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Ausgabe:

1884 Nr. 3

Spalte:

57-61

Autor/Hrsg.:

Budde, Karl

Titel/Untertitel:

Die biblische Urgeschichte (Gen. 1-12,5) untersucht 1884

Rezensent:

Kautzsch, Emil

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Theologifche Literaturzeitung. 1884. Nr. 3.



Budde, Prof. Lic. Karl, Die biblische Urgeschichte (Gen.
1—12, 5), unterfucht. Anhang: Die ältefte Geftalt der
biblifchen Urgefchichte, verfuchsweife wiederhcrge-
ftellt, hebräifcher Text und Ueberfetzung. Giefsen,
Ricker, 1883. (IX, 539 S. gr. 8.) M. 14- —
Beim erften Durchblättern diefer 539 Seiten über
einen Stoff, der durch die Arbeiten Schradens, Nöldeke's,
Dillmann's, Wellhaufen's, Konig's, Reufs' u. a. endlich
erfchöpft zu fein fchien, fragte fich Referent, ob hier
nicht eine Probe der ,ins Kraut gefchoffenen Kritik' vor- j
liege, ein Verfuch, auch an den bereits gewonnenen
Elementen noch fortzufeciren. Nach eingehendem Studium
des Buches ift Ref. anderer Meinung geworden. Er kann
dasfelbe im Voraus nicht nur als ein Mufter fcharf-
finniger und methodifcher Unterfuchung, fondern auch
als eine willkommene Weiterführung der befonders von j
Wellhaufen und Dillmann gewonnenen Ergebnifse bezeichnen
. Den Genannten bekennt der Verf. (S. VI des
Vorworts) das Meifte zu verdanken; dafs er abgefehen
von der forgfältigen Nachprüfung und Vermehrung ihrer j
Beweismittel auch felbftändige Bahnen gegangen ift, wird |
fich uns fogleich zeigen. Ganz befonders durch die (auf
Wellhaufen weiterbauende) fchärfere Trennung von J1
und J- und die Charakteriftik des letzteren, fowie durch
den Verfuch einer Reconftruction des Textes der Urgefchichte
von J1 hat Budde fruchtbare neue Gefichts-
punkte für die Pentateuchkritik eröffnet. Dafs es hierbei
nicht ohne — zum Theil gewagte — Hypothefen abgehen
konnte, liegt in der Natur der Sache. Dabei darf man
jedoch dem Verf. nachrühmen, dafs er fich des Unter-
fchieds zwifchenThatfachen und Hypothefen wohl bewufst
ift, und dafs er nicht darauf ausgeht, diefes Bewufstfein
bei feinen Lefern zu verdunkeln. Eine gerechte Würdigung
feiner Arbeit ift übrigens, wie der Verf. felbft mit gutem
Grunde hervorhebt, nur nach dem Studium derfelben im ;
Zufammenhang möglich. Erft dann geht dem Lefer der
wohlerwogene Plan auf, nach welchem die zwölf fcheinbar
disparaten Einzelabhandlungen angeordnet find; durch
den harmonifchen Eindruck des Gefammtrcfultats wächft
dann auch die Wahrfcheinlichkeit von Hypothefen, die
im engeren Rahmen der einzelnen Abfchnitte ftärkere
Bedenken herausforderten.

Die Unterfuchung fchlägt ein bei Gen. 6, 1—4, den
,Ehen der Söhne Gottes', erweift gründlich die Her-
ftammung von V. 1. 2 aus J und findet in V. 3 (wo die
LA. Q3»n als Infin. von J5B vorgezogen wird) ein ver-
fprengtes Bruchftück, das fich ftörend in einen fremden
Zufammenhang eindrängt; in Folge deffen fei auch V. 4,
der fich urfprünglich an V. 2 anfchlofs, verftümmclt und
fage jetzt eigentlich nichts mehr vom Ergebnifs jener
Engelehen. Budde ftreicht fchliefslich Tp "nn« DM und
reconftruirt V. 4 (vgl. S. 528): ,Und als nun die Gottesföhne
den Menfchentöchtern naheten, da gebaren die ihnen
und alfo kamen die Nephilim in die Welt, das find die
Riefen aus der Urzeit, die Hochberühmten'. V. 3 aber
wurde eingefchoben, damit ein göttliches Urtheil über
die Verirrung der Engel nicht fehle; urfprünglich jedoch
habe V. 3 (an Stelle von 3, 22) den verurtheilcnden
Abfchlufs der Paradiefesgefchichte gebildet. Diefe Hy-
pothefe führt nun zunächft zu Abhandlung II über den
Baum des Lebens. Das Weib weifs nur von einem
Baum mitten im Garten (cf. 3, 5. 6. 11), auch in 2, 9
hinkt jetzt der 2. Baum ftörend nach. Dazu könne es
nicht die Meinung der urfprünglichen Erzählung gewefen
fein, dafs Gott auch den Genufs des Lebensbaumes frei
gegeben habe; endlich nennt V. 23 (rückblickend auf V.
17) ein anderes Motiv der Austreibung als V. 22. Re-
fultat: 2, 9 ift zu lefen ,zur Speife und in der Mitte des
Gartens den Baum der Erkenntnifs des G. und B.' (genau
fo fchon Böhmer, was Budde nach S. 59, Note erft nachträglich
bekannt ward); 3, 22 und 24 ift zu ftreichen
und ftatt deffen einzufetzen: ,und es fprach Jahvc etc.

