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Ausgabe: | 1888 Nr. 16 |
Spalte: | 403-407 |
Autor/Hrsg.: | Pastor, Ludwig Frhr. von |
Titel/Untertitel: | Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters. Bd. I A. u. d. T.: Geschichte der Päpste im Zeitalter der Renaissance bis zur Wahl Pius’ X 1888 |
Rezensent: | Mueller, Karl |
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Theologifche Literaturzeitung. 1888. Nr. 16.
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fich auch noch für andere Schriften gewinnen, die Montet
einer früheren Zeit zuweift.
Dasfelbe gilt nun m. E. eben auch von der N. L.
Schon Dieckhoff 337 ff. hat dies gethan mit Gründen,
die zum Theil noch jetzt vollftändig zutreffen und durch
die]überaus fchwachen Gegenbemerkungen Herzog's (Rom.
Wald. 80 ff.) nicht berührt werden. Nichts, was in N. L.
waldenfifch ifl, zwingt uns, fie in die vorhufitifche Zeit
zu verweifen. Wohl aber werden wir — um von den
Gründen Dieckhoff's abzufehen — durch den Glauben an
die Nähe des Weltendes ebenfo wie durch die von Montet
aufgedeckten nahen Beziehungen zwifchen diefem und
anderen dichterifchen Erzeugnifsen (z. B. Barcd) in die
hufitifche Zeit, Ende 15. oder Anf. 16. Jahrh. verwiefen.
Auch das, was wir von Verfolgungen hören, pafst durchaus
in diefe Zeit. Das Alter der Hff. kann m. E. hiergegen
nichts beweifen. Was hat man uns in diefer Beziehung
von den waldenfifchen Hff. alles fchon aufgebunden!
Wenn aber auch Montet's Angaben in diefer Beziehung
ganz andere Glaubwürdigkeit verdienen, als die früherer
Berichterftatter, fo ift doch bei feiner Datirung von Cambridge
B (erfte Hälfte 15. Jahrh.) die bekannte Thatfache
zu bedenken, dafs in folchen abgelegenen Gegenden,
wie es die piemontefifchen, Waldenferthäler find, die
Schrift fich in ganz anderer Gleichmäfsigkeit erhält, als
in den dem grofsen Verkehr zugänglichen Strichen. Hier
find Unterfchiede von 50, ja 100 Jahren nicht feiten be-
ftimmt nachzuweifen.
Es ift hier nicht der Ort, dasfelbe Verfahren auch
für einige andere Schriften, die M. der vorhufitifchen
Zeit zuweift, zu unternehmen. Ich befchränke mich darauf,
den Satz, den ich einft ausgefprochen, zu wiederholen, dafs
m. A. n. in der ganzen waldenfifchen Traktaten-Litcratur
nicht ein einziges vorhufitifches Stück nachzuweifen ift,
fondern dafs Alles, was wirklich vorhufitifch fein mufs,
eben darum nicht in waldenfifchen Kreifen entftanden
ift, fondern, wenn es, wie ja bei der gröfseren Menge
nicht zu bezweifeln, wirklich einmal waldenfifch gewefen
ift, feitens der Waldenfer fpäter, theils ganz am Ende des
15., theils erft im 16. Jahrh. übernommen und theilweife
überarbeitet worden ift, als durch die Berührung mit den
Böhmen und der Reformation die gemeindlichen Ver-
hältnifse ftändiger geworden und die literarifchen Inter-
effen erwacht waren.
Giefsen. Karl Müller.
Pastor, Prof. Dr. Ludw., Geschichte der Päpste seit dem
Ausgang des Mittelalters. Mit Benutzung des päpftlichcn
Geheim-Archives und vieler anderer Archive bearb.
1. Bd. A. u. d. T.: Gefchichte der Päpfte im Zeitalter
der Renaiffance bis zur Wahl Pius' X. Freiburg üBr.,
Herder, 1886. (XLVI, 723 S. gr. 8.)M. 10.—; geb.M. 12.—
Wenn Recenfionen zu fchreiben immer fo einfach
wäre, wie es fich der Veffaffer des vorliegenden Buches
in feinem Courrier Allemand der Revice des questions
liistoriqucs zu machen pflegt, wo auch ein nicht blöder
Lefer häufig nicht zu erkennen vermag, ob der Berichterftatter
die von ihm befprochenen Bücher gelefen hat
oder nicht, — fo hätte die Anzeige diefes Werks nicht fo
lange auf fich warten laffen. Denn die Spannung des
gelehrten Publicums war demfelben längft vor dem Er-
fcheinen gefichert worden durch bewundernde Verkündigungen
der Dinge, die da kommen follten, und nachdem
die Stunde feiner Veröffentlichung gefchlagen, fand
man in allen bedeutenden und unbedeutenden Zeitfchriften
und Zeitungen dasfelbe gepriefen und gerühmt und
auch diefe Wolke von Zeugnifsen wieder gefammelt der
Welt vorgeführt.
