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Ausgabe:

1888

Spalte:

465-467

Autor/Hrsg.:

Weiss, Bernh.

Titel/Untertitel:

Kritisch exegetisches Handbuch über den Brief an die Hebräer 1888

Rezensent:

Schürer, Emil

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Theologische Literaturzeitung.

Herausgegeben von D. Ad. Harnack, Prof. zu Marburg,und D. E. Schürer, Prof. zu Giefsen.

Erfcheint , Preis

alle 14 Tage. Leipzig. J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung. jährlich 16 Mark.

N° 19.

22. September 1888.

13. Jahrgang.

Weifs, Kritifch-exegetifches Handbuch über den

Brief an die Hebräer (Schürer).
Baffe, Das Rittergefchlecht und die Stadt Cron-

berg im Taunus (Enders).
Greyerz, Beat Ludwig von Muralt (Eck).
C lernen, Erinnerungen an Sicilien (Eck).
T h i e m e, Glaube und Witten bei Lotze (Sachfse).

V e e c k, Darfteilung und Erörterung der religions-
philofophifchen Anfchauungen Trendelenburgs
(Sachfse).

Mettinger, Lehrbuch der Fundamental-Theologie
(Wetzel).

Baffermann, Entwurf eines Syftems evange-
lifcher Liturgik (Köftlin).

Spitta, Frageftücke über Kirche und Gottes-

dienft (Köftlin).
Meinardus, Die deutfche Tonkunft (Köftlin).

Wurfter, Guftav Werner's Leben und Wirken
(Braun).

Ciaaffen, Reinheil — Einheit! (Köhler).

Weiss, Obcrconfift.-R. Prof. Dr. Bcrnh., Kritisch exegetisches
Handbuch über den Brief an die Hebräer. [Meyer's
Kommentar über das N. T. 13. Abth.| Göttingen,
Vandenhoeck & Ruprecht's Verl., 1888. (V, 369 S.
gr. 8.) M. 5. 40.

Wenn Meyer's Commentar fich auch jetzt noch,
nachdem fein Begründer fchon vor fünfzehn Jahren heimgegangen
ifl, auf voller Höhe erhält und wohl noch lange
erhalten wird, fo ift das in erfter Linie der ebenfo fachkundigen
wie felbftverleugnenden Arbeit zu danken,
welche Weifs feit mehr als zehn Jahren auf die Neu-
gcftaltung diefes grofsen Werkes verwendet hat. Sämmt-
liche Evangelien und der Römerbrief find von ihm in
wiederholten Auflagen neubearbeitet. Ueber die Paftoral-
briefe hat er (1886) einen felbftändigen Commentar ver

fammenhang lieft, defto fchwieriger wird es, jene Voraus-
fetzung feftzuhalten. Nirgends findet fich eine Warnung vor
gefetzlichem Wefen, vor Ueberfchätzung der Cultusord-
nungen. Die einzige Stelle, die fo verftanden werden kann,
ift 13, 9. Aber auch hier ift der Gegenfatz gegen judaifti-
fches Wefen nicht nothwendig gegeben. Statt deffen find
alle Ermahnungen nur darauf gerichtet, die Lefer zur
Zuverficht des Glaubens und dementfprechendem Wandel
zu ermuntern und fie vor Abfall von dem lebendigen
Gott (3, 12: axo d-eov ^cövxoq) und fittlicher Laxheit zu
warnen. Nun wird man doch den praktifchen Zweck des
Briefes in erfter Linie nach den darin enthaltenen Parä-
nefen zu beftimmen haben. Sollte es alfo nicht geboten
fein, die Abficht der dogmatifchen Erörterungen nach
Mafsgabe der Paränefen zu beftimmen, und demgemäfs
ihren Zweck in dem pofttiven Nachweis der Vorzüglich-

öffentlicht, welcher an die Stelle des Huther'fchcn ge- 1 keit der chriftlichen Heilsveranftaltungen zu finden, und

treten ift. In entfprechender Weife bietet er nun auch
einen neuen Commentar zum Hebräerbrief, welcher
dem Lünemann'fchen an die Seite tritt (auch letzterer ift
noch im Buchhandel zu haben).

