Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1890 Nr. 2

Spalte:

38-39

Autor/Hrsg.:

Seeberg, Reinhold

Titel/Untertitel:

Ein Kampf um jenseitiges Leben. Lebensbild eines mittelalterlichen Frommen in protestantischer Beleuchtung 1890

Rezensent:

Harnack, Adolf

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

37

Theologifche Literaturzeitung. 1890. Nr. 2.

38

haben, aber wenigftens auf S. 60 f. finde ich nur Mate- I fo wird er mir eine auf Einzelnes eingehende Auseinander-
rial. um die Möglichkeit diefer Auffaffung zu erhärten: 1 fetzung mit Hilg.'s Argumenten für die Papftwürde und
fo weit war Harnack auch fchon gekommen. den Novatianismus des Verf.'s erlaffen. Viel energifcher,

Doch die Hauptfache, die Hilg. veranlafst hat, fein ■ als bisher irgendwo gefchehen, betont Hilg. das hohe
Buch zu Ichreiben, wird die Entdeckung fein, dafs der Selbftgefühl des Univerfalbifchofs, das diefer Redner
Verfaffer der vorliegenden Homilie, ein in jugendlichem , durchblicken laffe: ich höre nach wie vor bei ihm nur
Alter flehender, auf fein durch Petrus und Paulus funda- 1 das Selbftgefühl des katholifchen Bifchofs heraus; trotz

mentirtes Univerfalbisthum ftolzer Bifchof von Rom ift,
der aber nicht zur katholifchen Kirche Roms gehörte
— diefer Name werde vergebens bei ihm gefucht —
Sondern zur novatianifchen. Die Zeit der Verfolgungen

des Epilogs hat Hilg. für den Urfprung der Schrift aus
katharifchen Kreifen nichts vorgebracht, was mir auch
nur die Entftehung diefer Hypothefe bei Hilg. begreiflich
macht, als das Fehlen des Wortes catholicus — und gegen

und des Märtyrerthums fei vorüber; Cyprian und auch 1 folche Gründe nützt kein Streiten. Gerade der Mangel
Arnobius perbi „dcäeitis" hiventoä (cf. c.VIIp. 21, 18) lägen ! an Strenge, den auf S. 28 ff. auch Hilg. in dem Tractat
hinter ihm der fich in feiner Auffaffung von dem Sohne 1 noch bemerkt, hat, räth uns, denfelben nicht zu früh ander
Maia (c. VII p. 21, 5 f.) als Zeitgenoffen des Lac-
tantius offenbare. Da die Novatianerfecte nicht in jeder
Hinficht fich den Katholiken gleichartig entwickelt, im

zufetzen, weil die katholifche Kirche erft nach 200 milder
werden mufste, und auf die verworrenen Sätze in
Cap. I darf man nicht allzu viel bauen; am allerwenigften

Allgemeinen das Alte treuer feftgehalten habe, dürften , freilich Jemanden, der etiam Pcmlum-alterum Romanae
die grofsen Freiheiten in der Stellung zum NTlichen ecclesiae apostolum — celebravit, gleich für einen römifchen
Kanon felbft nach d. J. 313 noch nicht weiter über- Chauviniften erklären, oder wenn Paulus ,procurator et

rafchen. ,Qua scntentia tiefensa a me pacta sit alea', fo
fchlofs S. 77 Hilg.'s urfprünglicher finis vom 27. April;
der Kreis ift gefchloffen; bald nach 313, ein Novatianer,
ein Bifchof von Rom: Acesius a. 325 Xovatianorum Romanorum
episcopits vcl qui eitm proxinie anteccssä lianc
orationem Itabuisse videtur.

Hier ift dem wackeren Gelehrten doch ein feltfamer
Unfall zugeftofsen. Diefer Acefius ift niemals Bifchof von
Rom gewefen! Nach Z. f. wiff. Th. XXXII, 4, S. 509 hat
Nie. Faber zuerft die Herkunft der Homilie von einem

•icarius Christi ecclesiasticam curam agensr (c. X) genannt
wird, das fo verwerthen: Paulus werde hier dem
Petrus beigefeilt als in vicaria domini sede socius.

Von diefem meines Erachtens verunglückten Buche
Hilgenfeld's nehme ich Abfchied mit dem Ausdruck des
Wunfehes, dafs nun einmal eine Weile keine neue Hypothefe
über ,adv. a/eatores' auftauchen möchte, erftens,
damit die bisherigen Hypothetiker Zeit bekommen, ihre
Sache zu prüfen, und fodann, damit es nicht aushelft, als
hätten wir Theologen für gewöhnlich gar nichts zu thun,

römifchen Bifchof, Pamelius fchon den Novatianismus : fänden gar keine Aufgaben mehr zu löfen, und warteten
des Schriftchens geahnt, aber erft Hilg. hat ,alle Schwie- j heifshungrig, bis irgend ein neues Schriftftück entdeckt

