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Ausgabe:

1891

Spalte:

121-123

Autor/Hrsg.:

Wendt, Hans Hinrich

Titel/Untertitel:

Die Lehre Jesu. 2. Thl. Der Inhalt der Lehre Jesu 1891

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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durch die Analogie von Kirchen- und Dogmengefchichte) j
fo rein und klar als möglich zu zeichnen und dadurch den |
genetifchen Zufammenhang aller Momente der Selbftbe-
kundung Gottes, foweit diele das verftattet, klar zu machen' |
(S. 14). Einer breiten Darlegung der zeitgefchichtlichen
Beziehungen des Lebens Jefu und der apoftolifchen Kirche j
bedarf es dazu nicht, weil ,die dadurch nothwendig herbeigeführte
Verallgemeinerung nur zur Verflachung und j
Entflellung des offenbarenden Handelns Gottes dient'
(S. 17). Selbft Weifs hat unferem Verfaffer in diefer Beziehung
des Guten zu viel gethan: mehr noch Bey- I
fchlag; auch über diefen geht Keim hinaus, und das j
Extrem vertritt Hausrath. Ein zweites Capitel über |
,die Quellen der neuteflamentlichen Offenbarungsge-
fchichte' (S. 17 — 84) entwickelt in fortlaufender Ausein-
anderfetzung mit den Vertretern der gegenwärtigen
Evangelienkritik des Verfaffers fchon hinlänglich bekannte
Anflehten über die mündliche Tradition als gemeinfame
Quelle der Synoptiker und die Glaubwürdigkeit des vierten
Evangeliums, welchem allein apoftolifche Abfaffung mit
voller Evidenz zugefprochen werden kann (S. 79). Gelegentlich
erfahren wir auch die Anflehten des Verfaffers
über den Begriff des Mythus (S. 75 f.), welchen er dahin
ausweitet, dafs jede unhiftorilche Erzählung, wie fie auch
immer entftanden ift, in welcher eine religiöfe Gemein-
fchaft einen Beftandtheil ihrer heiligen Grundlage, erkennt
' (S. 76), darunter fällt. Gleichwohl konnte nur
durch ,Erfchleichung' der Mythentheorie auf dem Gebiete
der neuteflamentlichen Offenbarung Eingang verfchafft
werden. Selbft die Fort- und Umbildung einzelner Worte
und Reden Jefu, wie fle, als innerhalb unferer evangelifchen
Literatur flatthabend, eine bedeutfame Rolle bei Weifs
fpielt, erfährt fcharfe Zurückweifung (S. 77 f.). Ein drittes
Capitel gilt dem ,wiffenfchaftlichen Ausgangspunkt der
Darfteilung der Gefchichte Jefu Chrifti' (S. 84—91), wobei
fowohl feflgeftellt wird, dafs diefelbe Offenbarungscharakter
erft vom Moment der Johannestaufe an trage,
als auch, dafs das hier fleh offenbarende Hoheitsbewufst-
fein nichts irgendwie Angelerntes, fondern nur die ur-
fprüngliche Ausflattung feiner Perfönlichkeit bedeute.
,Es wird defshalb als die wahrhaft wiffenfehaftliche Aufgabe
der Darftellung feiner Gefchichte gelten müffen,
von der Erkenntnifs feiner perfönlichen Eigenart und
feines Selbft aus den Verlauf des Lebens Jefu zum ge-
fchichtlichen Verftändnifs zu bringen' (S. 89). Diefen
Verlauf führt die vorliegende erfte Hälfte bis zu dem mit
Matth. 4 und Joh. 4 inclusive bezeichneten Punkt. Doch
eben hierüber foll fpäter im Zufammenhang gehandelt
werden.

Strafsburg iE. H. Holtzmann.

Wen dt, Prof. Dr. Hans Hinrich, Die Lehre Jesu. 2. Thl.
Der Inhalt der Lehre Jefu. Göttingen, Vandenhoeck
& Ruprechts Verlag, 1890. (XIV, 678 S. gr. 8.)
M. 12. —

Die im erften Theil zur Darftellung gebrachten Flr-
gebnifse einer forgfältig geübten Quellenkritik (vgl. Jahrgang
1886, Nr. 9) haben dem Verfaffer die Ueberzeugung
eingetragen, dafs ,wir auf Grund der kritifch geflehteten
evangelifchen Ueberlieferung ein fehr deutliches, nicht nur
in den allgemeinen Umriffen erkennbares, fondern auch im
Einzelnen ausgeführtes Bild (nämlich von dem, was Lehre
Jefu heifsen kann) gewinnen können4 (S. VI). Das Recht
diefer Ueberzeugung ift durch die vorliegende Leiftung in
einer Weife dargethan, welche der Wiffenfchaft vom Leben
Jefu und der biblifchen Theologie zugleich zu Gute kommt
und einen erheblichen und dauernden Beitrag zur Förderung
beider Disciplinen leidet. Daneben dient das theo-
logifche Refultat auch wieder zur Beltätigung des kri-
tifchen Unterbaues, fofern der Verfaffer beanfprucht, den
Nachweis dafür geliefert zu haben, ,dafs das aus dem

Marcusevangelium und den Matthäuslogia zu erfchliefsende
Bild der Lehre Jefu ein ganz einheitliches ift, deffen einzelne
Theile mit einander und mit dem leitenden Princip des
Ganzen in organifchem Zufammenhange flehen, und dafs es
zugleich ein gefchichtlich und pfychologifch durchaus ver-
ftändliches Bild ift' (S. 650), während keineswegs das
Gleiche da der F'all ift, wo wir von der kritifchen Verarbeitung
der Evangelien abfehen und ihren Inhalt unter-
fchiedslos für unfere Erkenntnifs Jefu verwenden wollten
(S. 651).

