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Ausgabe:

1892

Spalte:

280-284

Autor/Hrsg.:

Hegler, Alffed

Titel/Untertitel:

Die Psychologie in Kants Ethik 1892

Rezensent:

Reischle, Max

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kirchlichen Behörden veranlafst oder kamen unter Mitwirkung
folcher zu Stande. Kirchliche Behörden führten
fchon früh eine Präventivcenfur ein, namentlich für Geift-
liche (S. 9), die theilweife bis in's 18. Jahrhundert beftand
(S. 186. 217. 219). Von Provincialfynoden wurden mit Genehmigung
der Regierung Visilatores librorum beftellt
(S. 157. 28). Verboten wurden wiederholt focinianifche
Bücher (S. 77. 88 u. f. w.), mennonitifche (S. 156. 200),
deiftifche und fpinozifthche (S. 82. 126). Viele Verbote
hängen zufammen mit den Streitigkeiten innerhalb der refor-
mirten Kirche, zwifchen Remonftranten und Contraremon-
ftranten, Coccejanern und Voetianern u. f. w. Die Verfaffer
und Drucker von anftöfsigen Büchern wurden verurtheilt zu
Geldftrafen, zu Gefängnifs und zu Verbannung; wiederholt
kommt auch ein öffentliches Verbrennen verbotener Bücher
vor. Ein Schüler Spinoza's, Adrian Koerbach, wurde 1668
wegen eines fchlechten Buches zu zehnjährigem Gefängnifs
, zehnjähriger Verbannung und Zahlung von 4000 Fl.
verurtheilt (S. 91; vgl. 219), Fr. Bruys mufste 1731 ein
Heft feiner Zeitfchrift felbft zerreifsen und wurde dann
verbannt (S. 123); noch 1760 mufste ein Buchdrucker
ein Schriftchen zerreifsen und wurde dann zu fechszehn
Jahren Zuchthaus und zu ewiger Verbannung verurtheilt
(S. 125). Als Vertheidiger der Lehr- und Prefsfreiheit
rühmt der Verf. aufser Abraham Heidanus (S. 90; f. über
ihn Real-Enc. 5, 700) C. P. Hooft, aus deffen 1597 gehaltener
Rede er einen Auszug mittheilt.

Manche der Einzelheiten, die der Verf. mit der aus anderen
Schriften bekannten Belefenheit und Genauigkeit
befpricht, haben nur für denjenigen ein Intereffe, — für
diefen aber einen grofsen Werth —, der fich mit der Ge-
fchichte der holländifchen theologifchen Literatur be-
fchäftigt. Einige für weitere Kreife intereffante Notizen
mögen hier noch hervorgehoben werden. Einige Be-
fchlüffe der Regierung wurden von auswärts veranlafst:
1703 wurde auf den Antrag der Kurfürften von der Pfalz
und von Mainz befchloffen, Eifenmenger's Entdecktes
Judenthum dürfe in Holland nicht nachgedruckt werden
(S. 103); 1754 wurde auf den Wunfeh der franzöfifchen
Regierung Educalion royalc, ein zu Amfterdam gedrucktes
Supplement zu Fönelon's Telemaque, confiscirt (S. 104).
— 1676 beantragte die Synode von Nord-Holland das
Verbot von G. Brandt's Reformationsgefchichte, worauf
man aber nicht einging (S. 74). In Utrecht wurde auf
den Antrag der theologifchen Facultät die 1685 gegen
R. Simon erfchienenen Sentimens de quelques theologiens
(von J. Clericus) verboten (S. 175). 1720 wurde eine zu
Leiden erfchienene derbe Schmähfchrift gegen die rö-
mifch-katholifche Kirche, Papekost, opgedist in Geuse
schotelen, als ,geeignet, die Angehörigen des Staates
gegen einander zu erbittern', verboten (S. 116). In den
letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunders wurden Schriften
von Voltaire (in Friesland auch fein Pralle sur la tolcrance
a l'occasion de la inort de Jean Calas), Rouffeau, Dulaurens
und anderen verboten, auch Oeuvres du philosophe de
Sanssouci (S. 127). Aus der Zeit der Napoleonifchen
Herrfchaft berichtet der Verf. S. 139 einige Curiofa: der
katholifche Geiftliche J. M. Schrant wurde 1811 zu Amfterdam
verhaftet, weil man feine Ueberfetzung einer exe-
getifchen Abhandlung des Münfter'fchen Theologen Kifte-
maker über den Primat Petri für eine Streitfchrift gegen
die gallicanifchen Freiheiten hielt, und bei dem Buchhändler
Jan Sepp, dem Vater des Verf.'s, wurde ein
mennonitifches Gefangbuch confiscirt, weil man in einem
Liede eine Anfpielung auf den Kaifer Napoleon fand; das
Buch war 1796 gedruckt!

