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Ausgabe:

1885 Nr. 25

Spalte:

604-606

Autor/Hrsg.:

Barth, J.

Titel/Untertitel:

Beiträge zur Erklärung des Jesaia 1885

Rezensent:

Budde, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1885. Nr. 25.

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enthaltene Notiz auf das Vorfatzblatt des neuen übertrug
, um fie vor dem Untergange zu bewahren. Der
Inhalt diefer, uns alfo leider nur in einer fpäten und wie
es fcheint gegen Ende verftümmelten Abfchrift erhaltenen
Notiz geht nun zunächft dahin, dafs die Handfchrift
vom heil. Johannes Chryfoftomus gefchrieben worden fei,
und zwar zu der Zeit, als er Diakon in Antiochien war.
Um die Betrachtung zu verliehen, welche der Verfaffer
hieran knüpft, mufs man fich erinnern, dafs der ,Codex
aureus Anthymi1— was hier gar nicht erwähnt, fondern aus
dem Juliheft des Bulletin critique als bekannt vorausgefetzt
wird —, in Berat für ein Werk des h. Chryfoftomus gilt.
Aber auch wenn wir uns deffen erinnern, wird uns
die Argumentation, welche der Verf. an die behauptete
Urheberfchaft des Chryfoftomus knüpft, nicht recht ver-
ftändlich. ,La mention de St. Jean Chrysostome n'est pas
discutable; mais pourquoi parier d'Antioche? a tant faire
que sc donner une rclique de St. Chrysostome, tiy eut-
il pas en avantage a la rapporter au temps ou St. Jean
etait eveque patriarche de la villc imperiale? N'tdait-cepas
ainsi qu'on lavait compris pour le codex aureus Anthymi
? Cela soit dit pour relever, en passant, la mention
d'Antioche1. Ein quid pro quo fcheint hier allerdings vorzuliegen
: man übertrug in Berat auf den ,Codex aureus
Anthymi1, was jene Notiz vom Codex </> prädicirt. Oder
foll man etwa um jener Tradition willen fich zu der
Annahme verfteigen, dafs durch ein Verfehen, zu Anfang
diefes Jahrhunderts, die Chryfoftomus-Notiz dem
Codex <1> beigegeben wurde, anftatt dem , Codex Anthymi' ?
Aber was wäre damit auch gewonnen? Warum follte die
Erwähnung Antiochiens im Zufammenhang mit dem
,Codex Anthymi1 eine befriedigendere Erklärung finden,
als in Verbindung mit dem Codex Wi Auf diefe Frage
bleibt uns der Verf. die Antwort fchuldig. Unferes Erachtens
ifl die Erwähnung Antiochiens völlig irrelevant.
Sehr wohl aber ift es zu verliehen, dafs man, wenn einmal
diefe Ferfon dazu auserfehen war, den heil. Johannes
als Antiochenifchen Diakon Schreiberdienfte verrichten
liefs, und nicht als Patriarchen von Conflantinopel. —Auf
das weitere Detail jener Notiz einzugehen, müffen wir
uns vertagen. Erwähnt fei nur noch, dafs der Verf. die
darin berichtete Niederlegung der Handfchrift im Klofter
des Theologen nach Patmos verlegt (in Berat befindet
fich jetzt zwar eine Kirche, aber kein Klolter diefes Namens
), wohin fie etwa aus Kleinafien oder Syrien gelangt
fein könnte.

Die Handfchrift befiehl aus 190 Blättern, welche,
mit wenigen Ausnahmen, wohl erhalten find. Es fehlen,
abgefehen von den xeqiähaia zum Ev. Matthaei und fon-
fligen Zugaben (Ep. Eusebii ad Carp. und Canones), Mt. 1,
1—6,3. 7>2fi— 8,7-2) 18,25 — 19,3.23,4—13. Mc. 14, 62—
16,20. Hinfichtlich des Stoffes wie in der Anordnung der
Schrift in zwei Columnen und in der fonftigen Einrichtung
erinnert der Cod. Berat, fehr an den Cod. Rossan., nur dafs
die Buchftaben gröfser, die Zahl der Linien auf der Seite
und die Zahl der Buchftaben jeder Linie kleiner find.
Auch hier ift für die xecpalaia und die Sectionsbezeich-
nungen eine von der des Textes abweichende, kleinere
längliche Schrift gewählt, welche nach dem Urtheil des
Verf.'s der entfprechenden Schrift des Cod. Rossan. fehr
ähnlich ift. Von der Schrift des Textes felbft gilt Letzteres,
abgefehen von dem Unterfchied in der Gröfse, noch infofern
nicht, als im Cod. Berat., wie aus dem beigegebenen
, anfcheinend recht wohl gelungenen Facfimile zu
erfehen, einzelne Buchftaben, namentlich am Ausgange
der Zeilen, von der kreisförmigen und quadratifchen
Form fchon nicht unerheblich abweichen.3) Ref. vermag

2) So im mehrerwähnten Juliheft des Bulletin critique. In der vorliegenden
Brochure wird (S. 10 f.) als erfte Lücke Mt. I — 8, 7 und als
zweite Mt. 7, 26—8, 7 angegeben.

