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Ausgabe:

1886 Nr. 5

Spalte:

111-113

Autor/Hrsg.:

Bierling, Ernst Rud.

Titel/Untertitel:

Die konfessionelle Schule in Preussen und ihr Recht 1886

Rezensent:

Köhler, Karl

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Hl Theologifche Literaturzeitung. 1886. Nr. 5. 112

Coligny, die Zeit vor den Religionskriegen, liegt vor
uns; aus einzelnen Andeutungen kann man fchliefsen,
dafs weitere Bände die fpäteren 10 Jahre umfaffen wervertritt
, ift die: das im preufsifchen Staat geltende Recht
kennt keine confeflionelle, fondern nur eine paritätifche
oder Simultanfchule, d. h. eine folche, ,in welcher die

den. Auch für diefe Periode war die Hauptquelle das i Religion confeffionell gelehrt werden mufs, die Wiffen-
umfaffende Werk von Delaborde (f. Theolog. Lit.-Zeitung fchaft nicht confeffionell gelehrt werden darf, die Staats-
1879, p. 496), viel Neues wurde dem dort Gegebenen ' aufficht in dielem Sinne gehandhabt werden foll' (Gneift
nicht hinzugefügt, aber das Ganze ift gefchickt gruppirt, S. 38). Begründet wird diefe Auffaffung auf das von
klar und warm gefchrieben. Die theologifchen Verhält- dem Allgemeinen Landrecht verkündigte Grundprincip,
nifse find, und mit Recht, ausführlicher behandelt, als bei j wonach alle Schulen , Veranstaltungen des Staates' find,
Delaborde; über C.'s Uebertritt zum Proteftantismus ver- J dann auf die drei grofsen Verwaltungsgrundfätze, welche
mag der Verfaffer auch keine neueren, als die bekannten i lieh in Preufsen feit Anfang des 18. Jahrh.'s herausgebildet
Auffchlüffe zu geben. Die Frage über den Verfaffer des 1 und in dem ALR. ihre gefetzliche Sanction erhalten
Vita Colinii, für welchen gewöhnlich Franz Hotmann j haben, der Parität der Confeffionen, der allgemeinen
gilt, was der Verf. bekämpft, ift doch noch nicht damit Schulpflicht und der allgemeinen Beitragspflicht zur Er-
entfehieden; dagegen hat er damit Recht, dafs er die 1 haltung der Schulanftalten. Danach fei durch das 18. und
Erzählung Agrippa d'Aubigne's über C.'s Seelenkampf, j das erfte Drittel des 19. Jahrhunderts durchgehend ver-
ehe er fich anfehickt, für feinen Glauben zu den Waffen | fahren worden. Wenn fodann in einem folgenden Men-
zu greifen, in ihrer jetzigen Faffung für die Erfindung ; fchenalter—es ift hauptfächlich die Regierungszeit Fried-
d'Aubigne's hält. Der Verf. hält fich im Ganzen ftreng rieh Wilhelm's IV. gemeint — eine Wendung zur confef-
an den Rahmen einer biographifchen Darftellung, er giebt j fionellert Schule ftattgefunden habe, fo fei das eine
keine ausführlicheren Schilderungen über den Zuftand Umkehr des gefetzlichen Rechts durch die Verwaltungs-
der franzöfifchen Kirche, der Volksftimmung, der Hinder- praxis gewefen. Der Zielpunkt, zu welchem diefe Ent-
nifse und Fördernifse der Reformation, aber zu wünfehen wickelung bewufst oder unbewufst hinftrebte, fei die
wäre, dafs die Stellung, welche die grofsen Vafallen der Auslieferung der Schule an die Kirche, die Herftellung
Krone, der Kirche, dem Volk gegenüber einnahmen, ge- einer kirchlichen Schule, d. h. einer folchen, ,in welcher
nauer gezeichnet würde; nur dadurch ift es für unfere nicht nur die Religion, fondern auch die Wiffenfchaft
moderne Zeit, die in ganz andern Anfchauungen lebt, confeffionell gelehrt, danach dasLchrpcrfonal confeffionell
möglich, fich ein anfehauliches Bild von der Vergangen- 1 angefleht und danach auch das Auffichtsrecht gehand-
heit zu bilden und den Mafsftab für die fittliche Beur- I habt werden foll' (Gneift S. 45), alfo die Preisgabe des
theilung der Religionskriege zu gewinnen. Zum Lobe 1 grofsen Principes, dafs die Schulen Veranftaltnngen des
des Verf.'s darf aber nicht verfchwiegen werden, dafs er Staates find. Dem Art.' 24 der Verfaffungsurkunde vom
nicht in den Ton des gewöhnlichen Panegyrikers herab- 1 31. Januar 1850, welcher vorfchreibt, dafs bei der Eirt-
geftiegen ift; bei aller Liebe zu dem gröfsten Helden j richtung der Volksfchulen die confeffionellen Verhältfeines
Glaubens bleibt fein Urtheil billig und gerecht,
auch über die katholifchen Gegner Coligny's, und dies
Verfahren bildet einen recht wohlthuenden Gegenfatz zü
der perfiden Art, wie z. B. Auffy in der Revue des que-
stions historiques T. 38. p. 193 Coligny's Charakter gezeichnet
hat.

