgoq zu feiner äufseren Erfcheinung. Seine
lange fchwarze Geftalt wird irn Räthfel mit der Rauchfäule
verglichen: Maxgvq uaxgvq xaXoyxgoq xal xöxxaXa
(Knochen) öhv iyEi (414). Wegen feiner vielen Gewänder
mufs er in einem andern Räthfel die Zvviebel darftellen:
xovxoq xovxoq xaXöyxgoq, fii rd JtoXXa xaßdöia (414),
oder die vielen Hüllen tragenden Kerne eines Granatapfels
laffen an viele, viele Mönche denken (414). Viele
Gedichte handeln überhaupt von Mönchen, nur weil
ihnen diefe Geftalt eine naheliegende ift (89. 169). Die
Verfpottung des Cölibats der Mönche kann fich das
Volk natürlich auch nicht verfagen (98. 99. 159. 160).
Unter den religiöfen Vorftellungen, abgefehen vom
kirchlichen Leben, ift höchft charakteriftifch die, dafs
man bei Allem, was man thun will, fprechen foll: *Av
IteXjj 1 d-EÖq. An fich der Ausdruck eines echt religiöfen
Gefühls, ift die Formel doch, wie vielfach auch bei uns,
zu einer Art von Zauberformel geworden, die verhüten
foll, dafs Gott das Vornehmen durchkreuzt, weil man
ihn vorher nicht gefragt hat. Geradefo brauchen die
Moslim ihr bekanntes Ischallach! Der Gedankengang
kommt hier zum Ausdruck in der Gefchichte ß4v f^Xy
6 #£oc (194). Sie handelt von der göttlichen Beftrafung
eines xaxäq, der es gegen den Rath feiner Frau ablehnte
, zu dem, was er am andern Tage thun wollte, den
göttlichen Beifall durch die Anwendung jener Formel
ficher zu ftellen.
In den Berichten über die herrfchenden Volksfitten
kommen noch höchft barbarifche Dinge zum
Vorfchein, z. B. die Sitte in Epiros, fich zur Ehe die
Frau durch Raub zu verfchaffen (207), oder die Blutrache
(208). Leider fcheint auch der Berichterftatter
folche Dinge nicht fehr zu verurtheilen. Das eheliche
Leben, die Stellung der Frauen, die felbftändiger ift, als
man bei uns annimmt, ihre eheliche Treue, ihr heldenhafter
Charakter, ihre Arbeitfamkeit wird dabei aber
wieder recht hübfeh gefchildert (209 ff.), während die
Männer im Ganzen fchlecht wegkommen (203).
Befonders hervorftechende Züge im ethifchen Ur-
theil machen fich geltend. Die ftrenge Verurtheilung
des Verräthers, ,feit Ephialtes' wie der Berichterftatter
fagt, ift in mehrfachen Redensarten ausgeprägt (209).
Die Demuth wird gelobt in dem Sprüchwort: '0 &Eoq
öev ifitor/gev aXXov coq xotp (pxmyö xal 3 jiEgrjxpavo (358).
Antikariftotelifche oder altteftamentliche Schätzung des
Befitzes giebt^ das Wort: '0 &£oq vd oh a>vXd(y)y dxd
(pxmyoq, 'oajt jzXovxEtpy (358). Kluge Lebensregel in
chriltlicher Form enthält die Ermahnung an die Frau,
die angeheiratheten Verwandten zu lieben (101).
Ich habe mich im Vorftehenden darauf befchränkt,
die hervorftechenden Beziehungen des Kirchlichen,
Religiöfen und Sittlichen zum Volksleben an Beifpielen
herauszuftellen. Es läfst fich aus dem Buche für die Be-
urtheilung der griechifchen Volksfrömmigkeit weit mehr
gewinnen, wenn man zur Beurtheilung weitere Kategorien
anwendet. Doch glaube ich, dafs das Vorftehende
vollauf genügt, das vorliegende Buch allen denen namentlich
zu empfehlen, die die neugriechifche Kirche be-
urtheilen wollten. Das Buch giebt gerade zum Urtheil
Boden unter den Fufs.
Erichsburg. Ph. Meyer.
Herzog, w. Prof. Dr. J. J., Abriss der gesamten Kirchengeschichte
. 2. verm. u. verb. Aufl., beforgt von Lic.
G. Koffmane. 2. Bd. Kirchengefchichte des 16.—19.
Jahrhunderts. Leipzig, Befold, 1892. (X, 758 S. gr. 8.)
M. 14. —
Mit diefem II. Bande hat Koffmane feine Ueberarbei-
tung der Herzog'fchen Kirchengefchichte zum Abfchlufs
gebracht. Den Supplementband, den er 1887 bereits
jenem Werke hinzugefügt hatte, indem er das bei Herzog
ganz unberückfichtigt gelaffene 19. Jahrhundert noch bearbeitete
, hat er nun als integrirenden Beftandtheil in
das Ganze mit aufnehmen können. Für diefen grofsen
Abfchnitt hat Koffmane für die 2. Auflage nur wenig
an neuer Arbeit hinzugethan; einige kleine Ergänzungen
abgerechnet, finden wir hier wörtlich den Text
von 1887 wieder. Bedeutende Arbeit hat ihm dagegen
der Herzog'fche Text felbft gemacht. Nicht allein
dafs 10 Jahre kirchengefchichtlicher Forfchung feitdem
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