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Ausgabe:

1890 Nr. 17

Spalte:

419-420

Autor/Hrsg.:

Delitzsch, Franz

Titel/Untertitel:

Messianische Weissagungen in geschichtlicher Folge 1890

Rezensent:

Siegfried, Carl

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung. 1890. Nr. 17.

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Völter, Prof. Dan., Die Komposition der paulinischen Haupt- Völter'fchen Arbeit. Er weift nach, welch verfchieden

briete. L Der Römer- und Galaterbrief. Tübingen,
Heckenhauer, 1890. (III, 175 S. gr. 8.) M. 2. 40.

artige Gedankenreihen bei Paulus neben einander hergehen
und oft enge in einander gefchlungen find. Völter
fcheidet diefe Gedankenreihen hübfch von einander, das

Der bisherigen neuteftamentlichen_ Kritik galten die j hat ficher bleibenden Werth. Aber Völter will nicht ver
vier paulinifchen Hauptbriefe an die Korinthier, Galater j ftehen, dafs ein fo reicher Geift wie Paulus nicht in einem
und Römer als der fefte Punkt, von welchem aus die | Gedankenfchema aufgeht, und hält alles für fpätern Ein-
Gefchichte des apoftolifchen Zeitalters und die übrigen j fchub, was in die eine Schablone nicht pafst. Eine
Schriftwerke, die aus ihm herftammen follten, verftanden j freundliche Bitte wird mir der Verfaffer geftatten. Ich

und beurtheilt werden mufsten. Wenn diefe Grundlage
der bisherigen neuteftamentlichen Kritik durch R. Steck
und Völter im Anfchlufs an die holländifchen Gelehrten
Loman und Pierfon neuerdings eingehend geprüft wird.fo
läfst fich das Recht und fogar die Pflicht folcher Prüfung
gewifs nicht in Frage ziehen. Vollends wenn Völter in der
Einleitung feines Buches verfichert, dafs er den Refultaten
feiner Vorgänger felbft zweifelnd gegenübergeftanden
hat, dafs er aber durch eigene Forfchung fchliefslich felb-
ftändig in ähnliche Bahnen gekommen ift, fo hat er ohne

bitte ihn, Auguftin und Luther auf ihre theologifchen
Gedankengänge hin zu prüfen. Keiner von beiden hat auf
diefelbe Frage immer diefelbe Antwort gehabt. Darum
darf man doch ihre Werke nicht in einzelne Brocken
zerreifsen. Völter weifs das Nebeneinander von jüdifchen
und griechifchen Vorftellungen gelegentlich recht wohl
zu fchätzen (S. 49); nur für gewöhnlich fieht er in zwei
verfchiedenen Vorftellungsreihen einen Grund, auf Interpolation
zu erkennen. Dann werden auch wohl z. B.
aus Cap. 5. 6 einige Verfe geftrichen, weil fie die Klam-

Zweifel ein Recht, gehört zu werden. ! mern bilden, die diefe auf das Gefetz fonft nicht reflec

Völters Refultate in Bezug auf den Römerbrief find: tirenden Capitel mit den fie umgebenden Stücken (Cap.
1) von Paulus flammt 1, ia. 7. 5. 6. 8—17; 5 (aber j 4. 7) verbinden (S. 29). Nur auf eins fei noch hinge-
nicht 5, 13. 14. 20); 6 (aber nicht 6, 14. 15); 12; 13; 15, 1 wiefen. Cap.9—11 befprechen die Frage nach der Stellung

14—32; 16, 21—23. 2) Interpolator I: I, ib— 4. 18—3,
20 (aufser 2, 14. 15); 8, I. 3—39 3) Interpolator II:
3, 21—4, 25; 5, 13. 14- 20; 6, 14. 15; 7, 1—6; 9; 10.
4) Interpolator III: 7, 7—25; 8, 2. 5) Interpolator IV;
Ii: i5( 7—13. 6) Interpolator V: 2, 14. 15. 7) Anhange
an den Brief: 16, 1 —20; 24; 25—27.

Man könnte diefe Refultate allein fprechen laffen. Aber
dadurch möchte Völter doch Unrecht gefchehen. Zwar
der Vorwurf darf ihm nicht erfpart werden, dafs er überall
viel zu rafch auf Verfchiedenheit des Verfaffers fchliefst

des Volkes Ifrael zum erfchienenen Heil. Zuerft weift Paulus
auf die Allmacht Gottes hin, derzufolge er mit feinem
Gefchöpf machen darf, was er will; dann auf das eigene
Verfchulden Ifrael's; endlich lehrt er, Gott habe jetzt
Ifrael theilweife verftockt, damit zunächft die Fülle der
Heiden zum Heil komme; fchliefslich werde aber auch
Ifrael das Heil annehmen. Offenbar ift es falfch, wenn man
hier eine einheitliche Anfchauung fucht; in Cap. 11 werden
Cap. 9. 10 corrigirt. Paulus felber erhebt fielt von
der anfänglichen Löfung, die ihn nicht befriedigt,

wo im beften Fall Verfchiedenheit des Gedankenmaterials zu einer andern, die ihn mehr befriedigt. Wie foll man

zu betonen gewefen wäre. Nehmen wir ein Beifpiel.
5, 13. 14 fcheidet Völter aus dem urfprünglichen Römerbrief
aus. Warum? 5, 12 ift es eine ausgemachte That-
fache, die als Grundlage einer Vergleichung dient, dafs

die Behauptung beurtheilen, Cap. 11 müffe eingefcho-
ben fein, weil Cap. 9. 10 nicht dazu paffen?

