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Ausgabe:

1883 Nr. 19

Spalte:

435-440

Autor/Hrsg.:

Hatch, Edwin

Titel/Untertitel:

Die Gesellschaftsverfassung der christlichen Kirchen im Alterthum 1883

Rezensent:

Weizsäcker, Carl

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435 Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 19. 436

Wirksamkeit gehabt hat. Sehen wir dann auf das ganze
Gebiet der fyftematifchen Theologie, fo mag es uns faft
bedünken, als leben wir wieder in der alten Zeit, in
welcher die Tübinger Theologen ihre Anmerkungen zu
Kantifchen Gedanken fchrieben, die ganz billig und ver-
ftändig lauteten, aber doch den Lauf der geiftigen Entwicklung
nur w ie von einem Schmollwinkel aus betrachteten
. Einige Vorficht fchadet ja nirgends, aber mit
lauter Bedenken richtet man felbft doch nichts aus. Auch
folche fein durchdachte Arbeiten wie Häring'seingehende j
an Winken reiche Mittheilung über Kaftan's neue Art von |
Apologetik und Kirn's umfichtige Studie über die chrift- 1
liehe Vollkommenheit, laffen noch den Wunfeh übrig,
etwas mehr eigenes zu hören. Recht frifch und frei
gehen Braun's Bemerkungen zur lutherifch-fymbolifchen
Lehre von Erbfünde und Taufe an die Sache, und mögen
als Einleitung zu weiterer Ausführung willkommen fein.
— Das biblifche Gebiet ift im alten Teftament durch
Kittel mit der Abhandlung: die neuefte Wendung der
pentateuchifchen Frage, die voll in die gegenwärtige
Bewegung eingreift, und Neftle mit einer Frucht felbft-
ftändiger Forfchung über El, Elohim, Eloa, anfehnlich
vertreten. Recht fchmal ift im ganzen das neue Teftament
weggekommen, und doch follte die württembergi-
fche Theologenwelt gerade hier eine befondere Verpflichtung
fühlen. — In der hiftorifchen Theologie erhalten
wir von Boffert fehr fchätzbare Beiträge zur fchwäbifch-
fränkifchen Reformationsgefchichte, auch mit neuen Briefen
aus der Correfpondenz des Crailsheimer Adam Weifs
und einen ebenfo werthvollen Bericht von Dr. Schneider
über die Unterfuchung gegen Barth. Hagen und die Stuttgarter
Synode, aus dem Stuttgarter Archiv gefchöpft.
Da ift ganz der richtige Weg eingefchlagen, die Zeit-
fchrift zu einem wirklichen Verdienft und allgemeinen
Nutzen gelangen zu laffen. — In dem Gebiete der prak-
tifchen Theologie hat noch Br aun in einem Auffatz über
Proteftantismus und Secten eine Probe gegeben, wie
diefes Verhältnifs in der Württembergifchen Kirche vor-
herrfchend betrachtet zu werden pflegt, die wohl an
manchen Orten befremden wird um fo mehr aber dem
Nachdenken überall empfohlen werden darf. — Manches
andere wäre noch zu erwähnen. Die Hauptfache aber
ift, dafs die Studien felbft von fleh reden machen, und
das gefchieht immer, je mehr man mit der Sprache
herausgeht.

Tübingen. C. Weizfäcker.

Hatch, Dr. Edwin, Die Gesellschaftsverfassung der christlichen
Kirchen im Alterthum. Acht Vorlefungen. Vom
Verf. autorifirte Ueberfetzung der 2. durchgefehenen
Aufl., beforgt und mit Excurfen verfehen v. Dr. Adf.
Harnack. Giefsen, Ricker, 1883. (VIII, 260S. gr. 8.)
M. 4. —

Die erfte Auflage von Hatch's Vorlefungen ift in
diefer Zeitung 1881 in Nr. 22 von A. Harnack befprochen.
Auf diefe Anzeige kann ich um fo lieber verweifen, als
ich mit der dort kundgegebenen warmen Anerkennung
der ausgezeichneten Leiftung vollftändig übereinftimme.
Ich darf wohl noch befonders auf den Reiz hinweifen,
welchen die gelehrte Arbeit durch den überall hervortretenden
weiten Blick des Hiftorikers und die feinen
praktifchen Winke gewinnt. Der Werth des Buches ift
feither in Deutfchland mehrfach anerkannt, und Harnack,
dem dasfelbe bei weiterer Befchäftigung an Bedeutung
nur gewonnen hat, erwirbt fleh ein Anrecht an die Dankbarkeit
der deutfehen theologifchen Lefewelt, indem er
es durch Ueberfetzung zugänglicher gemacht und diefe
mit eigenen Beiträgen verfehen hat. Ich würde es für
überflüffig erachten, in der Anzeige diefer deutfehen
Ausgabe Widerfpruch gegen einzelnes, wovon ja bei
einer fo umfaffenden und der Befchaffenheit der Quellen

