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Ausgabe:

1882 Nr. 3

Spalte:

51-52

Autor/Hrsg.:

Falckenberg, Rich.

Titel/Untertitel:

Grundzüge der Philosophie des Nicolaus Cusanus mit besonderer Berücksichtigung der Lehre vom Erkennen 1882

Rezensent:

Hartung, Bruno

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Seite 1

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5i Theologifche Literaturzeitung. 1882. Nr. 3.

irgend welche ihm unfympathifcheAufstellungen auch nur I gegebenen Objecte, als ein Verwirklichen der Fähig-
in ihren Motiven zu verftehen oder gar in ihrem wirk- 1 keiten des Subjects bildet es die Mitte der ab-
lichen Umfang zu begreifen. So foll ich z. B. der Pe- j und aufzeigenden Bewegung des Weltproceffes. Diefes
rikope von der Ehebrecherin nach Luc. 21, 38 ihre Stelle j Allgemeinfte ift der Rahmen für die mannigfachen
angewiefen haben (S. 318), während ich vielmehr der 1 Standpunkte, welche hier noch ohne Bewufstfein des
Meinung war und bin, fie fei zwifchen Marc. 17, 17 und j Widerftreits bei einander wohnen, während fie vorher
18 am Platze. Aus demfelben Grunde bin ich dem | und befonders nachher aus einander und in Kampf mit
Verf. auch nur dankbar dafür, wenn er meiner ausführ- j einander getreten find und treten mufsten. Sehr geliehen
Darlegung der zwifchen dem vierten Evangelium | fchickt wird das Ineinander und Widereinander der ver-
und den Synoptikern ftatthabenden fchriftftellerifchen I fchiedenen Strömungen dargeftellt und wir rechten nicht
Beziehungen, die zur Bekräftigung zweimal gedruckte j mit dem Verf., dafs er, nicht ohne Confequenzmacherei,
(S- 33 u- 56) Betheuerung entgegenfetzt, dafs diefe meine | mit den verfchiedenen —ismen, deren Keime in ihm
Beweisführung ,für jeden Unbefangenen ihre Widerleg- liegen follen, etwas freigebig gewefen ift: bei einem
ung in fich felbft trägt'. Selbft gelefen hat er zwar, Geift, der gerade dadurch fo intereffant ift, dafs er die
eben um unbefangen zu bleiben, jene Abhandlung nicht, philofophifche Entwickelung von Jahrhunderten pro-

aber ,aus den von Luthardt mitgetheilten Proben' hat
er fein Urtheil ,für jeden Unbefangenen' zurecht gemacht
und ift auch an meiner Entgegnung (Zeitfchrift f. wiff.
Theol. 1875, S. 442 f.) ftillfchweigend vorübergegangen.
Wie aber hier Luthardt, der auch fonft alles dem Verf.

grammartig in fich trägt. Je nach der verfchiedenen
Stellung, welche das Erkennen zu feinem Gegenftand
einnimmt, ift es der Eichte'fche Idealismus — die Dinge,
welcher unter dem Geift nur eine unvollkommene
Wirklichkeit haben, werden durch ihre Aufnahme in die

Genehme bereits ,fchlagend' (S. 16), ,treffend' (S. 50) 1 Idee erft entbunden —, der Leibnitz'fche Monadalogis-
und ,einleuchtend' (S. 45) dargethan hat, fo treten allent- 1 mus — die Dinge find alle i m individuellen Geift als
halben gleich formulirte Berufungen auf Autoritäten I ihrem Mikrokosmus enthalten und werden nur zum Be-
meift an die Stelle der Gründe. Auch Godet und Stein- ! wufstfein geweckt —, der Phänomenalismus, infofern
meyer, Weifs und Beyfchlag haben auf Schritt und Tritt [ die Dinge aufserhalb des Geiftes erkannt werden, alfo
,treffend' (z. B. S. 579. 592), ,fchlagend' (z. B. S. 34) und I nicht ihrem eigentlichen Wefen , fondern nur der Er-
,einleuchtend' (z. B. S. 396) Alles dargethan , was das 1 fcheinung nach, — endlich der Myfticismus — das letzte
Merz nur wünfehen mag. Andererfeits hält er es auch, 1 Wefen der Dinge, —, Gott—, ift ein Uebergeiftiges —, wo-
je nachdem ausfchliefsend confervative Inftincte ihre I rauf die ausgefprochenen Gedanken confequent hinführen.
Porderungen ftellen, jeweils mit dem einen oder an- (Man könnte u. a. nach einer S. 82 aus der Schrift

cribrationis Alchoran U. II. angeführten Stelle, nach der
das Unbewufste im Geift durch admiratio wachgerufen
wird, die Hartmann'fche Bewufstfeinstheorie hinzufügen.)
In dem letztgenannten befonders fetzt der vielgenannte
Kritik' (S. 29) zu Schutz und Trutz im Hintergrund. , Begriff der docta ignoranlia ein, nach welchem das wahre
Auf der gegnerifchen Seite aber fieht er nur ,Unge- I Erkennen ein feiner Schranken fich bewufstes, annähern-
heuerlichkeiten, die fich felbft richten' (S. 401); Alles ift I des, aber nicht präcifes ift, nur dem Glauben verftattend,
,Hyperkritik' (S. 18). Die Verfe 21, 24. 25 ftellen zwar ] die ihm felbft gefetzten Grenzen zu überfchreiten. Unter
den einzigen unjohanneifchen Theil des Ganzen dar, ! den vier Erkenntnifsftufen {sensus, imaginatio, ratio, in-

