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Ausgabe:

1887 Nr. 24

Spalte:

579-581

Autor/Hrsg.:

Maass, G.

Titel/Untertitel:

Der Einfluss der Religion auf das Recht und den Staat 1887

Rezensent:

Köhler, Karl

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Seite 1, Seite 2

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579 Theologifche Literaturzeitung. 1887. Nr. 24. 580

keit der Bibel auferbauen will, als grundftürzende Härefie
bekämpft werden. Die häufigen Bemühungen, diefe That-
fache zu verhüllen, denen auch der Verf. lieh anfchliefst,
können der Kirche nur verderblich fein. Denn durch
folche Befchvvichtigungen wird der mannhafte kirchliche

Correctheit zu Tage kommen, wie S. 20: das Chriften-
thum lehre die ,Selbftopferung Gottes in Chrifto' (daher-
allein habe Gott das Recht, dem Menfchen Leiden und
Tod für Andere aufzulegen, weil er felbft Leiden und
Tod getragen S. 35), oder Seite 83: ,die zweite Perlon
Sinn gefährdet, der in der gefchichtlichen Wahrheitsfor- j (der Gottheit), welche die Chriftcn als Gott den Sohn
fchung einen fchlimmen Feind bekämpfen mufs, fo lange verehren, ift wahlfrei, weil er die Wahl hat, allein für
der Glaube der Kirche noch etwas Anderes ift als Ver- J fich und vom Vater losgelöft fein Wefen zu begründen
trauen auf Chriftus. Iis find durchaus berechtigte und oder durch Ebenbildung des Vaters in fich zu beftehen',
erfreuliche Regungen, welche fich in kirchlichen Kreifen daher Freiheit der Rede und Schrift ohne den Glauben
gegen jene vermittelnde und verhüllende Behandlung der an die Dreiperfönlichkeit und die .Selbfterniedrigung
Sache auflehnen. Beffer ift es daher, es gerade heraus Gottes' nicht möglich fei (S. 73). Es wäre um die ethifche
zu fagen, dafs eine Kirche, welche das Fürwahrhalten ' Begründung des Rechts im Chriftenthum übel beftellt,
unfehlbarer Worte und Berichte als Glauben gelten läfst, ! wenn fie in dergleichen Abfonderlichkeiten gefucht werden
die hiftorifche Wahrheitsforfchung wie den Tod und den müfste. Die Verfchiedenheit der Confeffionen gilt dem
Teufel haffen mufs, wenn fie nicht in unmännlicheSchwäche Verf. als für die behandelte Frage unerheblich. Die
verfallen will. evangelifchen Confeffionen fallen in der Union zufammen,

Marburg. W. Herrmann. welche S. 107 eine eigenthümlich nebelhaft gehaltene

bormel geboten wird. Mit der kathohfehen Kirche aber

--- find wir nach dem Verf. ,in den grofsen kirchenbildenden

Maass, Pfr. G., Der Einfluss der Religion auf das Recht und und ftaatgründenden Lehren einig' (S. 108). Es bedarf
den Staat. Gütersloh, Bertelsmann, 1886. (IV, 307 S. fur den' der m den kirchenpolitifchen Zuftand der Gegen-
M v wart einigen Einblick hat, kein Wort zur Kritik diefer

gr. 8.) M. 5. Behauptung; dafs ein proteftantifcher Theologe fo etwas

Das Buch zerfällt in zwei felbftftändige Theile: 1. Das drucken laffen kann, ift ein trauriges Zeichen.
Recht, 2. Der Staat. Nach der Vorrede will der Verf. Vom Staate heifst es im Eingang des zweiten Theils

den Nachweis liefern, ,dafs der fefte Grund des Rechtes (S. 148): die Staatsrechtslehrer feien über das, was er
und demgemäfs auch des Staates die Religion fei, und feinem Wefen nach fei, keineswegs einmüthig, doch flehe
dafs die freie und ftarke Aufrechterhaltung des Rechts fo viel feft, dafs der Staat eine Gemeinfchaft von Men-
nur auf religiöfer Grundlage erwachfen könne'. fchen fei, innerhalb deren eine Rechtsordnung herrfche.