nach fchwierigen Aufgabe manches fraglich bleiben mufs,
einzulegen; ich unterlaffe es auch im ganzen. Aber ich
kann nicht umhin, gegenüber dem einen Haupt-
ergebnifse der Forfchungen Hatch's, zu welchem fich
Harnack mit weiteren Erläuterungen bekennt, Bedenken
auszufprechen, welchen auch der Herausgeber felbft nach
feiner Vorrede S. VIII entgegenfleht. Die betreffende
Aufgabe ift in der zweiten Vorlefung mit dem Titel:
Bifchöfe und Diakonen, behandelt, und fodann vervoll-
ftändigt in den drei nächften Vorlefungen: die Presbyter,
die Obergewalt des Bifchofs, der Clerus und die Laien.
Ohne zu leugnen, dafs in gewiffem Sinne Presbyter und
Bifchöfe eine Zeit lang identifchr find, ift Hatch doch zu
dem Ergebnifse gelangt, dafs der Bifchof feinen Functionen
nach in der engften Beziehung zum Diakonat ftehe,
und dafs es gerade diefe Functionen feien, um welcher
willen der praeses den Namen sniaxonog bekommen hat,
und welche ihm auch das Uebergewicht gegeben haben,
das zu der monarchifchen Gemeindeverfaffung führte.
Diefe Anficht will zunächft eine dunkle Frage des kirchlichen
Altcrthums auf neuem Wege löfen. Sie hat aber
eine viel weiter greifende Bedeutung; denn fie greift in
letzter Abficht in die Frage ein, worin die überwiegende
Kraft lag, welche das Chriftenthum in feiner Verbreitung
im Römifchen Reiche bewies. Bindet fie doch die ältefte
Verfaffungsentwicklung der Kirche wefentlich an die
Wohlthätigkcit derfelben. Umfo mehr fordert fie unfere
ganze Aufmerkfamkeit.

Dafs der Name hiioxoirog, wenn man von aufser-
chriftlichem Gebrauche ausgeht, den Verwaltungs- oder
Finanz-Beamten der Gemeinde bedeuten kann, ift aufser
Zweifel. Es ift fehr dankenswerth, dafs auch das jetzt
vorhandene Jnfchriftliche Material, welches uns diefen
Gebrauch bei anderen Gefellfchaften kennen lehrt, gefummelt
und verwerthet wird. Entfchieden ift freilich
damit noch nichts; denn der mannigfaltige anderwärtige
! Gebrauch des Namens und Titels in der Profan-Gracität
ift ja längft nachgewiefen und wird dadurch nicht um-
geftofsen; insbefondere der Gebrauch für die richtende
| Gottheit und für richterliche Beamte. Für den Urfprung
j des chriftlichen Gebrauches aber müffen wir doch ohne
I Zweifel die ältefte chriftliche Literatur zu Rathe ziehen,
und diefe fcheint jenen Sinn nicht zu begünftigen. Schon
ApGefch. 1, 20 ftimmt nicht dazu, da man doch die
IniOHUmri eines Apoftels nicht als ökonomifche Verwaltung
gedacht annehmen kann. Im Römifchen Clemensbriefe
ift es fchon bedenklich, dafs 42f. die biioxonoi
offenbar mit den Prieftern verglichen werden. Aber es
; wird ja auch 44 für das chriftliche örofiu Tijg imoxo/ci^g
i die Nachfolge in einer XeiTovgyta in Anfpruch genommen
, welche in dem ngoocpegeiv tu. dwga vor Gott be-
fteht. Nicht die Gabenverwaltung, fondern das Opfer
! ift ihre Auszeichnung. Im Hirten des Hermas wird es
nicht angehen Vis. III, 5, I die hiiax.onoi, welche den
anooToXnt unmittelbar folgen, und ihr biioxojreiv, welches
! fo beftimmt vom di.ax.ovsh' unterfchieden ift, auf den
Gabendienft zu deuten. Mit Sittt. IX, 27 ift aber für den
j vorliegenden Zweck nicht viel anzufangen; denn hd-
j oxonoi ift hier in Parallele mit (piXo^evoi, und daher die
j Beziehung auf das Amt kaum ficher, jedenfalls aber für
das Wefen desfelben nicht entfeheidend. Aus der Zu-
fammenftellung von öiaxoveiv und 0ix.ov6f.w1 1 Petr. 4, 10
läfst fich bei der weitgreifenden Beziehung der Perfonen
und der Sache im Context nichts fchliefsen, fo wenig
1 als die di,axovt'a Tjjg bmoxonfjg von Pothinus in /:/>. Luga.

Eus.hist. V, 1, 29 oder die oixovofua des römifchen Bi-
! fchofs Alexander Ens. hist. IV, 4 auf den Gabendienft
I bezogen werden darf. Dafs der Begriff des Bifchofs in
den Ignatianifchen Briefen nicht darauf hinweift, bedarf
keines Beleges. Man darf nur an die hnaxowii iXeov
Polyc. VIII, 3 denken, neben der iwift' &tov, um hier
die richtige Grundlage zu gewinnen. Freilich heifst das
I Amt des Bifchofs von Philadelphia 1, 1 diaxoviu, aber