Andererfeits bildet für Gewinnung einer folchen Erkenntnifs
die vorangehende Erledigung aller kritifchen
FYagen, zu welchen die hlvangelienforfchung Anlafs giebt,
darum keine unumgängliche Vorausfetzung, weil die Verkündigung
Jefu keine Summe von einzelnen Lehren, fondern
eine einheitliche, ideale Anfchauung von dem reli-
giöfen Verhältnifs ift, ganz beherrfcht von der Vorftellung
Gottes als Vater (S. 139 f. 145. 428 f. 643. 661). richtiger:
vom Gedanken des Reiches Gottes, hinter welchem namentlich
auch die Geltendmachung der eigenen Perfon
mit ihren mefflanifchen Anfprüchen die längfte Zeit über
faft ganz zurückgetreten ift (S. 130 f. 137 427. f. 6451.
Mit Abficht (S. 329 f.) hat fomit der Verf. einen anderen
Ausgangspunkt gewählt, als befonders feitBaur's ,Neuteft.
Theologie' (S. 45 f.) vielfach üblich geworden war, fofern
man mit Jefu Verhältnifs zur vorgefundenen Form der
Religion, feiner Kritik des altteftamentlichen Gefetzes, zu
beginnen pflegte. Das hierüber zu Sagende erfcheint vielmehr
theils gelegentlich der Ausführungen über ,die Begründung
der Gerechtigkeit auf die Gerinnung' (S. 207 f.),
theils in einem, hieran fleh anfchliefsenden, eigenen Capitel
über ,das Verhältnifs der Anfchauung Jefu vom Reiche
Gottes zu der altteftamentlichen Gottesoffenbarung' (S.
329 f.). In der That fetzt ja die auf diefem Punkte zu
conftatirende fouveräne Art, womit Jefus folche Elemente
der Gefetzesüberlieferung, welche fleh ihm als Hemmnifs
erwiefen, theils in ihrer Bedeutung befchränkt, theils geradezu
bei Seite ftellt (S. 220 f. 258 f. 332 f. 644), ein
ausgebildetes Bewufstfein nicht blos um die Eigenart des
von ihm zu bringenden Reiches Gottes (S. 330), fondern
vorher noch um die religiöfe und ftttliche Ueberlegenheit
der eigenen Perfon voraus, fo dafs die ganze Unterfuchung
eigentlich mit dem, was man ,das Selbftbewuftfein Jefu'
genannt hat, anzuheben hätte. Und dies um fo mehr,
als doch wohl auch die Idee des ,Vater-Gottes' als Reflex
diefes Bewufstfeins zu begreifen ift, welches fleh ihr
gegenüber beftimmter als ,Sohnesbewufstfein' geftaltete.
Auch fein .Reich Gottes' erwächft fchliefslich wieder aus
diefer noch tiefer gelegenen Keimzelle. ,Nur weil er in
diefem Verhältnifse zu Gott, welches er als das normale
und natürliche beurtheilt, bisher fchon ftetig gelebt und
gewebt hatte, konnte ihm bei feiner Taufe mit plötzlicher
Klarheit die offenbarungsmäfsige Erkenntnifs aufgehen,
dafs auf eben diefem religiöfen Verhältnifse das eigentliche
Wefen des erhofften göttlichen Heilsreiches beruhe
und dafs er felbft, in dem diefes Verhältnifs fchon ganz
und rein feine Verwirklichung gefunden habe, zum mefflanifchen
Begründer des Reiches Gottes berufen fei' (S. 136).

In Sätzen von der Art des foeben angeführten wird
die Grundanfchauung, welche des Verfaffers Ausführungen
zufammenhält, nicht minder erkennbar, als in der über-
flchtlichen Recapitulation am Schluffe (S. 638 —41). Im
Uebrigen mag es, um Anlage und Stoffvertheilung zu
kennzeichnen, genügen, die Ueberfchriften der fünf Ab-
fchnitte anzuführen, in welche das Ganze zerfällt: Die

gefchichtliche Anknüpfung für die Lehre Jefu (S. 15_73);

Das Aeufsere der Lehre Jefu (S. 74—129); Die Verkündigung
Jefu vom Reiche Gottes im Allgemeinen (S. 130
— 426); Das Zeugnifs Jefu von feiner Meffianität (S. 427
—602); Die Ausblicke Jefu auf die irdifche Weiterentwicklung
des Reiches Gottes (S.603—637I; Schlufsurtheile
(S. 638—662); Regifter (S. 663—678). Die weitere Gliederung
der Abfchmtte ift darauf eingerichtet, nicht blofs

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