Fall noch fchlimmer als dem Römerbrief geht es
bei Völter dem Galaterbrief. Er ift ihm vollftändig

durch Adam die Sünde in die Welt gekommen ift. Dafs unecht und weift ■noch dazu eine Reihe Interpolationen
diefe Grundlage der Vergleichung noch einmal feftgeftellt auf (2, 7 fin. 8. 3, 11. 12. 14a. 19 fin. 20. 29—4, 11.
wird, erfcheint Völter undenkbar. Vollends ift 5, 12 der | 24—27. 5, 13—6, 11). In der Interpolation 3, 29—4, 11
Tod als Sündenftrafe bezeichnet. Alfo kann nach Völter '■ find die Verfe 4, 4b 5a wieder interpolirt.
in v. 13. 14 nicht gefagt fein, dafs vor dem Vorhanden- Ich will nur auf 3, 19 fin. 20 näher eingehen. Die

fein des Gefetzes die Sünde nicht angerechnet wird
Hier hätte Völter Recht, wenn die Sünde jedes Einzelnen
mit feinem Tode beftraft würde. Aber befonnenerweife
mufs man aus v. 13. 14 fchliefsen, dafs in v. 12 das Todes-
verhängnifs aller als Strafe der Sünde Adam's bezeichnet
wird, fo dafs die Einzelnen erft auf Grund des Todes-
verhangnifses (iqj of) gefündigt haben. Damit kommen
wir dann auch zu einer verftändlichen Erklärung der Sünde
in der oaql (8, 3). Ich bin Völter fehr dankbar, dafs er

Worte ötaitxyeig dt' ayytKwv hinken nach Völter nach.
Ihrer Stellung nach gehören fie zu dem Nebenfatz lv/qt-
ov etc., ihrem Inhalt und Sinn nach zu dem vorhergehenden
Hauptfatz. Es ift nun freilich nicht eben fchwer zu
erkennen, dafs das Participium hinter den Nebenfatz ge-
ftellt ift, weil es ebenfo wie der Zeitfatz den Hauptfatz
einfehränkt: das Gefetz ift beigegeben, aber nur auf Zeit,
aber nur durch Engel. Um diefes rein formalen Bedenkens
willen wird nun mit 19 fin. auch v. 20 von Völter

S. 53 auf eine mir fchon feit Jahren bekannte Parallele , aus dem Text des Galaterbrief es geftrichen, wiewohl zugegeben
wird, dafs diefer Zufatz von einem confequenten
theologifchen Denker herftammt. Denn dafs die Vor-
ftellung von derGefetzgebung durch Engel in paulinifchen
Briefen fonft nicht vorliegt, dürfte Völter kaum als einen

zu diefen Verfen des Paulus hinwies. IV Efra 3, 7 heifst
es: et huic (Adamo) mandasti diligere triam tnam et prae-
terk'it eanr et stathn instituisti in eum mortem et in natio-
nibns eins. ' Leider hat Völter das Folgende (7b. 8) nicht

mehr beachtet: et natae sunt ex eo gentes--et am- j Beweis der Interpolation von 3, 19 fin. bezeichnen; lä<re

bulavit unaquaeque gens in voluntate sua et mire agebant
coram tc et spemebant praeeepta tua. Hier ift alfo auch
Adam's Sünde der Grund für das Todesverhängnifs Aller
und unter diefer Vorausfetzung fündigen fie. — Etwas

fie fonftwo bei Paulus vor, fo wäre das jedenfalls für

Völter ein Beweis, dafs fie dort ihre Quelle habe. _

Für die Ausfcheidung von 5, 13—6, 11 wird kein weiterer
Grund angeführt, als dafs 5, 13 eine Wiederholung von

anders fleht es mit 2, 14. 15. Hier ift ja die Zufammen- 5, 1 fei, dafs die Paränefe 5, 13—6, 10 mit dem Vorher-
gehörigkeit von v. 13 und 16 unzweifelhaft. Aber das heifst ! gehenden ebenfo wenig etwas zu thun hat, als mit dem
doch nicht, dafs v. 14. 15 von fremder Hand eingefchoben : Folgenden, und dafs 6, 11 ein wunderlicher Abfchlufs

fein müffen. Völter beurtheilt die paulinifchen Briefe wie
eine Stilprobe. Da foll alles hübfch an feinem Platz
ftehen; dafs Paulus einen Gedanken nachträglich bringt,

diefer Paränefe fei. So viel Referent weifs, giebt es Leute,
die 6, 11 als Anfang des Folgenden, nicht als Abfchlufs
des Vorhergehenden auffaffen.

den er vielleicht ftiliftifch richtiger früher gefetzt hätte, ; Der Beweis der Unechtheit des Galaterbriefs wird
kann Völter nicht glauben (vgl. zu 5, 20). Namentlich i aus der Theologie des Briefes geführt. Der Galaterbrief

aber will Völter zwei verfchiedene Gedankenreihen des
Paulus über dasfelbe Object nicht annehmen.

Hier liegt nun freilich m. E. der Hauptwerth der

fchhefst fich in feinen Anfchauungen vielfach an angeblich
interpolirte Stellen des Römerbriefs an. Mehrfach fei
eine anderswo (nämlich im Römerbrief) gegebene Dar-

*