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Ausgabe:

1891 Nr. 2

Spalte:

42-44

Autor/Hrsg.:

Lange, Konr.

Titel/Untertitel:

Der Papstesel. Ein Beitrag zur Kultur-und Kunstgeschichte des Reformationszeitalter 1891

Rezensent:

Kawerau, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1891. Nr. 2.

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Myer S. 108 f.), fondern hat gerade die entgegen gefetzte
Vorftellung zur Vorausfetzung, dafs nicht alles Irdifche
fich im Himmel vorgebildet findet. Die Vifionen Jefaja's
und Ezechiel'!* haben den kabbaliftifchen Speculationen
Material geliefert, verrathen aber deutlich genug, dafs
diefe ihnen nicht zu Grunde liegen (gegen M. S. 227).
Bei den zwei Säulen vor dem Tempel Salomo's veran-
lafst nichts, an Sephirentriaden zu denken (M. S. 185),
der Name der Rechabiten kommt ficherlich nicht von
der Merkaba Gottes, über welche fie fpeculirt haben
follen (S. 227). Die 10 Worte des Dekalogs wie die von
M. (S. 318) aufgewiefenen 10 Theile des Vaterunfers be-
weifen das Vorhandenfein einer Sephitenlehre fo wenig,
wie die 7 Geifter vor dem Thron in der Apokalypfe
oder die Jakobsleiter der Genefis (S. 308). Die S. 222
gemachten Angaben über den Inhalt der von Abraham
aus Kaldaea nach Paläftina gebrachten und dort mündlich
fortgepflanzten theofophifchen Geheimlehre find lediglich
ein Product dichtender Phantafie.

Von allen Theilen der Welt werden von M. Parallelen
zu den Gedanken des Sohar herangezogen. Aber gerade
da, wo fie vorzugsweife zu finden find, werden fie
nicht gefucht. Philo, die Neuplatoniker, die Gnoftiker,
unter denen befonders Valentinian und Bafilides hierhergehörten
, werden nur geftreift, die Mandaer nicht einmal
genannt. Ebenfo fehlt eine reinliche Darfteilung der in
den letzten Jahrhunderten vor dem Hervortreten des
Sohar hervortretenden kabbaliftifchen Philofopheme. Eine
Unterfuchung diefes Materials würde das Ergebnifs geliefert
haben, dafs der Kabbala verwandte Gedanken bei
den Juden erft feit dem Eindringen griechifcher Philo-
fophie in den letzten Jahrhunderten vor Chrifto wahrzunehmen
find; dafs diefelben nachgewiefen werden
können bis in das zweite nachchriftliche Jahrhundert,
dann aber fich im Dunkel verlieren, um erft im letzten
Drittel des erften Jahrtaufends im Zufammenhang mit
neuer, durch die Araber vermittelter Bekanntfchaft mit
griechifcher Philofophie wieder hervorzutreten , dafs fie im
letzten Jahrhundert vor Erfcheinen des Sohar eine Geftalt
angenommen hatten, der gegenüber der Sohar eigentlich
nichts Neues bringt. Bei folchem Sachverhalt hiefse
es die gefchichtliche Entwickelung auf den Kopf ftellen,
wollte man den Inhalt des Sohar zu der uralten geheimen
Quelle machen, aus der alles Frühere gefloffen fei. Der
Sohar verräth feine fpäte Abfaffung deutlich genug. Dem
Verfaffer liegt der Talmud abgefchloffen vor; er clafti-
ficirt die talmudifchen Autoritäten, wie es in nachtal-
mudifcher Zeit zu gefchehen pflegte; er kennt die Vocale
und Accente des Alten Teftaments, für welche Myer
fich genöthigt fieht, den Beweis hohen Alters zu verflachen
; die zur Zeit des Verfaffers die Welt beherrfchen-
den Mächte find Edom und Ismael, wobei die Nennung
Jefu und Muhammed's (f. Derekh Emeth Venedig 1663
zu Sohar III 282*) und die ganze für Ismael vorausgefetzte
Weltftellung beweifen, dafs nicht an das heid-
nifche Rom und die alten Araber To M. S.oaff.), fondern
an die Chriftenheit und den Islam zu denken ift. Der
S.71 f.vonM. aus einem CitateAbravanel's geführte Gegenbeweis
ift ungenügend, denn jenes Citat flammt aus Pirke
Rabbi Eliefer Cap. 30, deffen Verfaffer es liebt, feine
Gedanken in den Mund frühzeitig lebender Autoritäten
zu legen. Die Sprache des Buches hat weder in den
Targumen, noch in den Talmuden ihr Gegenflück, fondern
giebt fich als fpätesKunftproduct, wobei paläftinifches und
babylonifch.es Aramäifch in einander gewirrt werden. Da
der Anfang der meffianifchen Zeit (trotz der Gegenbemerkungen
M.'s S. 88 f.) nach den wiederholten Berechnungen
des Sohar (I 116" f., II 8* ff., III 249* 252*)
in die Jahre des Hervortretens des Buches (um 1300)
fällt, wird die Abfaffung nicht allzu lang vorher erfolgt
fein. Die Zeit der Entftehung des Sohar fleht fomit feft
genug; ob Mofe de Leon Verfaffer bez. Compilator des
Buches war, ift eine Frage von fecundärer Bedeutung.

