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Ausgabe:

1890

Spalte:

273-277

Autor/Hrsg.:

Werner, Johs.

Titel/Untertitel:

Der Paulinismus des Irenäus 1890

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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Theologische Literaturzeitung.

Herausgegeben von D. Ad. Harnack, Prof. zu Berlin, und D. E. Schürer, Prof. zu Giefsen.

Erfcheint Preis
*He 14 Tage. Leipzig. J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung. jährlich 16 Mark.

N° ii. 31. Mai 1890. 15. Jahrgang.

Wern

rner, Der Paulinismus des Irenaeus (Jülicher),
tke, Wegweifer zur Quellen- und Litteratur-
KOnde der Kirchengefchichte (Karl Müller).
°Pffel, Kaifertum und Papftwechfel unter den
Karolingern (Ilauck).

'?ke> Forfchungen und Quellen zur Gefchichte
_Jks Konftanzer Konzils (Befs).

Ufteri, Die Bedeutung und Berechtigung des
myftifchen Elements in der chriftlichen Religion
(Kaftan).

Lamers, De christelijke zedeleer en de vraag-
stukken der hedendagsche zedekunde(Thoenes).

Rundle-Charles, Bilderdes Lebens aus chrift-
licher Gefchichte (Loeber).

Rundle-Charles, Gegenden Strom (Loeber).

Frobenius, Wie werd' ich glücklich? Wie
werd' ich feiig ? Ein Jahrgang Predigten
(Wächtler).

Holthufen, Predigten über die Epifteln des
Kirchenjahres (Wächtler).

ferner, Johs., Der Paulinismus des Irenaus. Eine kirchen-
u. dogmengefchichtliche Unterfuchung über das Ver-
hältnifs des Irenaus zu der paulinifchen Brieffamm-
lung und Theologie. [Texte u. Unterfuchgn. zur
Gefchichte der altchriftl. Literatur, hrsg. von O. v.
Gebhardt u. A. Harnack, VI. Bd., 2. Hft] Leipzig,
Hinrichs, 1889. (VI, 218 S. gr. 8.) M. 7. —

Mit der vorliegenden, noch dem alten Hafe gewidmeten
Monographie hat fich der Verf. — feit dem
"erbfte 1889 Privatdocent in Marburg — unzweifelhaft
künftig in die Reihe der theologifchen Schriftfteller ein-
pführt. Sein Thema ift glücklich gewählt; er führt es
'° durch, dafs das Intereffe des Lefers fortwährend fteigt,
pd einem grofsen Theile feiner Ergebnifse wird man
dankbar beipflichten.

Erfreulich ift die Beobachtung, wie die Kräfte des
Arbeiters während der Arbeit fich entwickeln. Breites
pd Steifes im Ausdruck, wie S. 1 ,in häufigfter Weife',
13 ,in beftimmter Tendenz beabfichtigt', S. 93 ,in fe-
cundärer Reihe' begegnet nur zu Anfang öfters; im
Aveiten Theile find folche Unebenheiten (wie S. 138:
>^vas alfo nach Iren, im unerlöften Zuftande des Menfchen
des göttlichen Ausgleichs bedarf, ift die Befreiung
a"s dem Zuftande der Knechtfchaft unter der Herrfchaft
des Teufels . . . und die Wiederherftellung des verlore-
nen Bildes der Gottähnlichkeit') überrafchende Ausnahmen
; im Ganzen fchreibt der Verf. klar und geschmackvoll
, befonders die recht gefchickte, auch wohlklingende
Formulirung wichtigerer Sätze (z. B. S. 169:
'derngemäfs tritt hier der Heilswerth des Lebens Chrifti
gänzlich hinter die Heilsbedeutung feiner Conftitution
zurück- und S. 212—218) ift rühmend hervorzuheben;
die Charakterilirung des Irenaeus am Schlufs S. 215 h
darf