Ueber das Officium Gregorii VII., deffen Gebrauch
1730 den katholifchen Geiftlichen verboten wurde, bei
Strafe von 1000 Fl., wovon die Hälfte dem Denuncianten
zufallen follte (S. 119), f. meinen Index 2, 788. Der Verfaffer
des Buches über die Präadamiten, welches 1655
in Amfterdam gedruckt und gleich verboten wurde,
heilst Peyrere, nicht Payrere (S. 77) und der Verfaffer

des Brutum fulmcn Sixti V. Hotoman, nicht Slotman,
wie S. 12 und im Regifter gedruckt ift.

Bonn. F. H. Reufch.

Hegler, Repetent Dr. Alfr., Die Psychologie in Kants 'Ethik.

Freiburg i/B., J. C. B. Mohr, 1891. (XII, 332 S. gr. 8.)
M. 8. —

,Die vorliegende Arbeit foll zum gefchichtlichen Ver-
ftändnifs der Ethik Kant's einen Beitrag geben, der fich
nicht fowohl auf die bahnbrechenden Gedanken derfelben,
als auf ihre Form, das Einzelne ihrer Erfcheinung und
ihres Zufammenhangs, zum Theil auch ihrer Entftehung
richtet'. In wie engem Zufammenhang gleichwohl die
geführte Unterfuchung mit den leitenden Begriffen der
Kant'fchen Ethik fteht, zeigt ein Blick auf den Inhalt
des Buches. An der Spitze fteht die Frage, wie Kant
felbft das Verhältnifs der Pfychologie zur Ethik (fowie
zu den anderen apriorifchen Wiffenfchaften) beftimmt
hat (Cap. I). Dann beginnt die Durchforfchung der Kant'fchen
Ethik felbft nach ihrer pfychologifchen Seite. Nachdem
der allgemeine pfychologifche Rahmen, die Lehre
von den Seelenvermögen (Cap. II), gemuftert ift, führt
den Verf. die Forderung des formalen Moralprincips, in
feinem Unterfchied von fubjectiven Grundfätzen(Maximen)
und in feinem Gegenfatz zu materialen Moralprincipien
(Cap. III), fodann die Formulirung des kategorifchen
Imperativs (Cap. IV) auf den entfeheidenden Begriff der
,praktifchen Vernunft' hin (Cap. V). Den Uebergang
von der Grundlegung der Ethik zur empirifchen Verwirklichung
des fittlichen Gefetzes bildet (Cap. VI) ,der
Wille und die Willensbeltimmung', und daran reihen fich
nun naturgemäfs: ,das Sittengefetz und das Gefühl', bef.
der Begriff der Achtung (Cap. VII) und ,das Urtheil über
die Sittlichkeit des Handelns' mit der Anfchauung Kant's
von der moralifchen Zurechnung und vom Gewiffen
(Cap. VIII). Zu diefen beiden Hauptgruppen Cap. III
—V und Cap. VI—VIII bilden ,die pfychologifchen Begriffe
in der fpeciellen Ethik' (Cap. IX) und Kant's Anflehten
über ,die Erziehung zur Sittlichkeit' (Cap. X) eine
Ergänzung. Nun kann abfchliefscnd, als Beitrag ,zur
Genefis der Kant'fchen Ethik', ein hiltorifcher Ueberblick
über ,die pfychologifchen Hauptbegriffe der Ethik in
der vorkritifchen Periode und die Entwicklung des
Gegenfatzes gegen die pfychologifche Ethik' gegeben
werden. — So eng fich die Capitel zufammenfchliefsen,
haben fie doch zugleich je für fich eine gewiffe Abrun-
dung, eine Reihe werthvoller Monographien; einzelne
Wiederholungen, die hierbei unvermeidlich find, nimmt
man gerne in Kauf. Das Stellenmaterial, das aus Kant's
Schriften zufammengetragen wird, ift fehr bedeutend;
foviel wie möglich wird im Wortlaut citirt. Reichliches
Nachfchlagen wird durch diefe löbliche Gewohnheit dem
Lefer freilich nicht erfpart; denn oft kommt alles auf
den Zufammenhang der Stellen an. Ueberhaupt verlangt
das Buch rechtfehaffenes Studium; denn eine allgemeine
Orientirung über Kant's Ethik will es nicht
geben, fondern fetzt es voraus. Vor allem die gewaltige
Arbeit, die in den reichlichen terminologifchen Unter-
fuchungen fleckt, kann nur würdigen, wer Kant wirklich
ftudiren will. Dazu gehört nun einmal ein Stück Kantphilologie
. Aber der Verf. ift nicht in derfelben Hecken
geblieben; er hat die Aufgabe des Hiftorikers nicht aus
den Augen verloren. Das fage ich nicht blofs deshalb,
weil er dem gefchichtlichen Zufammenhang der pfychologifchen
Begriffe Kant's mit denen der früheren deut-
fchen und englifchen Philofophen nachforfcht, oder weil
er von der Genefis der Kant'fchen Ethik nach ihrer
pfychologifchen Seite ein Bild zu geben fucht, fondern
vor allem darum, weil er bei feinem zergliedernden Eingehen
auf das Einzelne in dem Lefer doch immer wieder
den Eindruck von den grofsen Zielen diefer Ethik und
von der originalen Perfönlichkeit ihres Schöpfers belebt.