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Ausgabe:

1885

Spalte:

212-213

Autor/Hrsg.:

Kuhn, Félix

Titel/Untertitel:

Luther, sa vie et son oeuvre. 3 tomes 1885

Rezensent:

Kolde, Theodor

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unentbehrliches Supplement zu der Schöne'fchen Ausgabe
dar. Die lateinifche Ueberfetzung mit den Noten unter
dem Texte rührt von Siegfried her, den hiftorifch-kriti-
fchen Teil der Arbeit hat Geizer übernommen. Derfelbe
hat alles, was in dem betreffenden erffen Theil des Dio-
nyfios aus Eufebios flammt, herausgehoben, und über
die anderwärts hergenommenen Abfchnittemeift nur kurze i
Nachweife ihres Urfprungs hinzugefügt. Die Ausgabe
ift fo eingerichtet, dafs links der Text des Dionyfios,
rechts die griechifchen Ueberrefte des Eufebios (nach
Synkellos, beziehungsweife nach der Ofterchronik) abgedruckt
find; zwei fchmale Columnen in der Mitte bieten
die Jahre Abraham's nach Hieronymus und nach der ar-
menifchen Ueberfetzung. Doch ift der Grundfatz, nur
das aus den XQovr/.oi xavovsg Herrührende wiederzugeben,
nicht ausnahmslos durchgeführt. So find namentlich j
die aus der Kirchengefchichte des Eufebios entlehnten I
Stücke beibehalten und ihnen die griechifchen Parallel-
ftellen an die Seite gefetzt. Aufserdem bietet die Ueberfetzung
noch zwei intereffante Abfchnitte aus anderen
Quellen. Der eine — die Erzählung vom Ausfatze, der
Heilung und der Bekehrung Conftantin's —■ ift aus den
acta Silvestri gefchöpft; der andere enthält die Legende
von der Auffindung des h. Kreuzes durch Helena. Den
Excerpten des Dionyfios aus den acta Silvestri hat Geizer
die Parallelftellen aus dem griechifchen Texte der Acten
(bei Combefis ilhistr. niartyr. triumphi Paris 1659) beigefügt
, und hie und da aus cod. Paris, gr. 513 emendirt. 1
Zu dem letzteren Stücke find einige literarifche Nachweife
mitgetheilt. Von den actis Silvestri wäre eine
neue kritifche Ausgabe fehr erwünfeht. Zu den Notizen
über die Helenalegende fei hinzugefügt, dafs fie
bei Dionyfios in der zuerft bei Rufinus h. e. X, 7 u. 81,
darnach bei Sokrates (Ii. e. /, 17) und Späteren bezeugten
Geftalt erfcheint. Die Legende findet fich in fehr
verfchiedenen Formen ziemlich häufig in griechifchen,
lateinifchen und fyrifchen Handfchriften. »

Der Hauptwerth der Annalen des Dionyfios liegt in i
den Excerpten aus der eufebianifchen Chronik. Die bisher
unlösbare Aufgabe einer Wiederherftellung der Ur- I
geftalt der "/oovr/.oi xavoveg wird dadurch ihrer endlichen
Löfung um einen guten Schritt näher geführt. Wie die
Herausgeber im Vorwort ausdrücklich hervorheben,
ftimmt die fyrifche Verfion namentlich im spatium histo-
ricutn weit häufiger mit den betten Handfchriften des
Hieronymus als mit der armenifchen Ueberfetzung.
Ref. hat diefen Thatbeftand fpeciell an den römifchen,
alexandrinifchen und antiochenifchen Bifchofsliften geprüft
und durchaus beftätigt gefunden. Die Ziffern I
für die Amtsjahre find öfters verderbt; hie und da ift
das Jahr Abraham's weggelaffen und der Amtsantritt des j
betreffenden Bifchofs mit einer unbeftimmten Zeitangabe
der unmittelbar vorhergehenden datirten Notiz ange- I
reiht; einige Bifchofsnamen Anencletus, Evareftus, j
Victor, Xyftus II. von Rom; Euodios, Babylas, Fabius
von Antiochien) find weggelaffen, einige andere (Euty-
chianus und Gajus von Rom und die gleichzeitigen Bi- j
fchöfe Theonas von Alexandrien und Cyrillus von Antiochien
), finden fich zweimal an verfchiedenen Stellen.
Trotz diefer Ungenauigkeiten ift die überwiegende Ueber-
einftimmung mit Hieronymus nicht zu verkennen. Von
den Anfätzen in Jahren Abraham's ftimmen bei den römifchen
Bifchöfen die des Dionyfios 6mal genau mit
Hieronymus, iamal differiren fie nur um 1—2 Jahre
(wie dergleichen Differenzen auch in den Handfchriften
des Hieronymus felbft nicht fehlen); nur einmal find die
Abweichungen erheblicher (bei Linus = 2090 Abr.,
während Hieron. 2084 Abr., der Armenier 2082 Abr. anfetzt
); hier aber liegt gewifs bei Dionyfios eine Text- j
verderbnifs vor. Mit dem Armenier gegen Hieronymus |
ftimmt Dionyfios nur bei Pontianus überein (= 2246
Abr.). Ganz ähnlich Hellt fich das Verhältnifs bei den
Alexandrinern und Antiochenern; überall fleht hier Dionyfios
dem Hieronymus näher als dem Armenier. Diefer
Thatbeftand möge vorläufig zur Warnung vor allzu-
grofsem Vertrauen auf die Anfätze des Armeniers dienen,
auf welche noch neuerdings wieder Erbes überkühne
Hypothefen gebaut hat.
Jena. Lipfius.

