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Ausgabe:

1889

Spalte:

38-40

Titel/Untertitel:

Deutsch-protestantische Kämpfe in den Baltischen Provinzen Russlands 1889

Rezensent:

Eck, Samuel

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Theologifche Literaturzeitung. 1889. Nr. 2.

des Velenus auch fonft nicht als eine befondere Rarität
haben in Erinnerung bringen wollen, wenn er ein wenig
beffer in der Literatur Befcheid wüfste und — um von
evangelifchen Arbeiten zu fchweigen — wenigflens Carl
Werner ,Gefchichte der apol. u. pol. Lit.' IV 52 verglichen
hätte.

Da der Verf. Luther nicht, oder doch nur ganz oberflächlich
kennt, fo darf man fich auch nicht wundern,
dafs er ebenfo, wie vor wenigen Jahren Moufang gethan,
Dietenberger's Katechismus als deffen ,hefte' Arbeit preift,
ohne zu merken, dafs diefer das Befte darin aus Luther's
katech. Arbeiten, z. B. aus dem kleinen Katechismus, ab-
gefchrieben hat. Ich verweife dafür auf meinen Auffatz
in ,Chriftl. Welt' 1888 Nr. 19, zu welchem ich'nur hier
noch den Nachtrag geben möchte, dafs gerade das von
Wedewer S. 417 aus diefem Katechismus ausgehobene
Stück mit allerlei Umftellungen wörtlich aus Luther's
grofsem Katechismus (Erl. Ausg. 21, 53) entlehnt ift!
Bei Dietenberger's Bibclüberfetzung bemüht lieh Wedewer,
ebenfo den Verdacht unerlaubten Plagiats aus Luther's
Bibel abzufchwächen, wie auch dem Verf. genügende
eigene Kenntnifs des Hebräifchen anzudichten. Eür
erfteres ift charakteriftifch, dafs er durch Krafft's Bonner
Progr. den Erweis beigebracht fieht, dafs Luther's Ueber-
fetzung felber nur Deberarbeitung der mittelalterlichen
deutfehen Bibel gewefen fei. Unferes Wiffens haben
competente Beurtheiler fich von der fehr anfechtbaren
Methode, mit welcher Krafft jenen Beweis geführt, keineswegs
überzeugt gefehen. Wunderbar ift hierbei, zu fehen,
wie VV. fein Ürtheil über Luther's Ueberfetzung im Verlauf
feiner Darftellung felbft immer mehr fchärft. S. 156
ift ihm Luther's Arbeit trotz Benutzung der mittelalterlichen
Bibel doch eine durchaus felbftändige Arbeit,
S. 174 ift bereits die kathol. Bibel ,ftark benutzt, refp.
im neuen Teftam. wefentlich beibehalten und nur
revidirt' und S. 175 ift gar Luther's Ueberfetzung ,nur
eineUeberarbeitung diefer alten Ueberfetzung'. Warum
tollte alfo Dietenberger es mit Luther's Bibel nicht ebenfo
machen, wie diefer mit der mittelalterlichen? Der Nachweis
für Dietenberger's hebräifche Kenntnifse wird wenig
Glauben finden, wenn man das Beweisftück auf S. 398
anfleht, wo W. hervorhebt, Dietenberger nenne ja die
Bücher des Alten Teftaments mit ihren hebr. Namen
und fage z. B. ,viel beffer fage man Malacliim |foJ i. e.
Region, als Malachtoth [fo | t. e. Rcgnorum1. Ganz ab-
gefehen davon, dafs diefe Weisheit Dietenberger's doch
wohl aus des Hieronymus Prologus galeatus gefchöpft
fein dürfte, wo es jedoch ,Melachim' und ,Mamlachot'
heifst, dient fie auch in eigenthümlicher Weife zur Illuftri-
rung des Urtheils Wedewer's, dafs D. zwar kein grofser
Kenner und Meifter des Hebräifchen gewefen, aber doch
foviel davon verftanden habe, als zur Bibelüberfetzung
erforderlich gewefen. Befonderes Malheur hat W. mit
einem Briefe Witzel's, den diefer an einen ,J. D.' gefchrie-
ben hat. In diefem ,J. D.' erkennt er mit grofser Sicherheit
feinen Johann Dietenberger, denn welcher ,J. D.'
hätte fich fonft in jenen Jahren mit einer Bibelausgabe
abgegeben! Aber hat W. nie von Johann Draconites und
feiner Polyglotte gehört? Nun wenn er auch davon nichts
wufste, fo hätte er nur in Witzel's Jipisto/ae die weiteren
an denfelben J. D. gerichteten Briefe zu lefen gebraucht,
da hätte er mehr als einmal den vollftändigen Namen diefes
J. D. finden können. Aber wenn er nur wenigftens diefen
Brief richtig hätte überfetzen, ja auch nur richtig lefen
können! Witzel nennt Draconites einen, den man ,Cato
post duos1, fchelte. Wedewer weifs damit nichts anzufangen
, während er doch in einem guten lateinifchen Lexikon
den Hinweis auf Juvenal II, 40 mit feinem Jertius
Caio' hätte finden und damit zum richtigen Verftändnifs
gelangen können. Witzel nennt den Briefempfänger einen
Lutheraner, das fchreckt Wedewer nicht ab, er fchiebt,
um den Brief auf Dietenberger deuten zu können, kühn
ein jtisi' in den Text ein und bringt damit den umge-

