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Ausgabe:

1890 Nr. 2

Spalte:

34-35

Autor/Hrsg.:

Klostermann, Aug.

Titel/Untertitel:

Zur Theorie der biblischen Weissagung und zur Charakteristik des Hebräerbrief 1890

Rezensent:

Link, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1890. Nr. 2. 34

Begründung in 2 Chr. 8, 11 läfst Oettli wohl felber fchwer-
lich auf Tradition beruhen. Die Abftammung David's
von einer moabitifchen Stammmutter fteht mir fo feft
wie die Gefchichtlichkeit des Propheten Jona; aber für
eine Uebertreibung halte ich es, wenn Oettli. ohne ftreng
zwifchen TJeberlieferung der Namen (vgl. Riehm im H
W B s. v. Ruth) und ihrer gefchichtlichen Wahrfcheinlich-
keit zu unterfcheiden, keine Spur von Ungefchichtlich-
keit in dem lieblichen Idyll, das vorexilifch (nur die
Schlufsverfe Ruth 4, 18—22 verweife Reufs mit Recht in
die griechifche Zeit) fein foll, zugeben will und die Deutung
von Ruth gleich ,Freundin' nicht beffer findet als
die abenteuerliche Zufammenftellung mit öndov, der den
alten Ifraeliten überhaupt unbekannten Rofe.

Diefer Tadel darf jedoch keinen Lefer an dem
reichen Lobe irre machen, welches ich oben Oettli ge-
fpendet habe; in feinen Arbeiten tritt uns des Guten fo
viel entgegen, dafs ich eine Aufzählung von Einzelheiten
überflüfiig finde und zu eigenem Studium nur dringend
auffordere, indem ich hier auf einige, allgemeiner interef-
fante Mittheilungen aus der Bearbeitung des Hohenliedes
mich befchränke. Der fehr beachtenswerthe Vernich
, das HL als Melodram mit einheitlichem Inhalt
nachzuweifen, vertheilt den Gang der Handlung in folgende
15 Scenen: I) 1, 2—6; 2) 1, 7. 8; 3) i, 9—14;
4) 1, 15—17; 5) 2, 1—7: 6) 2, 8-17; 7) 3, 1—5; 8) 3,
6—n; 9) 4, 1—7; 10) 4, 8—5, 1; 11) 5, 2—6, 3; 12) 6,
4—7, 11; 13) 7, 12—8. 4; 14) 8, 5—7; 15)8, 8—14. Die
fchöne Ueberfetzung ift ftichifch gedruckt, z. B. 1, 4 in
5 Zeilen, welche ich in der Angabe der Reihenfolge der
redenden Perfonen jetzt mit den Buchftaben a bis e bezeichnen
will, indem ich Oettli's .Sulammith' und ,Sa-
lomo' durch ,Sch.' und ,S.' ausdrücke. Darnach reden
im H L.: eine Hoffrau 1, 2. 3; Sch. 1, 4 a. b; alle Hoffrauen
4 c—e. 5. 6. — Sch. 1, 7; der Freund 1, 8. — S.
1, 9—Ii; Sch. 1, 12-14. — FJer Freund 1, 15; Sch. 1,
16. 17. — Sch. 2, 1; S. 2; Sch. 3—7. — Sch. 2, 8—17. —
Sch. 3, 1—5. — Ein Wächter 3, 6—11. — S. 4, 1—7. —
Der Freund 4, 8—15; Sch. 16; der FYeund 5, 1. — Sch.
5, 2—8; die Hoffrauen 9; Sch. 10—16; die Hoffrauen 6,
1; Sch. 2. 3. — S. 6, 4—IO; Sch. 6, 11—7, 1; die Plof-
frauen 7, 2—7; S. 8—10a; Sch. 10b. c. 11. — Sch. 7,
12—8, 4. — Ein Hirt oder Bauer des Städtchens Solam
8, 5 a. b: der Freund 5 c—e; Sch. 6. 7. — Bruder 8, 8;
anderer Bruder 9; Sch. 10—12; der Freund 13; Sch. 14.
Abgefehen von den beiden letzten Scenen und den beiden
Zwifchenfpielen, welche in der zweiten und vierten
Scene vorliegen, ift der Ort der Handlung nach Oettli
immer der gleiche, nämlich das königliche Sommerfchlofs
am Libanon (vgl. H L. 8, Ii), und die Handlung verläuft
in wenigen Tagen, höchftens Wochen. In den
Zwifchenfpielen (1, 7. 8 und 1, 15—17) .errichtet der
Dichter gleichfam im Hintergrund der gegenwärtigen
Handlung eine zweite Bühne, auf welcher er den Lefer
oder Zufchauer einen rafch orientirenden Blick in die
jüngfte Vergangenheit werfen läfst'. Oettli bemerkt dazu,
man dürfe die'im HL. noch unaufgelöft enge Verbindung
der dramatifchen mit der lyrifchen
Dichtart nicht verkennen. Der Verf. hofft befcheiden
von feinem Verfuche, dafs er, wofern die Gefammtauf-
faffung nicht durchweg den Eindruck der Natürlichkeit
und Wahrheit zu erzielen vermöchte, wenigftens im einzelnen
die Schönheiten des Werks dem Verftändnifs und
Genuffe erfchliefsen werde; ich glaube, dafs diefe Hoffnung
reichlich in Erfüllung gehen wird. Wohl für immer
hat Oettli die von ihm als die Königshypothefe bezeichnete
Auffaffung widerlegt, nach welcher Sch.'s Freund
mit dem Könige S. identifch fein foll. Wir lefen S. 157
den vortrefflichen Satz: ,Die Idee des Buchs 8, 6. 7 pro-
teftirt laut gegen ein Liebesbündnis des Haremsfürften
mit der reinen SuL' Im H L., welches uns nur bis zur
Schwelle der ehelichen Verbindung führt, wie Oettli deutlich
zeigt, ,wird die gegen die Lockungen von weltlichem