3) Man beachte namentlich das T gegen Ende der dritten, das N
gegen Ende der fünften, das ü und I I am Ende der vorletzten und das

daher dem Urtheile des Verf.'s nicht beizupflichten, wenn
er S. 13 von der Schrift des Cod. Berat, behauptet:
,Elle est certainement plus ancienne que celle du Dioscoride
de Vienne, dato de 506 environ, plus ancienne que celle
de Pevangile P de Wolfenbiit/el, gut est du VR siede; et
Von peut la rapprocher sans hinter des fraqments palim-
psestes de Pevangile Q de Wolfenbüttel qui est du Ve siede,
ou mieux encore du fragment palimpseste de Pevangile I,
7, de St. Petersbourg; dornte comme du VR1. Das Gegen-
theil von alledem ift unferes Erachtens richtig, und nur
darüber liefse fich allenfalls discutiren, ob die Entftehung
der Handfchrift noch im ausgehenden 6. oder, was un-
! gleich wahrfcheinlicher, erft im 7. Jahthundert zu
fuchen ift.

Mag aber in der That der Cod. Berat, erheblich
jünger fein als der Cod. Rossan., fo ift der Text desertieren
ohne ETage um vieles intereffanter. Ein ab-
fchliefsendes Urtheil darüber wird erft möglich fein,
I wenn er vollftändig vorliegt. Die mitgetheilten Proben
! laffen im allgemeinen, ähnlich wie in den beiden anderen
| Purpurhandfchriftcn, eine bunte Mifchung verfchieden-
artiger Elemente erkennen; unter diefen Elementen aber
I ift das occidentalifche durch einzelne fehr charakteriftifche
Beifpiele vertreten (vgl. namentlich den längeren Zufatz
nach Mt. 20, 28, welchen aufser D keine andere grie-
chifche Handfchrift darbietet), und diefer Umftand verleiht
dem Cod. Berat, einen hervorragenden textgefchicht-
lichen Werth. Durch vollftändige und genaue Veröffentlichung
desfelben, welche hoffentlich nicht lange auf
I fich warten läfst, kann daher der Verf. fich ein nicht unbedeutendes
Verdienft erwerben.

Dafs der Herr Verf. den Namen Harnack's dem des
Unterzeichneten vorzieht (S. 5 Anmerk. 2), fei ihm
! unverdacht. Dafs er aber überall den Erfteren dafür
verantwortlich macht, was der Letztere allein vertritt
(S. 15 Anm. 2, S. 16 Z. 6 und Z. 9), ift ein Irrthum,
welcher bei einiger Aufmerkfamkeit hätte vermieden
werden können.

Berlin. U. v. Gebhardt.

Barth, J., Beiträge zur Erklärung des Jesaia. Karlsruhe,
Reuther, 1885. (28 S. gr. 8.) M. 1. 50.

Wenn die Ausleger des Alten Teftamentcs öfter, als
es zu gefchehen pflegt, ihre Ausbeute an neuen Beobachtungen
zu einzelnen Büchern der üeffentlichkeit übergäben
, fo könnte durch folchen Austaufch wohlerwogener
Ergebnifse reiche Frucht erzielt werden, ohne den
Wuft der Commentare zu vermehren, die oft nur das
Neue unter Altem zu vergraben dienen. Wir find daher
dem Verfaffer diefer ,Beiträge' aufrichtigen Dank fchuldig
; fie werden auch da fördern und anregen, wo man
die Zuftimmung glaubt vertagen zu müffen.

Der Verf. bietet ein buntes Allerlei, geordnet nach
j der Reihenfolge der Stellen: Beiträge zur Einzelauslegung,
j fowohl rein lexikalifche wie folche, die mehr die Auf-
faffung des überfetzten Textes angehen, und Beiträge
zum Verftändnifs und zur Einordnung ganzer Abfchnitte.
Die neue Ableitung des DTM b*nE in 1, 22 dürfte
I fich kaum empfehlen, da wörtlich überfetzt nur ein ,mit
j Waffer verfruchtfaftet' herauskäme. Dagegen verdienen
I die Vorfchläge zu 3, 12 (ein zweites ybn = .verwirren',

verwandt mit bbl), 38, 10 (zu ^ ^a-Q vgl. arab. 5»Uj>
= .Lebenskraft') und 41, 21 (05tVrd»=* ,eure Proceffe',
vgl. B^üisy Prov. 18, 18) alle Beachtung.

Was die Einzelauslegung angeht, fo wird ein günfti-

() gegen Ende der letzten Zeile. Diefem Augenfchein gegenüber ift es
fchwer zu verftehen, wie der Verf. S. 12 fchreiben kann: ,Lcs lettrcs
rondes, comme 6ÖOC ne s'allongent jamais, et /es lettres carrets,
comme I IMNN »' sont /<"»a>s rectanguZaires, pas mime a la fin des
lignes'.