I kehrten Sinn heraus! Witzel fchreibt ,non tu evn&r/.ttu
transcribis Bibliat. Da aber Wedewer nicht weifs, dafs in
griechifchen Drucken des 16. Jahrhunderts i und z einander
fehr ähnlich fehen, fo druckt er evy.ö-iv.wg und

j macht die unglaubliche Anmerkung, diefes fuxfhzwc fei
in griechifchen Lexicis durchaus unauffindbar! Doch
genug der Einzelheiten. Dafs der Verf. fich auch dadurch
als ,katholifchen' Hiftoriker erweift, dafs er Schriften
evangelifcher Autoren nach dem beliebten Recept citirt,
d. h. fie gebührend lobt, wenn er ein Citat aus ihnen
brauchen kann, dagegen fie kalt lächelnd als ,nicht ob-
jectiv' beifeite fchiebt, wo fie ihm unbequem find, das
fei nur nebenbei bemerkt. So dankbar wir dem Verf.
für feinen Fleifs und das von ihm zufammengetragene
Material fein müffen, fo wird doch das Urtheil gerechtfertigt
erfcheinen, dafs der Mainzer ,Katholik' die ,Ehren-

; plätze' für kathol. Hiftoriker etwas zu billig austheilt.

Kiel. G. Kawerau.

Kämpfe, deutsch-protestantische, in den Baltischen Provinzen
Russlands. Leipzig, Duncker & Humblot, 1888. (Y,
409 S. gr. 8.) M. 8. —

Deutfch-proteftantifche Kämpfe in den drei ruffifchen
Oftfeeprovinzen fchildert diefes Buch. Was heute dort
| vorgeht, wird in demfelben nur in Schlufsausführungen
j kurz geftreift. Düfter find des Verfaffers Ausfichten. Aber
| Worte eines tapferen Balten redet er, wie fie Jedem, der
auch nur kurze Zeit unter ihnen hat weilen dürfen, un-
vergcfslich im Ohre klingen. Kinder und Kindeskinder
fieht er, durch die ruffificirtc Schule wehrlos gegenüber
I der Propaganda der orientalifchen Kirche, von Halbheit,
Unwahrheit und fittlicher Verwahrlofung bedroht. Und
forgend frägt er, ob fich die Folgen, welche der orga-
nifirte Confeffionskrieg heraufbefchwören wird, noch von
Menfchenwollen und Menfchendenken werden leiten laffen.
j Aber den Muth, ,ftehen zu bleiben' und weder von den
theuerften, ideellen Gütern Eines preiszugeben noch in
J aufrührerifche Bahnen einzulenken, fchöpft er aus der
I Erinnerung an Gefahren, welchen das deutfeh-proteftan-
1 tifche Gemeinwefen an der Oftfee in früheren Zeiten
I ausgefetzt gewefen ift. Eine fchöne Aufgabe, als Hifto-
i riker feines Volkes tröftender Prophet zu "fein! Nicht in
ferne Vergangenheit braucht er zu diefem Zweck zu-
I rückzugreifen. Es handelt fich um Kämpfe gegen das
I eindringende ruffifch-ftaatliche und griechich - kirchliche
Wefen feit Beginn des Jahrhunderts bis an die Schwelle
des letzten Jahrzehnts.

Reichlich liehen dem Verfaffer neben der gedruckten
deutfehen und ruffifchen Literatur (namentlich ruffifche
j Zeitfchriften werden in dankenswerth-ausgiebigem Mafse
benutzt) handfehriftliche Quellen aller Art zur Verfügung.
I Durchweg treten die handelnden Perfonen in Briefen,
| Tagebuchnotizen, Denkfchriften, obrigkeitlichen Berichten
i und Anordnungen felbft redend vor den Lefer. Das giebt
dem Buche einen eigenen Reiz und fchützt den hifto-
' rifchen Standpunkt des Verfaffers, der ihn hoch über
den gewöhnlichen Tagesfchriftfteller erhebt. Es ift zu
bedauern, dafs er nicht überall Angaben darüber ge-
| macht hat, ob das von ihm Gebotene erftmals zum Ab-
I druck gelangt. Ein Verzeichnifs wenigftens der wichtigften,
j veröffentlichten Documcnte wäre höchft erwünfeht ge-
. wefen. Unparteilichkeit und Zuverläffigkeit aber bewähren
fich an den gleichmäfsig-ausführlichen Mittheilungen aus
j den beiden gegnerifchen Lagern. Um nur Einiges be-
fonders hervorzuheben, erwähne ich einerfeits die Denk-
fchrift des Dorpater Rectors, fpäteren Bifchofs, Ulmann,
I vom Mai 1839 über Eingriffe in das deutfehe Bildungs-
j wefen; einen Brief desfelben vom Decbr. 1842 über feine
; Amtsentfetzung; BriefedesGencralfuperintendentenWalter
j in Bezug auf die Rückbewegung der Convertiten (S. 153 ff.
165 ff. 312 ff.), und andererfeits die in ihrer lakonifcheu
Kürze äufserft bezeichnenden ,Blätter aus dem Tagebuch