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Ausgabe:

1882 Nr. 18

Spalte:

424-425

Autor/Hrsg.:

Bickell, G.

Titel/Untertitel:

Synodi Brixinenses saeculi XV 1882

Rezensent:

Tschackert, Paul

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Theologifche Literaturzeitung. 1882. Nr. 18.

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len, und fchliefslich nur mit dem Eifer der Oppofition
gegen Ebrard's Theas vom romfreien Stand jener Kirchen
zu entfchuldigen fein dürften.

Im Uebrigen hat der Verf. mittels überaus grofser
Belefenheit und kritifcher Quellenforfchung, Ebrard
gegenüber, erw-iefen, dafs im Glauben und in der Lehre
kein Unterfchied beftand zwifchen der altbritifchen und
fcotifchen Kirche einerfeits und der abendländifchen Ge-
fammtkirche andererfeits. Ferner, dafs die Differenzen
im Ritus nur untergeordnete Punkte betrafen, ift dem
Verf. zuzugeben. Hingegen dafs die britifche und die
fcotifche Kirche in Hinficht des Kirchenregiments und
der praktifchen Anerkennung des römifchen Primats gut
römifch gewefen feien, ift durch diefe Unterfuchung unfe-
res Erachtens doch nicht ervviefen worden.

Was Columba II (Columbanus von Luxeuil) betrifft,
fo hat Verf. mehr als einen Punkt aus der Gefchichte
desfelben kritifch erforfcht und überzeugend beleuchtet.
Die Parallele, welche Verf. zieht zwifchen den Scotifchen
Miffionaren auf dem Continent und Winfried (S. 114 fr.),
fällt völlig zu Gunften des letzteren aus. Das war bei feiner
Vorliebe für Winfried nicht anders zu erwarten. Wenn
er aber beftreitet, — er thut das mit Befcheidenheit —■
dafs Gall fich als Heidenmiffionar gefühlt und als fol-
cher gearbeitet habe, fo hat er unferes Erachtens Unrecht
. Es ift doch unbeftreitbar, dafs z. B. in Bregenz
Gall Mifhonspredigten gehalten hat; er war dazu befähigt
, denn er hatte die älemannifche Sprache gelernt
und konnte das Volk in feiner Mutterfprache anreden.

Intereffant ift die kunftgefchichtliche Digreffion in
der Anm. S. 119 f., welche Verf. dem Prof. Springer
hier verdankt.

Auffallenderweife nennt Verf. den Kloftergründer
Benedict conftant Benedictus Caffinenfis, nach Monte
Caffino, ftatt, wie gebräuchlich, Nurfinus.

Nicht unerwähnt darf bleiben, dafs die Ausdrucksweife
des Verf.'s, einem Manne wieD. Ebrard gegenüber,
befcheidener fein follte, z. B. S. 87. Anm.

Der lateinifche Stil des Verf. zeugt von Uebung und
Gewandtheit, ift öfters recht fliefsend und lesbar; er bedient
fich nicht feiten folcher Wörter, welche weniger
abgegriffen und doch von klaffifcher Latinität find. Syn-
taktifch ift der Stil in der Regel rein, nur in der Conse-
cutio temporuui zeigt fich derfelbe nicht allenthalben ficher,
indem er häufig den Conj. Imperf. oder Plusquamperf. 1
fetzt, wo er füglich den Conj. Praef. oder Perf. gebrauchen [
dürfte, z. B. S. 8: Primordia quaefuissent, res esset faci-
lis ad cognoscendum si sciremus, unde fuissent etc. Einige
Verftöfse find wohl als Druckfehler anzufehen.

Diefe Arbeit im Ganzen läfst, vermöge ihrer Gelehr -
famkeit und gründlichen Cjuellenforfchung, für die Zukunft
, wenn bei gröfserer Reife gewiffe Mängel überwunden
fein werden, hervorragende und gediegene
Leiftungen des Verfaffers erwarten.

Leipzig. Dr. G. Lechler.

Lindner, Prof. Dr. Thdr., Geschichte des Deutschen Reiches
vom Ende des 14. Jahrhunderts bis zur Reformation
. 1. Abth.: Gefchichte des deutfchen Reiches
unter König Wenzel. 2. Bd. 2. Hälfte. Braunfchweig
1880, Schwetfchke & Sohn. (S. 225—545. gr. 8.)
M. 5. —

Nachdem in der Theol. Lit.-Ztg. 1878, Nr. 10 bereits
die I. Hälfte diefes Bandes von Lindner's ,Gefchichte
des deutfchen Reiches' angezeigt worden ift,
folgt hier ein Referat über die zweite Hälfte, welche die
deutfchen Verhältnifse bis zur Abfetzung des Königs
Wenzel (1400) behandelt (S. 229—524). Diefe an fich
rein politifche Gefchichte berührt hier die kirchlichen
Angelegenheiten öfter, und zwar befafst fie fich eingehend
mit der Zeit des grofsen abendländifchen