Die im Buche niedergelegten Gedanken find ja ficherlich
nicht damals plötzlich erfunden worden, fondern das
Refultat eines durch Jahrhunderte hindurchgehenden
| hiftorifchen Proceffes. Einer nüchternen hiftorifchen
Forfchung ift aber nicht geftattet, wie felbfl Stanton,
The Jewish and the Christian Messiah (1886) S. 130 für
erlaubt hält, von diefem Product des 13. Jahrhunderts
auf Lehranfchauungen zurückzufchliefsen, welche etwa
Paulus in feinem chriftologifchen Denken beeinflufst
haben könnten.

Leipzig. Guflaf Dal man.

Lange, Konr., Der Papstesel. Ein Beitrag zur Kultur- u.
Kunftgefchichte des Reformatioriszeitalters. Göttingen,
Vandenhoeck & Ruprechts Verl., 1891. (VIII, 118 S.
m. 4 Lichtdr.-Taf. gr. 8.) M. 4. —

Als ein Beitrag "auch zur Lutherforfchung darf diefe
kunflgefchichtliche Studie Anfpruch auf Befprechung in
einer theolog. Zeitfchrift erheben. Luther und Melanch-
thon veröffentlichten 1523 die Abbildungen zweier Mon-
ftra, des in Rom 1496 aufgefundenen ,Papftefels' und
des in Freiberg in Meilsen jüngft zur Welt gekommenen
,Mönchskalbes'; beide Monltra wurden, erfleres von Me-
lanchthon auf den Papfl und fein ungeiftliches Regiment,
letzteres von Luther auf Mönche und Pfaffen ,geiftlich'
ausgedeutet. Diefe dem Zeitgefchmack tributpflichtige
Schrift fand zahlreiche Auflagen, 1535 noch eine von
1 Luther felbfl im Blick auf Paul III und das in Ausficht
geftellte Loncil vermehrte. Das Bild des ,Papftefels'
| nahm dann Luther wieder 1545 in feine grimmige ,Abbildung
des Bapftum' mit auf. In den Tagen des Interims
liefs Flacius den .Papftefel' von Magdeburg aus
auf's Neue in die Welt ausgehen, und wieder mufste der-
felbe in der Erbitterung des 30jährigen Krieges in neuer
Auflage 1632 der proteflantifchen Polemik dienflbar fein.
Und der Name ,Papftefel' als Kofename für den röm. Ponti-
fex ift feit 1523 in der protefl. Literatur des 16. Jahrh.'s
! heimifch geblieben, vgl. z. B. Erasm. Alberus bei Schade,
I Satiren I, 46. Schon längfl war es bekannt, dafs als Vor-
| läge für das Cranach'fche Bild des Papflefels ein älterer, mit
,W' gezeichneter Kupferflich — bei Lange Taf. I repro-
ducirt — gedient hatte; aber man ftritt über den Meifter,
| den diefes W bezeichnete, und über die Tendenz diefes
: Kupferftichs. Hatte man früher Wenzel von Olmütz für
den Verfertiger gehalten, fo hatte feit 1876 Thaufing
(Leben Dürer's S. 185 f.) vielen Beifall gefunden, der den
Nürnberger M. Wolgemut für den fraglichen Kupfer-
ftecher anfah. Man meinte damit ein werthvolles Datum
für das Vorhandenfein kirchlich oppofitioneller Tendenzen
in Nürnberg am Ausgang des Mittelalters erhalten zu
haben (vgl. z. B. Roth, Die Einführung der Reform, in
Nürnberg 1885 S. 9); L. Keller nahm von hier Anlafs zu
weiteren Combinationen (Joh. v. Staupitz 1888 S. 117).
Inzwifchen wurde die Autorfchaft an diefem Kupferflich
durch W. Schmidt und Max Lehrs wieder Wenzel von
Olmütz zurückgegeben, und auch Konr. Lange behandelt
jetzt die Wolgemut-Hypothefe für .endgültig' erledigt.
Es handelt fich alfo wefentlich um die Fragen: was wollte
j diefer Meifter mit feinem Stich der Welt fagen? und
wann hat er ihn gefertigt? Ferner ift zu fragen, da Wenzel
ficher eine uns verlorene italienifche Vorlage copirte:
was verfolgte wohl diefe fchon für eine Tendenz? Endlich
: wie kam Luther in den Befitz des Wenzel'fchen
Stiches, und was bewog die Reformatoren gerade 1523
zur Veröffentlichung und zu der von ihnen gegebenen
Deutung? In der Unterfuchung diefer Fragen erfreut
uns Lange mit zwei werthvollen Funden. Er macht S. 18
darauf aufmerkfam, dafs in Malipiero Annali Veneti (Archiv
io Storico VII p. 422) über ein im Jan. 1496 bei Gelegenheit
der Tiberüberfchwemmung angefchwemmtes
Monstrum berichtet wird, deffen genaue Befchreibung