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Ausgabe:

1889 Nr. 10

Spalte:

263-266

Autor/Hrsg.:

Leinz, A.

Titel/Untertitel:

Der Ehevorschrift des Concils von Trient Ausdehnung und heutige Geltung. Eine canonistische Studie 1889

Rezensent:

Köhler, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1889. Nr. 10.

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Rhein, wo man den Ultramontanismus aus nächfter Nähe
in feiner ganzen Liebenswürdigkeit kennt, unbekannte
Species. Das Phantom, was diefen Leuten vorfchwebt,
weift Warneck mit fchlagenden Gründen als folches nach
und fagt mit Recht: ,Wir bekämpfen (alfo) nicht den
Unglauben, fondern wir ftärken und vermehren ihn, wenn
wir religiöfe Kämpfe mit Rom gemeinfam führen' und
zwar darum, weil ,die römifche Kirche, wie fie heute
exiftirt, felbft die fruchtbarfte Mutter des Unglaubens ift'
(S. 27). So erklärten bei der letzten Volkszählung in
Frankreich 9684906 Franzofen, ,überhaupt zu keiner
Kirche zu gehören' (S. 28). Alfo hinweg mit folchen
romfreundlichen Sympathien! ,Von diefem Bündnifs hat
nur der Ultramontanismus, aber nicht die Sache des
Chriftenthums Gewinn' (S. 29). Sehr wahr! .Endlich"
lefen wir auf S. 29, ,kommen wir zu denjenigen Gegnern
des Evangelifchen Bundes, welche wir befonders gern
zu feinen Freunden und Mitarbeitern gewinnen möchten,
zu den rechtsftehenden, den fog. pofitiven kirchlichen
Parteien angehörenden Männern' (S. 29)

diefe felbft es verlangen' (S. 10), entbehrt nicht einer ge-
wiffen Originalität. Ob wohl alle die Opfer der Inqui-
fition und der Gegenreformation, auf welche die Kirche
ihre Gefetze nicht feiten recht nachdrücklich angewandt
hat, dies felbft verlangt haben? Wozu hätte dann die
Kirche die ihr von der Doctrin übereinftimmend zuge-
fchriebene potestas coactiva>. —- Was die obige Frage felbft
angeht, fo ift diefelbe in jedem einzelnen Fall eine qitaestio
facti; die Geltung des Tridentinifchen Decretes hängt bekanntlich
an jedem Orte davon ab, ob dasfelbe in der
betreffenden Parochie förmlich und ausdrücklich verkündigt
worden ift. Wie weit durch folche Verkündigung
auch die Proteltanten gebunden werden, ift die Frage.
Der Verf. macht hier (S. 98 ff.) einen Milderungsverfuch,
welcher nicht als glücklich bezeichnet werden kann. Die
Unterfcheidung zwifchen folchen Religionsverbänden der
Andersgläubigen, welche zur Zeit der Verkündigung des
Decretes bereits in fich abgefchloffen und von den katho-
lifchen Kreifen ftreng gefchieden waren, und für welche
daher die erfolgte Verkündigung als nicht gefchehen an-

Ihre Gegengründe, der Evangelifche Bund fei überhaupt zufehen wäre, und folchen, bei welchen damals das Be
überflüffig, feine Aufgaben erfchienen ihnen nicht klar | wufstfein ihrer rechtlichen Zugehörigkeit zur Kirche noch

genug, die Bundesgenoffenfchaft gefalle ihnen nicht,
widerlegt der Verf. in freundlicher, aber fehr beftimmter
Weife, indem er zugleich am Schlupfe noch der fchmerz-
lichen Thatfache gedenkt, wie weit das leidige Partei-
wefen die verfchiedenen Richtungen untereinander entfremdet
habe, fodafs bekanntlich fogar die Behauptung
aufgestellt wurde: ,Der Evangelifche Bund fei von den
Liberalen nur dazu geftiftet worden, um eine Agitation
gegen die fog. Hammerftein'fchen Anträge ins Werk zu
•fetzen und 'um den Orthodoxen nicht den Ruhm zu
laffen, dafs fie (durch eben diefe Anträge) das evangelifche
Bewufstfein zuerft wieder wachgerufen hätten"
(S. 41). Siel

Krefeld. F. R. Fay.

