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Ausgabe:

1882 Nr. 17

Spalte:

401-403

Autor/Hrsg.:

Scheurl, Adf. v.

Titel/Untertitel:

Das gemeine deutsche Eherecht und seine Umbildung durch das Reichsgesetz vom 6. Febr. 1875 über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschliessung, mit besonderer Rücksicht auf die

Rezensent:

Köhler, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1882. Nr. 17.

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der Griechen, über Leffing's Nathan und über Goethe's
Fauft (ich auszufprechen. Wenn dadurch wohl der Gang
feiner Entwickelung unterbrochen wird, fo find doch eben
diefe gefchichtlichen und literarhiftorifchen Excurfe, die
auch in den übrigen Abfchnitten öfters wiederkehren, mit
befonderer Liebe bearbeitet und beweifen eine befondere
Gabe des Verf.'s mit markigen Strichen zu charakterifiren
und vom Standpunkt eines evangelifchen Theologen aus
das ethifch und religiös Bedeutungsvolle in dem allgemeinen
Geiftesleben hervorzuheben. Im 2. Abfchnitt:
.Der Staat' ftellt Lohmann zuerft die Entwickelung und
Verwirklichung der Staatsidee in der Gefchichte der Cul-
turvölker dar, um dann auf den Beruf des deutfchen
nationalen Staates insbefondere einzugehen. Bei aller
Wärme patriotifcher Empfindung und fpeciell preufsifch
gefärbter Liebe zum angeftammten Königshaus, die
namentlich in diefem Abfchnitt hervorbricht, läfst er
doch nicht zur Ueberfpannung des Begriffs der Staatsgewalt
fich verleiten, und goldene Worte find es, in denen
er die Pflicht der Selbftbefchränkung des Staates gegenüber
der Kirche betont und vor Staatskirchenthum warnt.
Befonders erquicklich und im bellen Sinn erbaulich ift
der 3. Abfchnitt: ,Die Familie', der mit einem Excurs über
Goethe's Hermann und Dorothea als dem Epos der Familie
abfchliefst. Im 4. Abfchnitt: ,Die Gefellfchaft' ver-
räth Manches, fo das Schlufscapitel: ,Das Volk in Waffen
', die befonderen Intereffen, die dem Verf. durch feine
amtliche Stellung nahe gelegt find, allenthalben aber
zeigt der Verf., dafs er in den allgemeinen Intereffen der
Bildung lebt und webt. Seiner theologifchen Ueberzeug-
ung giebt er in den drei letzten Abfchnitten: ,die Kirche,
die Perfönlichkeit, die Vollendung' Ausdruck. Was er
darin vom Standpunkt unionsfreundlicher Vermittelungs-
theologie entwickelt, ift nicht eben durch Originalität
ausgezeichnet. Die Gabe des Verf.'s liegt auf einem
anderen Gebiet. Wie feiten einer verfleht er es, anknüpfend
an die Intereffen der allgemeinen Bildung für das fpeci-
fifch Chrifüiche und Evangelifche zu erwärmen, die chrift-
liche Bildung als die Blüthe der nationalen und allgemein
menfehlichen, den Chriftenberuf als den wahren Menfchen-
beruf nachzuweifen und die unvergängliche Herrlichkeit
der Kirche in's Licht zu ftellen. Um defswillen wün-
fchen wir feinem Werke die weitefte Verbreitung.

Dornreichenbach. Dr. Wetzxel, Pfarrer.

Scheurl. Dr. Adf. v., Das gemeine deutsche Eherecht und
seine Umbildung durch das Reichsgefetz vom 6. Febr.
1875 über die Beurkundung des Perfonenflandes und
die Ehefchliefsung, mit befonderer Rückficht auf die
Kirchen-Eheordnung dargeftellt. 2. Hft. Ehetrennung
und Verlöbnis. Erlangen 1882, Deichert. (VIII u.
S. 267—393. gr. 8.) M. 2. —

Mit dem vorliegenden zweiten Hefte kommt das
bereits früher (Th. Lit.-Ztg. 1881, Nr. 24) befprochene
Buch v. Scheurl's zum Abfchlufs. Es behandelt im 3.
Theile des Ganzen die Ehetrennung, im 4. das Verlöb-
nifs, letzteres eine Materie, welche ganz fachgemäfs,
wenn auch gewiffermafsen nur anhangsweife mit dem
Eherecht in Verbindung tritt. Scharffinn und Befonnen-
heit des Urtheils, Gründlichkeit, eingehende und forg-
fältige Durcharbeitung eignen auch diefen Theilen wie
den vorausgegangenen. Die Darfteilung des katholifchen
Scheidungs- bezw. Trennungsrechts (von dem Verf. gut
unter dem doppelten Gefichtspunkt: vollkommene
Scheidung unvollkommener Ehen — das matrimonhim
7Wii rata in und das matrimonium ratum non consnmma-
tum, — dann unvollkommene Scheidung vollkommener
Ehen, d. i. immerwährende Trennung von Tifch und
Bett, geordnet) giebt zu keiner befonderen Bemerkung
Anlafs. Nur ift es doch fehr fraglich, ob man dem Verf.
darin zuftimmen kann, dafs der kanonifche Satz, wonach j

