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Ausgabe:

1884 Nr. 10

Spalte:

236-237

Autor/Hrsg.:

Buchwald, Georg

Titel/Untertitel:

Der Logosbegriff des Johannes Scotus Erigena 1884

Rezensent:

Harnack, Adolf

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235

Theologifche Literaturzeitung. 1884. Nr. 10.

183 ff. Ja er weift fogar Beziehungen auf theologifche
,Lehren' über Perfon und Werke Chrifti im Buch Jefaia !
nach, nämlich auf die Lehre von der Gottheit und der j
ftellvertretenden Genugthuung [,atbnemenf] Chrifti, p.
L95 ff-) Jenem Merkmale der chriftlichen Exegefe foll
jeder Philologe zuftimmen können p. 195. Ob wohlr
Die Antwort ift unnöthig. Ch. führt unter dem Namen
der ,chriftlichen' Exegefe das Prokruftesbett feiner dog-
matifchen Auffaffung in die Erklärung ein und trübt
damit die ,Feftftellung der exegetifchen Thatfachen'. ]
Das zeigt fich ganz deutlich z. B. fchon darin, dafs er, !
um die Meinung des Propheten feftzuftellen, den Ausdruck
Meffias überall in dem Sinne anwendet, wie er ,
um die Zeit Chrifti gebräuchlich war. Diefe ,höhere
Exegefe, die die Weisfagung im Lichte der Erfüllung
erklärt' (p. 192) und in den Worten der Propheten neben
dem von ihnen gemeinten Sinn noch einen zweiten, tieferen
findet (Beifpiele auf p. 193. 194), ift aber dem von
Ch. erftrebten Zweck gerade entgegen. Denn fie ver-
mifcht die Meinung des Propheten mit der Auffaffung,
die feine Worte unter dem Eindrucke des Erlebnifses
gewiffer Thatfachen zu anderen Zeiten erft erhalten
haben. Mit welchem Recht das gefchehen ift, kommt
zunächft nicht in Betracht. Von jedem Exegeten des.
A. T. mufs allerdings gefordert werden, dafs er die von
den Propheten vorausgefetzte Thatfache einer Einwirkung
Gottes auf fie oder einer Offenbarung Gottes an
fie anerkennt; fonft kann er feiner Aufgabe, mit ihnen
zu denken und zu fchauen, nicht gerecht werden. Ch.
felbft erklärt fein ,herzlichftes' Einverftändnifs mit diefem
Gedanken (p. 271), und ich zweifle nicht, dafs auch feine
dogmatifchen Wünfche betreffs des Zufammenhangs
zwifchen A. und N. T. zu ihrem guten Recht kommen
werden, — allerdings in anderer Weife als er esausgeführt
hat — wenn er feiner Exegefe den dogmatifchen Charakter
vollends benimmt. Sie ,chriftlich' zu nennen,
führt nur Mifsverftändnifse herbei.

Diefe ,Richtung' der Exegefe Ch.'s tritt, wie es fich
von felbft verfteht, namentlich bei Jef. 53 deutlich hervor
, während fie fich bei der Auslegung des erften
Theiles des B. J. faft gar nicht bemerklich macht. Sie
führt ihn fogar dazu, in Jef. 53,5 den Knecht Jahwe's als
ein Sündopfer bezeichnet zu finden (p. 50); das ift aber
lediglich eingetragen. Der Knecht Jahwe's in 42, 1—7.
49, 1—9. 50, 4—10. 52, 13—53, 12 ift nicht eine Per-
fonification, fondern eine Perfon der Zukunft, ,the his-
torical Redecmer of Israel and the World1 (p. 207). Ueber
die Frage der Entftehungszeit von Jef. 40—66 hat wohl
Ch. auf p. 206 f. feine Meinung am deutlichften durchblicken
laffen: ebenfo wie das Buch Hiob unter den
jüdifchen Exulanten. Doch wünfcht er vor allen Dingen
eine genaue Unterfuchung über die Urgeftalt, die diefe
Capitel vor den Erweiterungen durch die Soferim
(p. 215 ff.) gehabt haben werden.

Angefichts meiner obigen Einwendungen kann ich
um fo weniger meinen aufrichtigen Dank für den Genufs,
den mir das Studium diefes Commentars bereitet hat,
zurückhalten. Schon der Umftand bietet ein grofses
Intereffe, dafs wir durch Cfi.'.s Erörterungen nicht nur
in das uns bekannte Gebiet der deutfchen Literatur verfetzt
, fondern auch in die Bewegung der Anflehten eng-
lifcher Forfcher über diefen Gegenftand eingeführt werden
. Ich erwähne zum Schlufs die Ueberfchriften der
abfchliefsenden Essays: I. The occasional propheäcs of
Isaiah in the liglit of history. II. The arrangement ofthe
prophecies. III. The Christian element in the book of Is.
IV. The royal Messiah in Genesis. V. The servant of Je-
hovah. VI. The present State of the critical controversy
(betrifft nur die Frage, wo Jef. 40—66 entftanden find).
VII. Correction of the hebrezu text. VIII. The critical
study of parallel passages. IX. Job and the secondpart of
Tsaiah: a parallel. X. Isaiah and his commentators.
XI II Isaiah and the hisenptions (Cyrus). Den Abfchlufs

bilden ,Iastzoords 011 Isaiah' p. 281—301. Die den Essays
voraufgehenden ,Critical Notes' find fehr umfaffend und
brauchbar (p. 133—162).

