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Ausgabe:

1884 Nr. 19

Spalte:

465-468

Autor/Hrsg.:

Heegaard, S.

Titel/Untertitel:

Ueber Erziehung. Eine Darstellung der Pädagogik und ihrer Geschichte. 1. Theil: Theorie der Erziehung 1884

Rezensent:

Strack, Carl

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Theologifche Literaturzeitung. 1884. Nr. 19.

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fcheint mir indefs ohne Grund wiederum hinter die von
Ewald gewonnenen Ergebnifse zurückzugehen. Die
Abfchnitte über das Verhältnifs des Ambrofius zu Philo,
ürigenes und Bafiliu» find lehrreich, aber der erftere ift
nicht mit genügender Unbefangenheit gearbeitet. ,Es ift
nicht ein pofitiver Lehrgehalt, welcher aus Philo in die
chriftlichen Lehrfyfteme hinübergenommen wurde, am
aller«enigften feine Logosidee, welche auf wefentlich
anderen Vorausfetzungen ruht, als die chriftliche': fo
behauptet der Verfaffer. Aber darf man überhaupt —
ich drücke mich abfichtlich vorfichtig aus — fo fchlechtweg
von einer chriftlichen Logosidee fprechen, und mufs die
aus der Verlegenheit geborene Thefe, clafs Philo und
die griechifchenPhilofophen den Kirchenvätern nur Schemata
geboten hätten, immer noch widerlegt werden?
In der .Ueberficht über die fchriftftellerifchen Leibungen
des Ambrofius' (Cap. 1 diefes Buches) vermiffe ich jede
Erwähnung des fog. Pfeudohegefipp und daher auch der
neueren Verhandlungen über denfelben. Die Anficht,
dafs Ambrofius der Verfaffer fei, ift bekanntlich keineswegs
widerlegt. Erft in den Zufätzen (S. 336) nennt der
Verf., wo er über den 6. Band der neuen Ballerini'fchen
Ausgabe berichtet, die Schrift de excidio urbis Hieras.,
ohne fielt über diefelbe zu äufsern. Uebrigens hat Förftcr
fonft die Literatur zu Ambrofius recht forgfältig berück-
fichtigt.

Das dritte Buch (,Der Prediger und der Dichter')
fcheint mir das werthvollfte zu fein. Hier urtheilt der
Verf. auf Grund einer reichen Erfahrung und weifs daher
auch feinen Gegenftand lebendig zu erfaffen. Die Ergebnifse
feiner Unterfuchung, die er in gefchmackvollcr
Darftellung vorgeführt hat, find für die Gefchichte der
Predigt fehr belangreich, und der Verf. darf hier mit
Recht das Bewufstfein hegen, eine Lücke ausgefüllt zu
haben. Nach einer Einleitung handelt der Verf. von der
Entwicklung der Predigt vor Ambrofius, von der Vorbildung
und Bibelauslegung des A., der dogmatifchen
und lehrhaften Predigtweife, von der Moralpredigt, der
kunftmäfsigen Rede, der Gelegenheitspredigt und den
paftoral-theologifchen Bemerkungen des Ambrofius. Aus
feinen Unterfuchungen geht unzweifelhaft hervor, dafs
Ambrofius bisher nicht nur als Kirchenlehrer, fondern in
noch höherem Mafse als Prediger unterfchätzt worden ift.
Ihm ift eben ein Auguftin auf dem Fufse gefolgt, aber
Auguftin wäre — das darf man fagen — ohne Ambrofius
nicht Auguftin geworden.

Der Verf. hat bei all' der Arbeitslaft, die ein umfangreiches
Paftoral- und Ephoralamt auferlegt, Zeit gefunden,
diefe tüchtige Monographie auszuarbeiten. Möge fein
Beifpiel in der jüngeren Generation der Geiftlichen wirk-
fam werden. Das ift heutzutage ein desideriunipiissimum!

Giefsen. A. Harnack.

Heegaard, Prof. Dr. S., Ueber Erziehung. Eine Darftellung
der Pädagogik und ihrer Gefchichte. Herausgegeben
auf Veranftaltung des Minifteriums fürKirchen-
und Unterrichtswefen. Nach der 2. Aufl. des dän.
Originals mit Erlaubnifs des Verf. überfetzt von P. O.
Gleifs. 1. Theil: Theorie der Erziehung. Gütersloh,
C. Bertelsmann, 1884. (XXXI, 383 S. gr. 8.) M. 6. —