deren diefer Gewährsmänner gegen den dritten; er widerlegt
nicht blofs Baur mit Weizfäcker, fondern auch
diefen mit Weifs, den aber mit Luthardt, und wo er
Triarier aufbieten mufs, da fleht Ebrard's .gründliche

drücken aber als Worte eines ephefinifchen Presbyters
dem Uebrigen nur den Stempel vollkommenfter apofto-
lifcher Authentie auf. Merkwürdig, dafs auch der citirte
Lobredner ,eines der bewährteften und fruchtbarften

tellectus), deren erfte beiden der Menfch mit dem Thiere
gemeinfam hat, ift die ihm eigenthümliche dritte, ratio,
Verftand, die intereffantefte, fofern in ihr vor allem Erkennen
die Erkenntnifsformen gegeben find, wie eine

Exegeten unferer Kirche' am Ende doch faft unbefrie- ; Ahnung des Kantifchen Apriorismus. Doch nur dem
digt von diefem Commentar Abfchied nimmt. Er meint ; InteUectus, Vernunft, die er mit den Engeln gemein hat,
nämlich, auf diefem Wege fei am Ende doch nichts mehr fleht die höchfte Wahrheit offen. Wir fehen, wie zu
zu erreichen; man müffe fich entfchliefscn, von der Be- den andernGegenfätzen, die fich kreuzen, noch derGegen-
trachtung des vierten Evangeliums als eines den fynop- fatz des mittelalterlichen, kirchlichen oder myftifchen
tifchen wefentlich gleichartigen Werkes zurückzukom- | Chriftenthums zu der fich hervorarbeitenden Weltan-
men, es vielmehr unter den Gefichtspunkt einer fpecu- [ fchauung einer neuen Zeit tritt und zu einem feilen
lativen Bearbeitung des Lebens Jefu in Form dialogi- I Standpunkt es nicht kommen läfst. Wie ganz anders
fcher Dramatifirung zu bringen (S. 369 f.). Der Rath [ ein Jahrhundert fpäter bei dem begeiftertften Anhänger
ift nicht übel. Wenn ihn nun aber ein zukünftiger Com- ! des Cufanus, bei Bruno! Nicht als ob wir bei ihm allent-

mentar befolgen follte, würde er darum auch Gnade
finden vor diefer Kritik?

Strafsburg i. E. H. Holtzmann.

halben auf feften, in fich widerfpruchlofen Ergebnifsen
ftänden, aber das Bewufstfein des Bruches mit dem Alten
und eines neugewonnenen Bodens giebt feinen Gedanken
eine ficherere Bafis, eine kühneren Flug. Was ift der Grund?
Falckenberg, Privatdoc. Dr. Rieh., Grundzüge der Philo- Nicht blofs der Unterfchied zwifchen einem Cardinal und
Sophie des Nicolaus Cusanus mit befonderer Berück- einem entlaufenen Mönch. Zwffchen beiden liegt ein Er

fichtigung der Lehre vom Erkennen. Breslau 1880,
Koebner. (III, 160 S. gr. 8.) M. 4. —
Diefer Verfuch, das ebenfo geiftvolle, wie an Wi-

eignifs, das auf folche Geifter den entfeheidendften Eindruck
machen mufste und auch gemacht hat, das Auftreten
des Copernicus, gleichfam eine exaete Unterlage für die
neuen, ihrer felbft noch nicht gewiffen Gedanken über Welt

derfprüchen reiche Syftem des Cufanus einer erneuten ; und Menfch darbietend. Nicolaus von Cufa ift einer der
Darftellung und Berückfichtigung zu unterziehen, ift um I letzten originellen Denker, der mit der alten Weltanfchau-
fo dankenswerther, als in der Lehre vom Erkennen in der ! ung noch nicht völlig gebrochen hat. — Es liegt der Wunfeh
That ein Cardinalpunkt desfelben hervorgehoben ift.
Der Geift ift ein Bild Gottes, die Welt ein Bild des
Geiftes, das Endliche eine explicatio d. h. Aus wickelung,
nicht Entwickelung (im Sinne emanatiftifcher Syfteme),
des im Unendlichen complicite Enthaltenen. In dem Erkannten
vollzieht fich der Rückgang des Endlichen zum
Unendlichen. Als ein Einigen der in Mannigfaltigkeit

nahe, ein Berufener rnöchte die Werke des Cufanus durch
eine neue Ausgabe mehr in den Mittelpunkt des wiffen-
fchaftlichen Studiums ftellen. Vorliegende Schrift, welche
überdies mit zahlreichen Quellenbeilagen ausgerüftet ift,
ift befonders geeignet, die Thür zu einem folchen zu
eröffnen.

Leipzig. Härtung.