Leipzig. H. Guthe.

Buchwald, Gymn.-Oberlehr. Georg, Der Logosbegriff des
Johannes Scotus Erigena. Inaugural-Differtation. Leipzig,
Drefcher, 1884. (IV, 72 S. gr. 8.) M. 1.50.

Diefe dogmengefchichtliche Unterfuchung zeichnet fich
durch Sorgfalt, weife Befchränkung und klare Darftellung
aus. Darfteilen wollte der Verf., nicht beurtheilen;
aber an einer falfchen Kritik hatte er hinreichend Kritik
zu üben, und gefchichtliche Gefichtspunkte zur Beurthei-
lung der Logoslehre des Erigena fehlen doch nicht. Die
Unterfuchung ftellt fich in der Hauptfache als eine Revi-
fion dar; aber fie beruht durchweg auf felbftändigen
Studien, und die Auseinanderfetzung mit den älteren
Forfchern durchbricht nirgends ftörend die pofitive Darlegung
. Nach einer Einleitung handelt der Verf. im
erften Capitel vom Logos als dem weltfchöpferifchen
Princip, fodann im zweiten vom Logos als dem welt-
erlöfenden Princip. Das Gefammtcrgebnifs ift folgendes :
,Der Logos des Erigena bildet 1) die Brücke von der Einheit
Gottes zur Vielheit der Welt (indem er der kata-
phatifchen Betrachtungsweife nach die Einheit der Welt
in den causae primordiales ift, während er allerdings der
1 apophatifchen Betrachtungsweife nach die nur vom menfeh-
: liehen Geifte gedachte Ffinheit der Welt in den göttlichen
| Eigenfchaften vorftellt, alfo mit Gott felbft zufammen-
fällt) und 2) die Brücke von der infolge der Sünde der
Zerftreuung verfallenen Vielheit der Welt zur Einheit in
| Gott (indem er als das Princip der Einheit fich mit der
menfehlichen Natur als dem Mikrokosmos verbunden
! und fo principiell die Vielheit der Welt in die Einheit
zurückgeführt, d. h. fie erlöfthat, dann aber auch zum that-
1 fächlichen Ergreifen der Erlöfung beiträgt, indem er die
' Einzelnen zu immer höherer Erkenntnifs und infolge deffen
immer innigerer myftifcher Einigung mit Gott leitet)'.
Diefes Ergebnifs auf dem Wege einer methodifchen
Unterfuchung erhärtet zu haben, ift das Verdienft des
! Verfaffers. An den entfeheidenden Stellen blickt der-
felbe auf Philo, Origenes, Gregor von Nyffa, die Neu-
platoniker, den Areopagiten und Maximus zurück, fo bei
der Vergottungslehre des Erigena. Indeffen die Anführung
einzelner griechifcher Kirchenlehrer genügt hier
fchwerlich. Auch ift Athanafius nicht der erfte gewefen,
! der die folgenfehwere Formel: ,at':cng ivTrv^OJQmnaev, %va
| iftetg irwioirftiyiev' gebildet hat. Die Umfetzung des
Gedankens der Gottesk i nd fchaft in den der Vergot-
' tung in Hinblick auf die Menfchwerdung des Logos
ift vielmehr fo alt in der Kirche, wie der Sieg der Logos-
1 lehre über die monarchianifchen Chriftologien (f. z. B.
Hippol., Thilos. X, 34), und der Vergottungsgedanke ift
feitdem nicht das Eigenthum .einzelner Theologen ge-
' blieben, fondern beherrfcht die Dogmatik der Väter.
Die Darfteilung des Verfaffers hat aufs neue gezeigt, dafs
Erigena nicht als ein felbftändiger Denker gelten darf,
fondern nur als ein Nachdenker der gricchifchen Specu-
I lationen. Erwünfcht wäre es feftzuftellen, ob Auguftin
| für Erigena von Bedeutung gewefen ift, refp. ob er
neuplatonifche Gedanken auch durch die Vermittlung
Auguftin's kennen gelernt hat. Wahrfchcinlich läfst fich
aber diefe Frage mit Sicherheit überhaupt nicht beantworten
. Anachroniftifche Kriterien hat der Verf. nirgendwo
eingeführt, fich auch nicht durch Worte beftechen
laffen. So ftellt er mit Recht feft, dafs in Erigena's Philo-
fophie und Religion der Glaube fo gut wie keine Stelle
hat. Die Erkenntnifs allein führt zu Gott; die Erkenntnifs
, wie fie fchliefslich in das myftifche Schauen übergeht
, ringt mit dem Erkannten. Ebenfo ift es fachgemäfs,
dafs der Verf. jene Stelle leicht genommen hat, nach
welcher man bei oberflächlicher Beurtheilung fchliefsen