Weifs' Gefammtauffaffung des Hebräerbriefes ift aus
feiner ,Biblifchen Theologie' und feiner ,Einleitung in das
Neue Teftament' hinreichend bekannt. Er hält daran
feft, dafs der Brief für die Judenchriften Paläftina's be-
ftimmt ift und diefelben vor Rückfall in's Judenthum
warnen will. Die Gründe hiefür find auch in der Einleitung
zum Commentar fehr überfichtlich zufammen-
geftellt und energifch vertreten. Ref. darf bekennen, dafs
er auf's neue verfucht hat, fie ihrem vollen Gewichte
nach auf fich wirken zu laffen. Aber je öfter er alle
Momente erwägt, defto fchwieriger erfcheint ihm jene
Auffaffung. Es handelt fich dabei um zweierlei: 1) die
Herkunft der Lefer (geborene Heiden oder geborene Juden
) und 2) ihre dermaligc religiöfe Stimmung (Neigung
zum Judaismus oder zum Abfall überhaupt). Beide Fragen
hängen zufammen, find aber nicht identifch. Es können
z. B. geborene Heiden zur Zeit judaiftifche Neigungen
haben, ja fogar umgekehrt geborene Juden heidnifche
Neigungen (wenn auch das letztere viel unwahrfchein-
licher ift). In beiden Beziehungen fcheint mir nun der
von Weifs vertretene Standpunkt durch neuere Arbeiten
(namentlich durch die Abhandlung von Soden 's, Jahrbb.
für prot. Theologie 1884) ftark erfchüttert worden zu fein.
Die dogmatifchen Ausführungen des Briefes fprechen
freilich zu Gunften der gewöhnlichen Auffaffung. Wenn
alle dogmatifchen Erörterungen darauf gerichtet find, die
Unzulänglichkeit der jüdifchen Cultusordnungen darzu-
thun, was liegt näher als der Schlufs, dafs die Lefer diefelben
hochftellten? Aber läfst fich diefer Schlufs an-
gefichts der den ganzen Brief durchziehenden Paränefen
aufrecht erhalten? Je mehr man diefe Paränefen im Zu-

nicht in dem negativen der Unzulänglichkeit der jüdifchen
Einrichtungen?

Die Vorzüge von Weifs' Einzelexegefe, ihre Sorgfalt
und Akribie, ihre Selbftändigkeit gegenüber dem
Herkommen, ihre energifche Erfaffung des Zufammen-
hanges, find fo bekannt, dafs fie hier nicht weiter hervorgehoben
zu werden brauchen. Sie bewähren fich auch
bei der vorliegenden Arbeit in reichem Mafse. In einem
wichtigen Punkte vermag Ref. freilich nicht zu folgen:
in der durchgängigen Abweifung jedes philonifchen Ein-
fluffes. Die meiften Berührungen laffen fich allerdings
auch ohne Annahme einer directen Becinfluffung erklären,
aus dem einfachen Grunde, weil der Hebräerbrief mit
Philo auf der gemeinfamen Bafis der altteftamentlich-
jüdifch-helleniftifchen Bildung fteht. Da aber Philo der
bedeutendfte Repräfentant diefer Richtung und ficher
älter ift als der Verfaffer des Hebräerbriefes, fo wird man
einen directen Zufammcnhang beider doch mindeftens
für wahrfcheinlich halten dürfen. — In einem anderen
wichtigen Punkte freue ich mich dagegen dem Herrn
Verf. unbedingt zuftimmen zu können: in feiner Erklärung
des xsXeiovöirai Chrifti (2, 10. 5, 9. 7, 28).
Während die grofse Mehrzahl der Ausleger es von der
Erhebung in den Stand der himmlifchen Plcrrlichkeit verficht
, findet Weifs, wie fchon aus feiner biblifchen Theologie
bekannt ift, darin den Gedanken, dafs auch Chriftus
erft durch die Bewährung in feinem Berufe ,fittlich
vollendet' wurde. Mit Recht beruft er fich dafür (S. 77
Anm.) auf den ^durchgängigen Sprachgebrauch des Briefes'.
Das ift aber ein chriftologifch höchft bedeutfamer Gedanke
, der in folcher Beftimmtheit in keiner anderen
Schrift des Neuen Teftamentes zum Ausdrucke kommt.

Schliefslich fei es geftattet, eine viel verhandelte
Frage kurz zu berühren, die freilich für das Verftändnifs
des Briefes fehr gleichgültig ift und lediglich antiquari-

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