rigkeiten' gelöft, indem er ,den Redner für den novatia
nifchen Bifchof von Rom, Acefius (um 325) oder deffen
Vorgänger hält'. Und doch ift diefer römifche Bifchof
Acefius lediglich aus dem Mifsverftändnifs geboren, das
Hilg. einem S. 38 k feiner Abhandlung citirten Satze von
Harnack in Herzog's R. E. hat angedeihen laffen: ,Für
die Gefchichte der katharifchen Gemeinde in derReichs-

hauptftadt . . . . kennen wir die Lifte der novatiani- Seeberg, Reinhold, Ein Kampf um jenseitiges Leben. Lebens-
fchen . Bifchöfe (Acefius um 325 . Sifinnius 395 bis bUd eines mittelalterlichen Frommen in proteftantifcher

wird, wie die Jiöayfj oder ein altes aus der Ecke hervorgezogen
wird, wie adv. alcat. von Harnack, um insge-
fammt in befonderen Auffätzen darüber abzuftimmen
und möglichft fo viele Meinungen als Köpfe zu produ-
ciren.

Marburg. Ad. Jülicher.

407 etc.)-. Da meint Harn, natürlich Konftantinopel, Hilg.
aber glaubt, es handle fich um Rom, obwohl die Namen
der betreffenden Bifchöfe (ihrer 7 zählt er nach Harn,
auf) ihn hätten ftutzig machen follen, und einige darunter,
vor allen Sifinnius, doch auch fonft in der Kirchenge-
fchichte eine folche Rolle als Konftantinopolitaner
fpielen, dafs Hilg. etwas hätte merken müffen. Indefs,

Beleuchtung. Dorpat, Karow, 1889. (XI, 148 S. 8.).
M. 2.40.

Der Verfaffer hat bei feinem Scheiden aus der bal-
tifchen Heimath — er lehrt bekanntlich feit Beginn diefes
Semefters an der Univerfität Erlangen —■ feinen ,Zuhörern,
Schülern und Schülerinnen' in diefem Buche eine Erwenige
Zeilen vor diefem Lapfus ift ihm ein anderer, innerungsgabe zurücklaffen wollen. Zugleich war es feine
nicht minder unglaublicher, paffirt: S. 38, Z. 17 ff. beruft ; Abficht, in einer Zeit, in welcher fo Viele über Myftik

er fich auf den Brief des römifchen Clerus an Cyprian
(epi. 8, 1) zum Erweife, wie die Geiftlichkeit Roms nach
Fabianus' Tode 250 ,vacantc episcopi sede antecessorum
(nämlich der früheren römifchen Bifchöfe) vitttperavä

reden ohne ein hinlänglich klares Bild von der claffifchen
Myftik zu befitzen, eine concrete Schilderung eines wirklichen
Myftikers aus den Quellen zu entwerfen. Das
Lebensbild Heinrich Seufe's hat er fich gewählt, weil

uegligentianr, während die dort erwähnten antecessorcs ; es den doppelten Vortheil gewährt, die Myftik an einem
nach dem Zufammenhange nur die altteftamentlichen ihrer bedeutendften Vertreter nahe zu bringen und zugleich
Priefter, die Ezechiel fchelten mufste, fein können! In die Biographik der Myftiker felbft kennen zu lernen;
der Verhandlung über das Citat Gal. 4, 1 f. in c. III der j denn Seufe's Leben ift deutfeh von feiner Freundin und
Homilie läfst fich Hilg. S. 47 von Harn, verführen, ftatt j Schülerin Elsbeth Stagel erzählt worden.
Ambrofiafter den Ambrofius zu nennen, aber wenn Jener i Es ift eine beklemmende Atmofphäre, in welche der
den Victorinus richtig heranzieht (S. 80), fo ,verbeffert' , Verfaffer feine Lefer und Leferinnen einführt. Wie mächtig
Hilg. dies wieder durch einen fchlimmen Irrthum in | tritt uns der Abftand der Zeiten entgegen, dafs uns das
Vict. Petabionenfis ftatt Victor. Afer oder Rom anus! Die I beengt, was den mittelalterlichen Menfchen befreien follte!
Jugend des Verf.'s erfchliefst er S. 48 aus dem juvenilis I Mir klang es wie fchneidender Hohn auf den armen Seufe,
ardor, mit welchem derfelbe in Cap. IV für ftrengere als ich S. 115 lefen mufste: .Auch von ihm gilt Goethe's

Kirchenzucht eintritt, — nämlich durch ein Convolut von
Stellen der Paftoralbriefe! Wenn ich zu dem Allen noch
auf S. 66 verweife, wo Hilg. behauptet, das Citat S. 22,
16 ff., durch sie dominus dicit eingeleitet, könne nicht aus
Worten der h. Schrift gefchöpft fein, weil ja darauf folge:
dicit enim scriptura, und den Lefer erinnere, dafs diefe
Unterfcheidung zwischen einem Worte des Herrn und einem
Jer Schrift nach 313 p. Chr. n. von Acefius gemacht fein foll,

Wort:

Alles geben die Götter, die unendlichen,

Ihren Lieblingen ganz,

Alle Freuden, die unendlichen,

Alle Schmerzen, die unendlichen, ganz'.

Wie konnte der Verfaffer das ftolze Selbftgefühl diefer
olympifchen Verfe auf den gefchlagenen Predigermönch