Ich geftehe, dafs ich diefem Lärm von Anfang an
etwas fkeptifch gegenüberftand. Aus dem erften gröfseren
Werk des Verf.'s ,Die Reunionsbeftrebungen während der
Regierung Karls V.' (vgl. die Anzeige Brieger's in diefer
Zeitung 1882 Nr. 12) traten nirgends diejenigen Eigen-
fchaften hervor, deren der Gefchichtsfchreiber eines fo
gewaltigen Stoffs unumgänglich bedarf; und es erfchien
auch von Haufe aus nicht wahrfcheinlich, dafs die Arbeitsweife
des Verfaffers in wenigen Jahren fich fo gründlich
gebeffert hätte. Es bedurfte daher einer umfaffen-
den Nachprüfung bis ins Einzelne hinein, und da ich an
einer folchen dermalen gehindert war, fo blieb das Buch
ungebührlich lange liegen. Ich wäre auch jetzt wohl
noch nicht zu einer folchen gekommen. Allein ein anderer
hat die Arbeit in folchem Umfang an dem Haupttheil
gethan, dafs ich mich darauf befchränken durfte, fie an
einem Theil zu wiederholen: von Druffel in einer Re-
cenfion der Göttingifchen Gelehrten Anzeigen 1887 Nr. 12.
! s. 449—493.
Der Verfaffer hat die Bewunderung feiner Recen-
fenten hauptfächlich in vier Punkten auf fich gezogen:
einmal durch den aufserordentlichen Umfang feiner ar-
chivalifchen und bibliothekarifchen Forfchungen — das
•• Regifter der benutzten Archive und Handfchriftenfamm-
j lungen nimmt in dem grofsen Format des Buchs und bei
I zweifpaltigem Satz fall drei Seiten ein; fodann durch die
| Akribie und Sorgfalt feiner Unterfuchung, ferner durch
I die oft hinreifsende und fpannende Darftellung und endlich
durch die aufserordentliche Freimüthigkeit des Ur-
theils über die Schäden in der Darftellung der Gefchichte
des Papftthums. Letzterer Punkt war fchon vor Er-
fcheinen des Werks als befonders merkwürdig in vorläufigen
Anzeigen verkündigt worden.
Was nun die Darftellung betrifft, fo dürfte das Urtheil
[ dadurch doch etwas verändert werden, dafs wie Druffel zeigt
undjede Stichprobe beftätigt, das Werk in ganz aufserordcnt-
j lichem Mafs die Arbeiten feiner Vorgänger ausfchreibt: ,es
dürfte nicht übertrieben fein, wenn ich behaupte, dafs zwei
1 Drittel des Buchs aus wörtlichen Entlehnungen von
neueren Autoren beftehe', Entlehnungen, die fich bis
auf die Ueberfchriften von Capiteln herab erftrecken.
| Es ift das aber ein Verfahren, über welches der Lefer
trotz der meift in den Anmerkungen genannten Vorlagen
und trotz des mehrfachen Hinweifes auf die wörtliche
| Entlehnung durchaus im Unklaren bleiben mufs, weil die
I Anführungszeichen fehlen, die zeigen würden, dafs oft
| ganze Seiten abgefchrieben find und weil P. folche Ent-
j lehnungen felbft wieder mit eigenen oder von feiner Vorlage
erborgten gelehrten Citaten, gelegentlich fogar einem
folchen aus,ungedrucktenDepefchen'fchmückt. Doch find,
wie Dr. weiter hervorhebt — ich habe noch einige weiten
; Fälle der Art beobachtet — die Vorlagen durchaus nicht
i immer genannt. Dr. macht vielmehr eine Anzahl Stellen
j namhaft, wo dies nicht gefchieht, dafür etwa die von
j feiner Vorlage angezogene Quellenftelle (zufällig auch
j noch falfch citirt) abgedruckt wird, oder andere, wo P.
| die Citate feiner Vorlagen nicht nachgefchlagen, darum
j mit den letzteren ungenau wiedergegeben oder gar noch
den Sinn, den die Vorlagen mit ihren Worten verbunden
hatten, mifsverftanden bezw. verdreht hat.
Das führt auf die ganze Behandlungsweife der hifto-
rifchen Perfonen, Thatfachen, Vorgänge und Entwickel-
I ungen. Da läfst fich nun kurz fagen: der gerühmte Frei-
muth ift vorhanden in Dingen, auf die nichts ankommt,
oder die fich auch mit dem bellen Willen nicht mehr
anftändiger Weife verfchweigen und verkennen laffen.
Aber er verfchwindet überall da, wo man durch feinere
j oder gröbere Mittclchen verdecken, befchönigen, ent-
I Hellen zu können glaubt. Druffel hat hier eine Anzahl
der allerhandgreiflichften Dinge gefammelt (vgl. bei ihm
S. 453. 455- 457—466. 468—472. 473t. 477. 479—481. 482t.
> 487—492). Es tritt dabei namentlich auch die leicht be-
mcrkliche bezeichnende Thatfache hervor, dafs P. fehr
j häufig feine Vorlagen nur fo lange ausfchreibt, als fie
I ihm für feine Tendenz paffen, fofort aber zu anderen
I bequemeren übergeht, wenn fie ihm diefen üienft ver-