Mit der Ueberfetzung kann ich mich nicht in allen
Punkten einverftanden erklären; S. XI ift Jules Bonnet
als ,Verleger' der Briefe Calvin's bezeichnet, der gleiche
Unfinn wird an einer andern Stelle von Reufs, Baum und
Cunitz als ,Verlegern' der Werke Calvin's gefagt. Sehr
ungefchickt heifst es S. IX: C. war der gröfste .Biedermann
' feiner Zeit; die bekannte lateinifche Biographie
Coligny's (1575) kann man im Deutfchen unmöglich an

nifse ,möglichft berückfichtigt' werden follen, legt Gneilt,
auch abgefehen von der Suspenfivbeftimmung des Art. 112,
nur einen fehr geringfügigen oder keinen Werth bei
(,durch Parteicoalitionen wurde den Refolutionen und
Verfaffungsartikeln über die Kirche jene zweideutige
Faffung gegeben, für welche von entgegengefetzten
Standpunkten aus fich ftimmen läfst') und fordert Umkehr
zu dem rechtsgültigen Syftem der Simultanfchule.
Auch für Bierling ift der Satz ,die Schule ift Veranftal-
tung des Staates' der unverrückbare Ausgangspunkt.
Aber er bekämpft die Polgerungen, welche Gneilt daraus
zieht. Confeffionelle Schule ift nicht gleichbedeutend
mit kirchlicher Schule (oder Schule alsAnftalt derKirchej,
fie bedeutet eine Schule, welche für die Angehörigen

führen als: ,La' Vita Colinii, wie es S. XI und 96 ge- j einer Confeffion benimmt und danach organifirt ift. Eine
fchieht. Zum minderten unklar ift die Ueberfetzung S. IV, andere aber hat die preufsifche Gefetzgebung bis zur

Anm. : Diefe treffliche Sammlung, die ein taufend Briefe
enthält, wovon ein grofser Theil bis jetzt noch nicht
öffentlich erfchienen ift. — Ausftattung und Papier ift
fehr lobenswerth.

Stuttgart. Theodor Schott.

Bierling, Prot. Dr. Ernft Rud., Die konfessionelle Schule
in Preussen und ihr Recht. Zwei Abhandlungen. Gotha,
F. A. Perthes, 1885. (VI, 202 S. gr. 8.) M. 4.—

Die zwei Abhandlungen, welche in dem vorliegenden
Buch zufammengefafst find, betreffen 1. die confeffionelle
Schule in Preufsen vom Standpunkt der beftehenden
Gefetze, namentlich im Gebiete des Allgemeinen Landrechts
, 2. die confeffionelle Schule in Preufsen vom Standpunkte
der Unterrichtspolitik. Der Schwerpunkt liegt

in der erften Abhandlung. Diefelbe mufs als eine höchtt I Kraft bleiben follen, fo ift klar, dafs die Sätze der Verf.

Gegenwart nicht gekannt. Das ALR., welches die innere
Schulorganifation überhaupt unberührt läfst, hat die zu
feiner Zeit geltenden Schulordnungen nirgends aufgehoben
oder modificirt. Diefe aber reden durchgängig nur
von Schulen für Proteftanten oder für Katholiken, und
wenn feit dem Ende des 18. Jahrh.'s auch gemeinfame
Schulen für beide Confeffionen erfcheinen, fo find das
erfichtlich überall nur, durch befondere Verhältnifse bedingte
Ausnahmen. Alles diefes wird mit reichlichen
Urkundenbelegen überzeugend dargethan. Die Pormel
des Art. 24 der Verf.-Urk. ift, wie die Landtagsverhandlungen
, aus denen der Artikel hervorging, ausweifen, einfach
im Sinn der confeffionellen Schule gemeint, und
wenn nach Art. 112 bis zum Erlafs des in Ausficht ge-
ftellten Unterrichtsgefetzes die ,bis jetzt beftehenden gefetzlichen
Beftimmungen' hinfichtlich des Schulwefens in

beachtenswerthe Erfcheinung in der Discuffion über die
Schulfrage bezeichnet werden. Sie giebt eine einfehnei-
dende Kritik des im Jahre 1869 erfchienenen Buchs von
Gneift ,die confeffionelle Schule, ihre Unzuläffigkeit nach

Urk., fo weit fie mit dem bisherigen Rechte nicht in
Widerfpruch flehen, für die Verwaltung jetzt fchon mafs-
gebend find. Ohne in Einzelnes einzugehen, wozu hier
der Ort nicht ift, mufs gefagt werden, dafs Gneift's Auf-

preufsifchen Landesgefetzen', welche bis jetzt das letzte [ Heilungen durch die Kritik von Bierling an allen Punkten
Wort zur Sache vom Standpunkt des pofitiven Staats- | fchwer erfchüttert find. Insbefondere das Poftulat des
rechts gewefen ift. Die Auffaffung, welche Gneift dort j ,rein wiffenfehaftlichen', d. h. von aller confeffioneller