Schisma's, zu deffen Beilegung von Seiten des franzöfi-
fchen Hofes und der Parifer Univerfität nach 1394 ener-
gifche Schritte gethan wurden. In diefe Unionsverhandlungen
wurde König Wenzel, der fich zum römifchen
Papfte hielt, endlich 1398 auch hineingezogen, als er
aus politifchen Gründen mit dem franzöfifchen Könige
Karl VI zu Rheims eine Zufammenkunft hatte. Beide
Fürften einigten fich dahin, durch eine Gefandtfchaft die
ftreitenden Päpfte zur Abdankung aufzufordern; Peter
von Ailli, der damals Bifchof von Cambrai war, wurde
zum Führer der Gefandtfchaft auserfehen. Bei der Darfteilung
diefer Vorgänge weicht nun der Verf. von meiner
Erzählung der kirchenpolitifchen Miffion Ailli's (Peter
von Ailli. 1877. S. IOO ff.) ab: er behauptet S. 394
und 511, dafs derfelbe damals nur in Avignon, nicht in
Rom gewefen fei. Allein die von mir beigebrachten
Quellenbelege aus Froiffart laffen fich doch nicht einfach
ignoriren; mit der blofsen Vermuthung, ,dafs hier irgend
eine Verwechfelung vorliegt', ift doch der gerade hier
ganz detaillirt berichtende Zeuge nicht beifeite zu fchie-
ben. Von einer andern Seite aus hat Zöpffel in feiner
Befprechung meines Buches über Ailli in diefer Zeitung
1878. Nr. 3 meinen Reifebericht beanftandet, aber doch
nur meiner Annahme von zwei Reifen nach Avignon
, die Ailli vermuthlich 1398 unternommen hat, nicht
zugeftimmt; die Reife Ailli's nach Rom aber ift fonft
nicht angefochten. Im allgemeinen wird wefentlich wieder
die rein politifche Gefchichtsforfchung von diefem
Bande Nutzen ziehen; die an dem erften gerühmten
Vorzüge urrifaffender und fachlicher Quellenbearbeitung
und durchweg frifcher Darfteilung zeichnen auch diefen
Theil des Lindner'fchen Werkes aus.

Halle a/S. P. Tfchackert.

Bickell, Prof. Dr. G., Synodi Brixinenses saeculi XV. Primus
edidit G. B. Innsbruck 1880, F. Rauch. (80 S.
gr. 8.) M. 1. 20.

In diefer kleinen Sammlung veröffentlicht der Herausgeber
Acten von fechs bisher unbekannten Provin-
zialconcilien, welche zu Brixen in Tirol von dortigen
Bifchöfen im 15. Jahrhundert gehalten worden find. Als
die wichtigften fcheinen aus der Reihe derfelben die von
1453, 1455 und 1457 hervorgehoben werden zu müffen,
da der Cardinal und Bifchof von Brixen Nikolaus von
Cufa an ihrer Spitze ftand. Die Verhandlungen der
Kleriker von Südtirol find indefs nicht epochemachend;
aber für die Kirchengefchichte des 15.Jahrhunderts werden
diefe kurzen Acten doch nicht zu übergehen fein, da fie
über den Stand des kirchlichen Lebens mancherlei Auf-
fchlufs gewähren. Wenn uns neuerdings von Janffen in
der ,Gefchichte des deutfchen Volkes' im I. Bande Nikolaus
vonCufa als der epochemachende Genius der Neuzeit
gemalt wird und Kraus in feinem Lehrbuche der Kirchengefchichte
nach demfelben Mafsftabe die Gefchichte
der Neuzeit mit Nikolaus von Cufa beginnt, fo zeigen
diefe fonft unbedeutenden Acten recht deutlich, nach
welcher Grundanfchauung und bis zu welcher Höhe von
diefem gut römifchen Cardinal eine Reform der kirchlichen
Verhältnifse betrieben worden ift. Liederliche
Kleriker follen ihre Concubinen entlaffen (S. 32) ; alle
Kleriker follen fich der kirchlichen Sitte gemäfs kleiden,
keinen Bart tragen, das Haar fcheeren, die Ohren frei
laffen, keine grünen oder rothen Röcke tragen, Wirths-
häufer nicht ohne Noth befuchen, nicht Würfel und

! Karten fpielen u. f. w. (S. 33). Was aber follen fie dem
Volke vortragen? (S. 34 ff)- .Das Credo, das Vater-
unfer, die zehn Gebote und die Gebote der Kirche —
fo blieb die Reform innerhalb der Grenzen der römifch-

! katholifchen Kirche. Diefe mit ihrem ganzen hierarchi-
fchen Beftande war die felbftverftändliche Vorausfetzung
auch für einen Nikolaus von Cufa; er gehört eben in die