Glanz und Pracht fiegreiche bräutliche Liebe gefeiert-.
Nicht nur ift den Freunden der allegorifchen und typi-
fchen Auslegung des H L. die bündige Widerlegung (vgl.
S. 167 ff. aufser der Auslegung felber) zu empfehlen,
welche diefen Irrthümern, auch der ,in ungebundene Alle-
gorefe zurückfallenden Typik Godet's' zu Theil wird,
fondern auch allen Freunden der biblifchen Wiffenfchaft
möchte ich die forgfältigfte Prüfung diefes vielleicht
wiffenfehaftlich werthvollften Theiles des Kurzgef. Kommentars
zum A. T. ans Herz legen.

Bonn. Adolf Kamphaufen.

Klostermann, Prof. Dr. Aug., Zur Theorie der biblischen
Weissagung und zur Charakteristik des Hebräerbriefs.

Zwei Vorträge. Nördlingen, Beck, 1889. (IV, 70 S. 8.)
M. 1. —

Zwei Conferenzvorträge Kloftermann's aus dem Jahre
1888 find hier nach ihrer erften Veröffentlichung im
Schleswig-Holfteinifchen Kirchen- und Schulblatt (1888,
Nr. 37—45) zu einem befonderen Schriftchen vereinigt.
Der erde, gehalten auf der Pfingftconferenz zu Flensburg,
handelt von ,der altteftamentlichen Weisfagung nach ihrer
objectiven Möglichkeit und Nothwendigkeit' und geht
darauf aus, der Prophetie Israels ihren Platz ,im allgemein
bekannten Gebiete des geiftigen Lebens derMenfch-
heit anzuweifen' (S. 2). Freilich erhalten wir hier, wie
Kl. felbft bemerkt, nur die eine Hälfte einer Theorie der
Weisfagung, da zu einer vollftändigen Löfung der Aufgabe
auch eine Erörterung der fubjectiven Möglichkeit
der Prophetie gehört. Diefer Mangel ift aber umfomehr
zu bedauern, als es fich erft in jenem zweiten Theile
endgültig herausftellen würde, ob es überhaupt erlaubt
ift, hier zwifchen fubjectiver und objectiver Möglichkeit
zu unterfcheiden. — Der Inhalt des Vortrags, der fich
durch feinfinnige Behandlung des Gegenftandes auszeichnet
, ift in Kürze folgender: Weisfagen heifst ganz allgemein
: Erfcheinungen und Ereignifse nach ihrem verborgenen
Grund und Sinn deuten, wozu indefs nur die
.Kundigen' fähig find. Demgemäfs beruht unfere gefammte
Cultur letztlich auf Weisfagung: Naturforfcher, Philo-
fophen, Erfinder, Dichter, Künftler, Gefetzgeber, — fie
Alle find im weiteren Sinne des Wortes Propheten. Religiös
aber wird die Weisfagung, wenn man Gott und
Gottes Zwecke als letzten Grund der Welt erfafst. Die
objective Möglichkeit der Prophetie beruht nun darauf,
dafs die Welt als Schöpfung Gottes der wahrnehmbare
Ausdruck feiner Gedanken ift, und dafs Alles, was ge-
fchieht, von Gott nach feinen Zwecken geleitet wird, insbesondere
aber ,alle Epochen der Blüthe und alle Kata-
ftrophen fragmentarifche Anticipationen des dieGefammt-
entwickelung abfchliefsenden Actes des Weltgerichts und
der Welterneuerung' darfteilen (S. 28). — Was nun zu-
nächft jene Verallgemeinerung des Begriffs Weisfagung
anlangt, fo entfpricht diefelbe weder dem deutfehen, noch
dem griechifchen oder gar dem hebräifchen Sprachgebrauch
und verräth nur zu deutlich das Beftreben, die
religiöfe Weltanfchauung als die bis zum letzten Ziele
vorgedrungene natürliche Welterkenntnifs erfcheinen
zu laffen. Und wenn Kl. die Weisfagung ihrer objectiven
Möglichkeit nach darauf zurückführt, dafs Allem, was ift
und was gefchieht, die von den Propheten verkündeten
Gedanken Gottes wirklich zu Grunde liegen, fo heifst
das nichts Anderes, als Etwas, was lediglich religiöfe
Ueberzeugung Derjenigen ift, welche an den Inhalt der
Weisfagung glauben, für objectiv zu Recht beftehend
erklären. Ein Glaubenssatz darf aber nicht herangezogen
werden, wenn es fich um eine allgemein gültige, wiffen-
fchaftliche Löfung eines Problems handelt.

In dem zweiten Vortrag: ,Ueber den Hebräerbrief,
mit befonderer Rückficht auf das Lehrftück vom hohe-
priefterlichen Amte Chrifti', gehalten auf der theologifchen

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