eine gültig gefchloffene, aber noch nicht confummirte
Ehe durch den Eintritt des einen Ehetheils in einen
geifllichen Orden oder durch päpftliche Dispenfation
gelöft werden kann, noch dermalen auch auf dem bürgerlichen
Rechtsgebiete, fo weit hier das katholifche
Eherecht Anwendung findet, Geltung habe. In Wahrheit
kommen nach dem Reichsgefetz von 1875 der ftan-
desamtlich gefchloffenen Ehe alle Wirkungen des matrimonium
ratum und consutntnatum zu, ohne Rückficht
auf die thatfächlich eingetretene oder nicht eingetretene
Confummation. Ohnehin würde eine richterliche Erörterung
der Frage, ob letztere ftattgefunden habe, der
heutigen Gefühlsweife fo völlig widerfprechen, dafs fie
fchon dadurch factifch ausgefchloffen wäre, und die
Aushülfe blofser Rechtsvermuthungen könnte doch nicht
genügen. — Von befonderem Intereffe für den theologifchen
Lefer ift die Darftellung der gefchichtlichen
Entwicklung des Ehefcheidungsrechts bei den Proteftan-
ten (S. 291 ff.). Anknüpfend an die bezüglichen Arbeiten
Hauber's, Richter's, Mejer's und diefelben theilweife
weiter führend und berichtigend weift der Verf. nach,
wie die deutfchen Reformatoren fich übereinftimmend
deffen b ewufst gewefen find, dafs die hierher gehörigen
neuteftamentlichen Ausfprüche nicht als neues Gefetz,
als unmittelbar anwendbare Norm für das Verfahren der
Obrigkeit zu faffen feien, dafs ihnen daher der Gedanke
einer Unterfcheidung zwifchen chriftlicher Eheordnung
und bürgerlicher, für Alle bindender Rechtsfatzung gar
nicht fremd gewefen ift, und fomit die in den proteftan-
tifchen Ländern bald allgemein gewordene Gleichfetz-
ung kirchlicher und bürgerlicher Ehegefetzgebung, zumal
auf dem Gebiete des Scheidungsrechts, nicht aus den
urfprünglichen Grundgedanken der Reformation erwachten
ift, ebenfo, dafs die analogifche Ausdehnung der
Scheidungsgründe aus den den neuteftamentlichen Worten
zu Grunde liegenden Principien heraus bis zu den
Anfängen der Reformation zurückgeht. Schon der Um-
ftand, dafs Jefus in feinen bekannten Ausfprüchen überall
die Sclbftfcheidung des Ehemanns, nicht die durch richterliches
Urtheil gefchehene Scheidung im Sinne hat,
verwehrt, wie treffend hervorgehoben wird, die gefetz -
liche Anwendung jener Worte auf heutige Verhältnifse.
Gut ift der Nachweis, wie weit jene analogifche Ausdehnung
principgemäfs erftreckt werden kann, worüber
es allerdings zu einer übereinftimmenden Rechtsbildung
nicht gekommen ift (der Scheidungsgrund kann immer
nur eine fchwere Verfchuldung des einen Theils, niemals
ein gemeinfam zu tragendes Unglück fein), ferner dafs
feit dem Eindringen des Naturrechts in das Eherecht
und deffen Säcularifirung um den Anfang diefes Jahrhunderts
eine organifche Fortbildung desfelben nicht
mehr ftatuirt werden kann. In dem richterlichen Scheid-
ungsurtheil fieht v. Scheurl u. E. mit Recht, nicht, wie
Manche wollen, nur die Declaration der durch die That
der Gatten bereits wirklich gewordenen Scheidung, fondern
die bewirkende Urfache derfelben. Das Recht der
Ehefcheidung aus landesherrlicher Machtvollkommenheit
befteht nach dem Verf. noch fort — mit Recht, wenn,
wie er anfänglich gezeigt hat, das proteftantifche Eherecht
überhaupt urfprünglich den Charakter ftaatlicher.
von der Kirche nur angeeigneter Rechtsfatzung trägt,
woraus dann folgt, dafs jenes Recht als ein Stück der
Landeshoheit, nicht der durch das Reichsgefetz befei-
tigten geifllichen Gerichtsbarkeit anzufehen ift. Doch
ift dem Verf. nicht allein darin zuzuftimmen, dafs für
das Fortbeftehen desfelben kein Bedürfnifs mehr vorhanden
fei (S. 335), fondern es erfcheint geradezu als
eine innerhalb der heutigen Rechtsordnung nicht mehr
haltbare Anomalie. — Entfprechend feiner grundlegenden
Anfchauung will der Verf. auch für das Gebiet der
Ehefcheidung, bez. der Wiederverheirathung Gefchiede-
ner das bis 1875 geltend gewefene proteftantifche Eherecht
als kirchliche Eheordnung neben dem ftaat-