(folgt 6, 3) und er vertrieb ihn etc.'. Ref. hält hier
einen Augenblick inne, um bei aller Anerkennung für
die fcharffinnige (bezüglich des Lebensbaumes fogar
überzeugende) Beweisführung doch ein ftarkes Bedenken
geltend zu machen. Nach dem Verf. (S. 47) gehört zu
den Strafurtheilen auch noch, ,dafs Gott dem Leben
des Menfchen eine fefte Grenze fetzt'. Aber nicht dies
erwartet man, fondern dafs Gott den fo beftimmt angedrohten
Tod nun wirklich verhängt. Diefe Schwierigkeit
haftet ja auch der gewöhnlichen Erklärung an, aber fie
wächft, wenn an die Stelle des Todesurtheils die Ermächtigung
zu einem Leben von 120 Jahren tritt. Nach
Budde find die letzteren allerdings als äufserfte Grenze
gemeint, zumal auch die 120 Jahre Deut. 34, 7 wahrscheinlich
aus J flammten, aber damit ift doch der Kern
der Schwierigkeit nicht berührt. — Ganz einig geht dagegen
Ref. wieder mit dem Verf. in der biblifch-theo-
logifchenAuffaffung des Sündenfalls, der Geltendmachung
der hohen Würde und geiftigen Bedeutung diefer Erzählung
im Vergleiche mit verwandten religionsgefchichtlichen
Erfcheinungen; hier war mir das Meifte fo recht aus der
Seele gefprochen. Die höchft auffallende Thatfache, dafs
auf Gen. 3 im ganzen A. T. nirgends auch nur angefpiclt
werde [nach Delitzfch u. a. wäre dies allerdings Hiob
31, 33 der Fall], erklärt Budde aus dem Umftand, dafs
das göttliche Gericht über die Sünde in der zweiten
jahviftifchen Schicht wefentlich durch die Sündfluth erfolgte
. Mit der Einführung derfelben in die hebräifche
Urgefchichte fei dann auch die Einfügung des Lebensbaumes
und der Paradiefesbcfchreibung (2, 10—14; fo
fchon Ewald, Dillmann, Reufs) erfolgt, nur dafs Budde
diefe Zuthaten nicht erft einem letzten Redactor, fondern
der jahviftifchen Schule felbft zufchreibt. Der Baum des
Lebens in den Proverbien möge indefs aus altvolks-
thümlicher Erinnerung Mammen.

Die dritte Abhandlung, ,die fethitifche Stammtafel
der Genefis', conftatirt zunächft die urfprüngliche Identität
der fethitifchen und kainitifchen Patriarchenlifte und
folgert dann aus den Zahlen des Samaritanus in Cap. 5,
dafs nach diefem Jered, Metufchelach und Lemech in
der Fluth untergingen, weil fie nicht, wie Henoch, vor
Gott wandelten; dagegen ftirbt Mahalalel 17 Jahre vor
der Fluth, war alfo kein Sünder. Somit zeige die fogen.
Grundfchrift auch in diefem Stück Regel und Ordnung,
indem die Patriarchen bis zur Fluth in eine gute und
eine (wenigftens zu U) fchlimme Hälfte zerfallen. So
erkläre fich nun auch fehr einfach, wie ftatt des Irad
der kainitifchen Tafel hier ein Jered (.Niedergang') und
zwar an der Spitze der zweiten Hälfte erfcheint, ftatt
des Metufchael ein Metufchelach (,Mann der Gewalt'),
während Mahalalel ein Glied der frommen Reihe ift;
auch das fei nun klar, warum Henoch und Mahalalel
über Jered hinweg die Stelle taufchen. Henoch fleht
unter den Sündern als leuchtende Ausnahme und bekommt
den bedeutungsvollen 7. Platz. Die Aenderung
1 der Zahlen ging vielleicht fchon von dem (nachmals
bekanntlich allherrfchenden) Vorurtheil aus, dafs alle
Sethiten im Gegenfatz zu den Kainitcn Fromme feien.

Aus der 4. gleichfalls in hohem Grade feffelnden
Unterfuchung über die kainitifche Stammtafel (4, 17—24)
heben wir folgende Sätze hervor: 4, 17 erwartet man
nicht Kain, fondern Henoch als Städteerbauer, daher
Budde am Schlufs auch ilMb lefen will; die Form
Mechujacl beruhe bereits auf dem Dogma von der Bosheit
aller Kainiten, während urfprünglich wohl Machjiel
oder Mechajjiel gemeint fei. V. 24 überfetzt Budde:
,Wenn Kain liebenfach rächen konnte, fo Lemech 77 mal'
— alfo einfacher Hinweis auf die gewaltige Vermehrung
der menfehlichen Kraft durch die Metallwaffen. Dabei
fei Kain vielleicht als Urältervater gemeint, über welchen
damals der Stammbaum noch nicht zu Adam (der als
Gattungsname doch nur dem Syftem angehöre und erft
: in Q zum Nomen proprium wurde) hinaufftieg. Dem

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