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Ausgabe:

1888

Spalte:

89-95

Autor/Hrsg.:

Laemmer, Hugo

Titel/Untertitel:

Insttitutionen des katholischen Kirchenrechts 1888

Rezensent:

Köhler, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 188S. Nr. 4

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anfehen, wenn wir glauben, dafs es den Gottlofen beffer und Verbrechen nur darin beliehen foll, dafs letzteres
geht?' und hat die unglaublichen Theile: 1) es ift nicht ein peccatum gravc, accusatione et damnationc dignissimum
fo; 2) wenn es auch fo wäre, ift es Gottes Verhängnifs; ! fei, S. 256, alfo nur ein TJnterfchied im Grade, nicht im
3) fie müffen fich doch auf Irrthümer ftützen. Begriff). Desgleichen wenn als ,materielle Kirchenrechts-

Wir wiederholen die Vermuthung, dafs Schleier- [ quelle' in gleicher Linie neben dem Gefetzes- und Gemacher
auch über diefe Entwürfe ganz anders, tiefer, wohnheitsrecht, und zwar an erfter Stelle, das ,Naturrecht
geiftvoller gepredigt habe, als die Entwürfe ahnen laffen. ! {jus naturale, divinum)1- — letzteres, das jus divinum, in

Der Herr Herausgeber fagt im Vorwort: ,Dafs fie zum
Studiren veröffentlicht werden, nicht zum Ausführen, ge-
fchweige denn zum Extemporiren, verfleht fich von
felbft'. Allein es ift unzweifelhaft, dafs das Ergebnifs
des kritifchen Studiums diefer Entwürfe bei einigermafsen
homiletifchgefchulten Predigern in den meiden Fällen das

dem Sinne, dafs es fowohl die von Gott vor aller Offenbarung
in die menfehliche Vernunft gelegten, als die po-
(itiven, in Schrift und Tradition gegebenen Rechtsnormen
in fich faffe, — aufgezählt wird, fo ift das correct im
Sinn des kirchlichen Syftems geredet, obgleich in diefer
Form, fchwerlich haltbar. Die in der Natur der Dinge

Urtheil gänzlicher Verfehltheit fein mufs. Und dazu ift gegebenen, durch rechtsphilofophifche Forfchung zu er-

Schleiermacher uns wirklich zu gut. hebenden Principien ihrer Rechtsordnung find Norm für

. 4 ri..iic | den Gefetzgeber, aber doch nicht ohne Weiteres als

Marbure". Acneiis. , D° ji_ , ,• , •, r- 1

j geltendes Recht anwendbar; und die heil. Schrift — von

der Tradition nicht zu reden — ift alles eher als ein

juriftifch zu handhabendes Gefetzbuch.

Seinem Zweck entfprechend befchränkt fich der

Verf. in der Regel darauf, die Rechtsfätze pofitiv vor-

Laemmer, Prof. Dr. Hugo, Institutionen des katholischen
Kirchenrechts. Freiburg i/Br., Herder, 1886. (XV, 553 S.

gr. 8.) M. 7. I zutragen, ohne auf die gefchichtliche Entwickelung der

Wie aus der Vorrede zu erfehen, ift das vorliegende 1 einzelnen Inftitute näher einzugehen. So weit letzteres
Buch beftimmt als Lehrbuch zu dienen. .Hervorgegangen gefchieht, ift die Gefchichtsauffaffung felbftverftändlich
aus kirchen-und eherechtlichen Vorlefungen, — fagt der ' die ftreng traditionelle, fo bezuglich des behaupteten
Verf. — die ich in Braunsberg und Breslau gehalten, ; Urfprungs der ordincs minores aus dem Diakonate (S. 52),
follen die Inftitutionen, welche ich nun dem Druck über- des Cölibates (S. 86), der Chorbifchöfe (S. 188). Nicht
gebe, in Zukunft meinen Zuhörern als Leitfaden und mir J geringe Schwierigkeit macht der bekannte Satz des
als Anknüpfungspunkt für den akademifchen Lehrvortrag Hieronymus: idem est episcopus, qui et presbyter, doch
dienen, der das im Text Angedeutete und Skizzirte unter 1 gelingt es darüber hinwegzukommen (S. 55): er enthält
Bezugnahme auf den Quellen- und Literaturapparat der i offenbar die zur Zeit des Kirchenvaters noch nicht erNoten
zu begründen und weiter auszuführen hat'. Das ftorbene Erinnerung an frühere Verhältnifse. welche mit
Buch verdient die Anerkennung, dafs es feiner Beftim- ! dem hierarchifchen Princip des fpäteren Katholicismus
mung in vorzüglicher Weife entfpricht. Der Stoff ift ' fchlechterdings nicht zu vereinigen find. Der Kanon von
zweckmäfsig ausgewählt (mit befonderer Berückfichtigung . Nicäa, durch welchen die Patriarchalgewalt des Bifchofs
des preufsifchen Kirchenrechts und des Breslauer Diöcefan- ! von Alexandrien beftätigt wird mit dem Zufatz: tneiör,
rechts!, richtig gegen die Nachbargebiete der Dogmatik, xcu toi er rij'Pojurj imoxono) tovto awn&ig iativ, erhält
Ethik, Liturgik abgegrenzt, überfichtlich geordnet, die j (nach Maafsen) eine fo kunftvolle Deutung, dafs fchliefs-