Wer das hier geftellte Problem behandeln will, mufs Eine principielle Auffaffung vom Wefen des Staates,
vor allen Dingen einen klaren und fafsbaren Begriff vom wonach deffen Verhältnifs zur Religion zu bemeffen
Rechte und vom Staate mitbringen. Beides ift in dem wäre, wird nicht entwickelt. In fünf Abfchnitten: t. Die
vorliegenden Buch zu vermiffen. Der Verf. ftreitet ge- Erbherrfchaft, 2. das Volk und die Stände, 3. die Stand-
legentlich (S. 102) gegen das Recht ,im Sinne der Juriften', fchaft, Arbeiterftand, Bürgerftand und Stände des Geiftes,
welches das ,wahre Recht' nicht fei; was nun aber in 4. die Vertretungen des Volks und der Stände, 5. die
feinem Sinne das wahre Recht ift, hat er unterlaffen zu I Staatsverfaffungen, wird fodann ausführlich das Bild des
entwickeln. Der erfte Theil hebt ohne Umfchweife an Staates nach confervativen Grundfätzen gezeichnet und
(S. 1): ,Die Rechte des Menfchen find das Recht auf | die Nothwendigkeit der Religion für den Beftand des
Unverlctzlichkeit der Perfon, des Eigenthums, des Ver- fo gedachten Staates erörtert. Es fehlt auch hier nicht
trags und des guten Namens, die Rechte der Freiheit ! an guten, wenn auch nicht gerade neuen Gedanken, Beider
Perfon, der Wahl und Uebung des Berufs, des 1 lieh auch nicht an abfonderlichen, wie wenn S. 192 die
Schreibens und Redens, endlich die Rechte auf Achtung conftitutionelle Staatsverfaffung auf die Zweiperfönlich-
der Ueberzeugung, auf" Schirm des fittlichen Wandels keit in Gott, Vater und Sohn, begründet wird (,die Herrund
auf entfprechendes Mafs der Bildung und Erkennt- j lichkeit des Staates leuchte gerade daraus hervor, wenn
nifs'. Es fcheint danach, dafs der Verf. unter dem Recht dem Herrfcherwillen der Volkswille in freier Vereinigung
die Summe der Berechtigungen verlieht, welche der j zuftimmt', wie der Sohn dem Vater), ähnlich S. 293 die
moderne Menfch als feine Menfchenrechte in Anfpruch j Harmonie der drei Factoren Herrfcher. Überhaus und
nimmt: dafs der Begriff des Rechts damit nicht erfchöpft Abgeordnetenhaus auf den Glauben an die drei Peroder
genügend umfehrieben ift, ift klar. Bezüglich mancher
der namhaft gemachten Rechte (der Verf. redet von
einem Rechte auf Dafeinsbefriedigung S. 6, von dem
Rechte, durch den Staat vor Anreizung zur Sünde ge

fönen der Trinität.

Die Schwächen des Materialismus und der modernen
peffimiftifchen Philofophie, mit welchen fich der Verf.
des Oefteren aus einander zu fetzen hat, werden mit-

fchützt zu werden S. 112, von dem Rechte auf Bildung unter treffend aufgedeckt. Im Uebrigen fehlt es nicht

S. 124) ift die Discuffion noch keineswegs gefchloffen, | an fchiefer Auffaffung abweichender Denkweifen. Was

und wäre ein Nachweis, ob und in welchem Sinne hier S. 289 über das Majoritätsprincip vorkommt, ift eine

von einem Rechte des Individuums und einer entfprechen- Entltellung, Niemand hat noch den Sinn desfelben dahin

den Pflicht des Staates die Rede fein könne, fehr am aufgefafst: ,halte für recht, was die Meiften befchlicfsen,

Orte gewefen. (Die Aeufserung S. 20, es fei ,ein allgemeiner
Rechtsfatz, dafs man nur dasjenige befehlen
darf, was man felbft geübt hat', macht den zu Grunde liegenden
Rechtsbegriff noch fchwerer verftändlich.) Der Verf.
fucht nun im Verlauf feines erften Theiles zu zeigen,
dafs der Belitz der vorgenannten Güter für den Menfchen

nur möglich und gefichert fei unter der Vorausfetzung juriftifch entwickeltes (und nicht blofs ein folches) Ge-
der Religion. So weit fich bei der diffufen, an Ab- ■ rechtigkeitsgefühl kann fich wohl an der Anfelmifchen
fchweifungen und Unklarheiten nicht armen Schreib- ; Genugthuungstheorie ftofsen, nicht aber an der biblifchen

und handle, wie du die meiften Menfchen handeln fiehft.'
Den Juriften ifl der Verf. nicht hold. Was S. 143 über
deren ,mit Mühe zurückgehaltene Indignation' und ihren
,Ingrimm', womit fie fich an der Lehre von dem leidenden
und die Sünden der Welt fühnenden Gottmenfchen'
,die Zähne zerbeifsen' gefagt wird, ift unverfländlich. Ein

weife des Verf.'s feine Gedanken erkennen laffen, ift zu
fagen, dafs es an manchen guten Bemerkungen nicht
fehlt, eine Löfung des Problems jedoch nicht zu entdecken
ift. Was in feinen Ausführungen als Religion
auftritt, ift eine fpeculative Umdeutung altkirchlicher
Dogmen, wobei Sätze von fragwürdigfter orthodoxer

Idee von dem guten Hirten, der fein Leben läfst für
feine Schafe.

Der an der Spitze des Buchs ftehende Satz, ,dafs
der fefte Grund des Rechts und demgemäfs auch des
Staates die Religion fei', — wir fagen lieber: dafs ein
haltbarer Rechtsbegriff und eine dem entfprechende