Kuhn, Felix, Luther, sa vie et son oeuvre. 3 tomes.
Paris, Sandoz et Thuillier, 1883 et 84. (XII, 536; 510
u. II, 468 S. gr. 8.)

Es ift ein erfreuliches Zeichen, dafs man auch in
Frankreich bei der Lutherfeier nicht hat zurückftehen
wollen, und die proteftantifche Theologie diefes Landes
ein Werk über Luther hervorgebracht hat wie das vorliegende
, das fich fehr wohl neben den deutfehen fehen
laffen kann. Der Verf., der meines Wiffens eine Pfarrei
in Paris bekleidet, verweift befcheidentlich auf die von
ihm benutzten deutfehen Vorgänger, ilt aber, wenn auch
im Einzelnen manche wohl durch die Sprache hervorgerufenen
Mifsverftändnifse zu verzeichnen wären, und
er auf eigene Kritik verzichtet, wie man bald erkennt
mit der Lutherforfchung wohl vertraut und hat auch fichtlich
feinen Luther gelefen, was man bekanntlich von
der Mehrzahl derer, die zum Jubiläum über Luther ge-
fchrieben haben, nicht behaupten kann. Der ganzen
Anlage nach ähnelt das Werk dem wohl vom Verf. am
wenigften benutzten von Meurer, indem Kuhn wie jener
in meift recht gefchickter Auswahl mit Vorliebe feine
Quellen felbft redend einführt, auch viele Briefe, Tifch-
reden etc., was der Mehrzahl feiner Lefer gewifs willkommen
ift, in extenso giebt. Ohne Zweifel hat diefe
Methode ihre Vorzüge, unter anderen den der Unmittelbarkeit
, andererfeits ift doch die Gefahr vorhanden,
dafs der Lefer über den einzelnen Steinchen, aus denen
das mufivifche Bild zufammengefetzt ift, keinen Totaleindruck
erhält, wenigftens keinen folchen, den die kräftigen
Pinfelftriche einer mehr reftectirenden und abftra-
hirenden Darftellung zu geben vermögen. Immerhin hat
Kuhn bei gleicher Methode, weil er alles naturgemäfs
in franzöfifcher Ueberfetzung und darum in einheitlicher
Sprachfärbung giebt, z. B. das vor Meurer voraus, dafs
bei ihm, um im Bilde zu bleiben, die von ihm benutzten
Steinchen abgefchliffen find und nicht vereinzelt heraus-
fchauen. — Der Stoff ift in drei Bände vertheilt, von
denen der erfte den Zeitraum von 1483—1521, der zweite
die Jahre von 1521 —1530 und der dritte die letzten Lebensjahre
nach dem Augsburger Reichstage behandelt,
über welchen der Verf. treffend bemerkt: ,C est le recit
de ses deruiers travaux, de ses derniers combats et aussi de
ses longues souffrances et de sa mort. Toute fin est triste;
celle de Luther a quelque chose de particulierement me-
lancholique.1 Der dritte Theil bietet am Schlufs nach
einer Aufzählung der wichtigften Schriften Luthers, in
der übrigens doch ein Nachweis über den Ort, wo fie im
Werke felbft befprochen, oder wo fie in den Ausgaben
von Luther's Werken zu finden find, hätte gegeben
werden follen, eine (franzöfifche) Ueberfetzung des lateinifchen
Textes der Auguftana von Paftor Ch. Pfender,
leider aber kein Namenregifter.

Ich beabfichtige nicht, bei diefem Werke, das allen
Proteftanten franzöfifcher Zunge aufs wärmfte empfohlen
fein foll, auf Einzelheiten einzugehen, will auch nur vor:
übergehend erwähnen, dafs der Verf. bei der weifen
Befchränkung, die er fich bezüglich der allgemeinen Re-
formationsgefchichte auflegt, fein Buch vielleicht richtiger
genannt hätte: „Wther, sa vie et ses oeuvres' und
nicht ,son oeuvre'; dagegen möchte ich aus Anlafs der
bei Kuhn hervortretenden fehr ausgiebigen Benutzung
der Tifchreden von neuem vor ihrer Ueberfchätzung als
hiftorifcher Quelle warnen. Quelle find fie ja gewifs und
zwar in mancher Beziehung eine fehr werthvolle, zumal
wo es gilt, fich über Luther's momentane Stimmungen