Wir verdanken während der letzten Decennien dem
dänifchen Fleifs und der dänifchen Wiffenfchaft eine Anzahl
Schriften, welche in deutfeher Ueberfetzung mit verdientem
Beifall aufgenommen find. Auch die vorliegende
Schrift .Ueber Erziehung' von einem bisher unter uns
noch nicht viel bekannten, für die Wiffenfchaft zu früh
verftorbenen Prof. der Philof. zu Kopenhagen wird ohne
Zweifel zu diefen Schriften gehören. Der Verf. war ein
fliehender Geift, der aber nicht, wie Zweifler unbeftändig
war in feinen Wegen, dem es nur darum zu thun war,

immer tiefer aus dem unerfchöpflichen Borne der Wiffenfchaft
feinen Dürft zu Hillen. Das Verlangen, die höch-
ften und tiefften Räthfel des menfehlichen Lebens zu
löfen, regte fich fchon deutlich bei ihm, als er zur Uni-
verfität ging. Er fchwankte eine Weile zwifchen Aftro-
nomie und Theologie, wählte aber fchliefslich die letztere
und beftand 1858 das theol. Amtsexamen. Doch konnte
er fich trotz Martenfen nicht für die Theologie erwärmen
, wie er auch noch vor wenigen Jahren erklärte,
dafs er die Theologie nicht als eine Wiffenfchaft anfehen
könne. Er warf fich nun mit Fleifs auf das Studium
der Aftronomie, und da ihn auch diefes nicht befriedigte,
wendete er fich der Philofophie zu. 1860 gewann er
durch eine Abhandlung über die ,Herbart'fche Philofophie
' den philof. Doctorgrad und fing an Vorlefungen

, an der Univerfität zu halten; er lieferte nun weiter
mehrere philof. Schriften z. B. über ,Prof. A. S. Nielfen's
Lehre vom Glauben und Wiffen', eine kurze Darfteilung

! der ,formellen Logik'. Im Jahre 1878 gab er die Auf-
fehen erregende Schrift heraus: ,Ueber Intoleranz'.
In derfelben fuchte er die Glaubensfreiheit und den gei-
ftigen Individualismus mit Wärme zu vertheidigen. Man

i könne nicht von dem Menfchen verlangen, dafs er ein
Chrift fei; denn mit dcmfelbcn Rechte könne er auch
ein Ungläubiger fein: auch könne man nicht von ihm
verlangen, dafs er ein Ungläubiger werde, denn mit
demfelben Rechte könne er auch ein Chrift fein.'

Einige Jahre fpäter gab er fein auf Veranftaltung
des Cultus-Minifteriums verfafstes Werk ,Ueber Erziehung
' heraus, das fchon nach einem Jahre eine neue
Auflage erlebte. Während des Examens 1880 wurde er

: von einem apoplektifchen Anfall getroffen und auf ein
langes fchweres Krankenlager geworfen. Um fich zu
erholen, reifte er, fobald es ihm möglich war, nach Italien.
Hier traf ihn in Florenz ein neuer Anfall. Frau und
Tochter reiften ihm nach, um ihn zu pflegen und nach
Haufe zu begleiten. Da beugte ihn unerwartet der Tod
feiner hoffnungsvollen Tochter nieder. Vergebens fuchte
er über feinen tiefen Schmerz hinwegzukommen, indem
er fich in die Wiffenfchaft vertiefte. Er fetzte fich hin
und fall in das undurchdringliche Dunkel hinein, fürchtend,
feinen Verftand zu verlieren. Da fprach er eines Tages
zu fich: ,ich will ein Chrift werden'. Nach einigen
inneren Kämpfen fprach er mit fetter Zuverficht: ,nun
glaube ich mit Gottes Hülfe nicht mehr verlieren zu
können, was ich gewonnen habe.' Er fprach nun gerne
über Tod und Ewigkeit und las viel in Splittgerber's und
Schubert's Schriften, fowie H. Knudfen's Jefu Perfon und
Leben' und Bogatzky's Schatzkäftlein. Am 24. März
1884 ging er vom Glauben zum Schauen über.

Diefe kurze Lebensfkizze aus dem Vorwort des
Ueberfetzers hielten wir für nöthig zur Beurtheilung der
anzuzeigenden Schrift. Derfelbe meint, fie fei das be-
deutendfte pädag. Werk, das in Dänemark erfchienen

j fei. Wir find mit der dänifchen Literatur nicht genügend
bekannt, um diefe Behauptung widerlegen zu können.
Das aber glauben wir behaupten zu dürfen, es liegt uns
hier eine Arbeit vor, die es verdient, auch in Deutfchland
bekannt zu werden. 1 fiefelbe ift befonders für diejenigen
gefchrieben, welche fich für den Beruf eines Lehrers
oder einer Lehrerin an der Volksfchule vorbereiten
wollen, weshalb befonders folche Verhältnifse des Erzie-
hungs- und Unterrichtswefens berückfichtigt worden find,
welche vorzugsweife hier Anwendung finden, während
vieles übergangen ift, was erft für andere, höhere Schulen
Bedeutung erhalten würde. Um der jüngeren Lefer des
Buches willen, bei welchen er keine philof. Bildung vor-

| ausfetzen durfte, hat der Verf. auf eine ftreng wiffen-
fchaftliche Darfteilung verzichtet; doch konnte er fich

; nicht zu einem nichtsfagenden populären Trivialifiren
entfchliefsen. Um durch diefe beiden Klippen durchzur
fteuern, hat er verfucht, eine Methode anzuwenden, die

I fich vor einer wiffeiifchaftlichen Kritik nicht fcheut, aber