Darftellung gedrängt und klar. Von felbft verfteht fich,
dafs die Grundlage des Ganzen der correcte römifche
Katholicismus bildet. Die Gleichftellung des Reiches
Gottes und der Kirche, der Una Sancta mit der Papft-
kirche, die Auffaffung der Kirche als eines ftaatsartigen
Organismus, die göttliche Einfetzung des Papftthums und

lieh faft der Sinn herauskommt, die Stellung der Patriarchen
beruhe auf Verleihung des Papftes (S. 146), fichcr-
lich eine Leiftung, welche nahezu die Grenze des Menfchen-
möglichen erreicht.

Formal mufterhaft ift die Analyfe der vaticanifchen
Definition über die potestas vere episcopalis et immediata

der Hierarchie, dies, und was damit weiter zufammen- 1 des Papftes (S. 109) und feine Unfehlbarkeit (S. 112)
hängt, find Axiome, deren Begründung nicht unternommen Was die erftere betrifft, gelangt indeffen der Verf. doch
wird. Darüber läfst fich mit dem Verf. nicht Breiten, nicht zu der richtigen Confequenz. Hat der Bifchof in
Er hat von den gegebenen Vorausfetzungen aus das ! feiner Diöcefe nichts auszuüben als eine Summe von
Syftem folgerecht und mit dem fichtlichen Beftreben, , Befugnifsen, die an erfter Stelle dem Papft zuftehen, und
Extreme nach Möglichkeit zu vermeiden, aufgebaut. Dafs : nur fo lange, als es nicht diefem gefällt, fie felbft in die
er in dem Kirchenrecht ein felbftftändiges Drittes neben Hand zu nehmen, fo ift wirklich nicht einzufehen, was
dem öffentlichen und Privatrecht, bezw. Staats- und er denn anders fein folle als ein Vicar oder Beamter des
Völkerrecht erblickt (S. 7), ift von feinen Vorausfetzungen Papftes, und was man in der bifchöflichen Jurisdictions-
aus nicht zu beanftanden, wenn auch an fich fchwerlich gewalt anders folle fehen können als eine von diefem
zu rechtfertigen, ebenfo feine Eintheilung des Kirchen- 1 delegirte: eine Auffaffung. die in der vaticanifchen Con-
rechts in öffentliches und Privatkirchenrecht (S. 49). I ftitution wohl nicht ausdrücklich ausgefprochen, aber
Zweifelhaft erfcheint hier, auch vom Standpunkte des I noch weniger widerfprochen ift. Gleichwohl wird jene
Verf.'s, ob es angemeffen fei, das kirchliche Vermögens- ! Confequenz von dem Verf. geleugnet: die Bifchöfe feien

recht in das Privatkirchenrecht einzuordnen, weil hier die
Kirche als Trägerin von Privatrechten erfcheine. Von
folchen, d. h. nach des Verf.'s Definition von Rechten, die
ihr .zum Zwecke eigener perfönlicher Befriedigung' im

,nicht päpftliche Beamte ohne eigene Verantwortlichkeit'
(die letztere braucht ihnen darum nicht zu fehlen, weil
fie eine ihnen vom Papft übertragene Vollmacht ausüben
), der Epilkopat beftehe ,kraft derfelben göttlichen

Unterfchied von dem .Zweck des Ganzen' zuftehen, läfst 1 Einfetzung, worauf das Papftthum beruht', und habe feine
fich doch bei der Kirche nicht reden: gerade für das j Rechte und Pflichten vermöge der von Gott felbft gekirchliche
Güterrecht kann es keinen anderen Gelichts- I troffenen Anordnung (S. 153). Die durch das Vaticanum
punkt geben, als den letzteren. — Die an der Spitze zur Macht gekommene Strömung wird auch diefe letzten
ltehende Bcgriffsbeftimmung des Rechts (im objectiven | Refte des früheren Epilkopalismus noch befeitigen. Was
Sinn! als Inbegriff von Normen, nach welchen die Hand- ! foll es heifsen, wenn auf der einen Seite mit Nachdruck
lungen der Menfchen im Verhältnifs zu anderen fich zu betont wird: die Bifchöfe in ihrer Gefammtheit haben
richten haben', ift kanoniftifch richtig, freilich auch mit ,Antheil an der Gefammtleitung der Kirche und deshalb
dem Grundfehler des kanonifchen Rechtsfyftems, der auf einem ökumenifchen Concil berathende und ent-
man^elnden Abgrenzung zwifchen Recht und Sittlich- fcheidende Stimme' (S. 156), nachher aber zu lefen ift:
keit," behaftet (daher der Unterfchied zwifchen Sünde ,Der Theil obfiegt ftets (auf dem Concil) und gilt als