Leinz, geiftl. Lehr. Dr. A., Der Ehevorschrift des Concils von
Trient Ausdehnung und heutige Geltung. Eine canoniftifche
Studie. Freiburg i. Br., Herder, 1888. (XII, 180 S.
gr. 8.) M. 2 —

Den eigentlichen Gegenstand diefer Schrift bildet die
vielumstrittene Frage nach der Geltung des Tridentinifchen
Befchluffes über die Form der Ehefchliefsung für die Proteltanten
, m. a. W. die Frage, ob die Ehen der Protestanten
und folche Mifchehen, die nicht vor dem katho-
lifchen Pfarrer gefchloffen find, vom Standpunkt des
kirchlichen Rechts als ungültig zu betrachten feien. Sie
findet ihre Beantwortung im Sinn des correcteften Romanismus
. Der Verf. ift mit Gefchick und nicht ohne
Erfolg bemüht, mildernde, von manchen Schriftftellern
vertretene Auffaffungen zurückzuweifen und die Forderungen
des römifchen Systems in ihrer vollen Reinheit
und Schärfe hinzuftellen, verfteht jedoch gleichzeitig fehr
gut die Wege zu weifen, um durch zweckmäfsiges Diffimu-
liren und Toleriren fich mit der Wirklichkeit abzufinden,
ohne dem Princip etwas zu vergeben. Seine Arbeit bildet
infofern eine fehr chrakteriftifche Erfcheinung des modern
katholifchen Geistes.

Die grundfätzlichen Erörterungen, wodurch die Ausdehnung
des Gefetzgebungsrechts der Kirche (d. h. der
römifchen) auf die getauften Andersgläubigen erwiefen
werden foll, bieten nichts neues, find indeffen lefenswerth
für den, der fich in die unverfälfeht katholifchen Gedankengänge
über Kirche und Kirchengewalt hineinverfetzen
will. Sie könnten in ihrer rückfichtslofen Folgerichtigkeit
imponiren, wenn nicht der Grund, auf dem das Ganze
ruht, fo gar zu fchwach wäre. Interefiänt ift der völlige
Mangel an Verftändnifs für Alles, was Gewiffensrecht
und Gewiffensfreiheit heifst. Die Angabe, dafs die Kirche
ihre Gefetze auf Andersgläubige nur dann anwende, ,wenn

keineswegs völlig erlofchen war, ift willkürlich und verträgt
fich nicht mit der vom Verf. felbft (S. 104) angeführten
Entfcheidung der Congregatio Concilii von 1742.
Die Sache liegt in thesi fehr einfach. Das Concil hat
offenbar die zu feiner Zeit vorhandenen, noch aus der
katholifchen Zeit flammenden und von der ordentlichen
kirchlichen Gewalt errichteten Parochien als wirkliche
Parochien im Sinne des kirchlichen Rechts gelten laffen,
auch wo fie zur Zeit in den Händen der Ketzer waren:
in folchen ift das Decret, weil nicht verkündigt, nicht
zur Geltung gekommen. Ketzerverbände irgend einer
Art aber, welche anderweit zu Stande kamen, können
für das kirchliche Recht weder als Parochien, noch als
,Pfeudoparochien', wie ein neuerer Kanonift will (S. 98),
noch irgendwie fonft in Betracht kommen. Ketzer, welche
an Orten wohnen, wo eine katholifche Pfarrei befteht,
find von Rechtswegen diefer unterworfen und daher auch
dem Tridentinifchen Decret, wenn es in derfelben Geltung
erlangt hat. Zweifelhaft kann nur fein, wie es fich
da verhalte, wo neben einer noch aus der Zeit vor der
Glaubenstrennung flammenden, alfo legitimen Parochie,
welche jedoch bis jetzt noch nicht zurückgewonnen werden
konnte, neuerdings eine katholifche entfteht, ein Fall,
an welchen die Concilsväter noch nicht denken konnten,
und deffen Löfung dem Scharffinn römifcher Kanoniften
überlaffen bleiben mag.

Im Uebrigen erfährt man über die behandelte Frage
eigentlich nicht viel Neues. Die Declaration Benedict's XIV.
von 1741, wodurch das Tridentinifche Decret für die Niederlande
als unanwendbar erklärt wurde, fafst der Verf.
dahin auf, dafs sie nicht neues Recht gefchaffen, fondern
nur, um die vorhandenen Zweifel zu heben, den beftehen-
den Rechtszuftand klar geftellt habe: das Decret fei in
den fraglichen Gebieten nie verkündigt gewefen und
daher auch nie rechtskräftig geworden. Der Wortlaut
der Declaration ift nicht dagegen, doch fieht man nicht,
wiefern es einer folchen dann bedurft hätte, da doch
ohnehin, wie die Congr. Conc. 1638 ausgefprochen hat
(S. 83), überall da, wo die gefchehene Verkündigung des
Decretes zweifelhaft ift, deffen Beobachtung nicht erfordert
wird. Dafs die Declaration nicht willkürlich per
analogiam auf andere Gebiete, als wofür fie erlaffen wurde,
ausgedehnt werden dürfe, fondern dafür eine befondere
papfthehe Verfügung nothwendig fei, mag dem Verf. zugegeben
werden, wiewohl fich gerade von feinem Standpunkt
, d. h. bei der blofs declaratorifchen Auffaffung des
Erlaffes, Bedenken dagegen erheben liefsen. Dafs der
Papft die Ausdehnung der Declaration auf folche Gebiete,
wo die Verkündigung des Decretes unzweifelhaft erfolgt
ift, nicht gewähren könne (S. 52), ift von der declaratorifchen
Auffaffung aus richtig, jedoch für die Praxis ohne