glänzend heifsen. Einige Wiederholungen dienen
der Einprägung der Hauptfachen; die Dispofition des
Joffes ift namentlich im 2. Theile von mufterhafter
Einfachheit und Durchfichtigkeit. Die Titulatur der
beiden Haupttheile als ,kirchengefchichtlicher' und ,dog-
mengefchichtlicher' erfcheint uns nicht eben glücklich;
davon abgefehen ift es keineswegs zu bemängeln, dafs
der fyftematifchen Darfteilung der irenäifchen Theologie
lrn Lichte der paulinifchen ein Abfchnitt voraufgeht,
der im Einzelnen feftftellt, welche Rolle Paulus, feine
Persönlichkeit und feine Briefe in dem grofsen anti-
gnoftifchen Werke des Irenaeus fpielen — die Fragmente
hat W., um nur mit ficherem Material zu arbeiten, bei-
fcite gelaffen —; und wenn im erften Theil recht verständig
zunächft das Aeufsere der Berufung des Iren, auf
die paulinifchen Briefe, dann feine Schätzung der Perfon
and des Werkes Pauli, fchliefslich die inhaltliche An-
e'gnung der einzelnen paulinifchen Citate durch Iren.,

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feine Abficht und fein Verftändnifs bei derfelben zur
Sprache kommt, fo konnte der 2. Theil für die fyfte-
matifche Darfteilung der irenäifchen Heilslehre wohl kein
günftigeres Schema wählen, als indem er der Reihe nach
das Heilsbedürfnifs des Menfchen, die Befchaffenheit
des Heilsgutes, die objective Darbietung des Heils (und
zwar I) deren Begründung in Perfon und Werk Chrifti,
2) die Stellung des Heilswerkes Chrifti in der Reihe der
göttlichen Heilsveranftaltungen), endlich die fubjective
Aneignung des Heils feitens des Menfchen zur Erörterung
bringt. Löbliche Grundfätze hat der Verf. wie S. 142:
,Iren.'s Theologie ift nicht aus feinen einzelnen terminis,
fondern der Inhalt feiner termini aus feiner Theologie
feftzuftellen', S. 112 erinnert er nicht überflüffiger Weife
daran, dafs man von Iren, gar keine fyftematifch einheitliche
Theologie erwarten dürfe, feine ganze Theologie
fei eine ihm in der Auseinanderfetzung mit feinen
Gegnern abgedrungene Reflexion über das religiöfe Leben
, das ihn erfüllte; und auch vor dem Fehler den
Paulus als fertigen Theologen zu behandeln, will W. lieh
hüten.

So ift denn Werner's gründliche Vertiefung in das
Geiftesleben des Iren, nicht erfolglos geblieben; das
unterliegt ihm keinem Zweifel mehr, dafs der Grundzug
der irenäifchen Theologie, fo häufig wir paulinifchen
Wendungen in ihr begegnen, doch nicht paulinifch heifsen
kann; den religiöfen Kern des Paulinismus hat Iren, nicht
erfafst; fo hoch er über den Apologeten fteht, erfährt
auch bei ihm die paulinifche Pofltion eine Abwandlung
in das Rationaliftifche, Moralifirende und wird anderer-
feits verunftaltet durch seine Vorliebe für die magifche
Vergottungsidee. Der Begriff einer religiös-fittlichen
Wiedergeburt des Gläubigen, der bei Paulus im Mittelpunkte
fteht, ift dem Iren, verloren gegangen, er wandelt
auf ,dem Wege der Veräufserlichung und Verzauberung
des Evangeliums' als erfter Sohn der altkatholifchen
Kirche; das Elend des Menfchen wird nicht tief genug
aufgefafst; das Heilsgut befteht nur zum geringften Theile
in Sündenvergebung, hauptfächlich im Unfterblichkeits-
befitze; erworben ift es nicht fowohl durch Chrifti Leiden
und Sterben als durch die gottmenfehliche Conftitution
feiner Perfon; ob es dem einzelnen Individuum angeeignet
werden wird, hängt von deffen freier Entfcheidung ab,
indem es fich durch Erfüllung des Gefetzes hinreichendes
Verdienft fchafft; als Ziel der heilsgefchichtlichen
Erziehung wird nicht die Freiheit vom Gefetz, fondern
das Gefetz der Freiheit betrachtet. ,Sympathie und
innere Verwandtfchaft mit den paulinifchen Briefen ift
dem Iren, nicht anzumerken'; der hiftorifche Paulus mufs
fich gefallen laffen, von Iren, nach dem Poftulat des dog-
matildien Paulus, als eines dem Petrus völlig gleichartigen
Trägers der uniformen kirchlichen Ueberlieferung
verftanden und erklärt zu werden; Paulus dient nur dazu,

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