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Ausgabe:

1881

Spalte:

42-43

Autor/Hrsg.:

Bersier, Eugène

Titel/Untertitel:

Ausgewählte Predigten 1881

Rezensent:

Lindenberg, H.

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Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 2.

unfern Sünden und von allem Uebel zu befreien, fehlt lernt man, trotz aller Bedenken, die man felber gegen
in der alten Agende und ift ficher nur geeignet, bei der ; das bis jetzt zu Recht Beftehende hat, doch die kirch-

Menge einer abergläubifchcn Vorftellung Vorfchub zu liehe Weisheit und das liturgifche Verftändnns der

leiften. — Mit der von Dächfei vorgefchlagenen Spende- Männer fchätzen, welche 1829 der evangelifchen Kirche

formel ift die Union einfach aufgehoben. Die alte Agende der Königlich I'reufsifchen Lande die Agende^ fchenkten.

befitzt diejenige Formel, in welche jeder evangehfehe Vom Standpunkt der Union aus ift Dächfel's Kirchen-

Chrift ohne Deutelei feinen confeffionellen Glauben buch nicht annehmbar.

hineinlegen kann. Auch im Schlufsgebet ift wieder der Strafsburg i. E. Alfred Kraufs.

Ausdruck der Union in der alten Agende durch eine

ftark confeffionell luthtrifche Wendung erfetzt, abgefehen
von der ,göttlichen Müdigkeit', die in der alten Agende ßersier. Pfr. Eugene, Ausgewählte Predigten. Vom Verf.
fehlt und keine glückliche Bezeichnung für die im Abend- . autorifirte Ueberfetzung. Bremen 1881, Müller. (267
mahl befonders hervortretende Liebe Gottes ift. Be- c; k 1 m
fonders ftark aber tritt der confeffionaliftifche Charakter j ' v *

Dächfel's S. 19 hervor, wo ftatt der in der alten Agende Für die Lefer der im Jahre 1875 erfchienenen erften

enthaltenen declaratorifchen, d. h. evangelifchen Abfo- Sammlung der Berfier'fchen Predigten (f. Theol.Lit.-Ztg.
lution die exhibitive Form gewählt ift, die nur bei katho- | 1876, Sp. 274) bedarf es einer Charakteriftik diefer neuen
lifchem Amtsbegriff Berechtigung hat. — Eine ganz un- Folge nicht mehr; fie werden fich der gewandten Ueber-
glaubliche Gefchmacksverirrung ift S. 178 ff. die von D. fetzerin zu aufrichtigem Dank verpflichtet fühlen für ihr
eingefchobene .Vorlefung am 10. Sonntag nach Trinitatis, eifriges Beftreben, diefen hervorragenden Proben fran-
Nachmittags, die Gefchiche der Zerftörung Jerufalem's , zöflfcher Kanzelberedtfamkeit auch in Deutfchland Ein-
durch die Römer'. Ein Unterricht über eine weltgelchicht- gang zu verfchaffen. Faft fcheint es aber, als ob jenes
liehe Kataftrophe als ein Stück der Jahr aus Jahr ein erfte Heft nicht die allgemeine Beachtung gefunden habe,
wieder vorzutragenden Agende! Schon von Mofes feien welche diefe Predigten mit vollem Rechte beanfpruchen
die Römer geweiffagt; ja auch dafs ein hungerndes Weib können. Wer unfere hergebrachte Predigtmethode nicht
ihr Kind verzehren würde, habe Mofes zuvor verkün- I für unfehlbar hält, follte fchon um der Form willen diefe
digt! — Ueber die S. 188 bis S. 236 vorgefchlagenen : Predigten nicht überfehen. Berfler liebt es, ein möglichft
Gottesdienfte mit Verlefung der Feftgefchichte, Refpon- kurzes Schriftwort feinen Betrachtungen zu Grunde zu
forien, Gebeten etc. verliere ich nach dem Eingangs Ge- legen z. B. Matth. 20, 6: Was flehet ihr hier den ganzen
fagten kein Wort weiter. Diefe Stimulirung des kirch- Tag müfsig? (II), Pf. 25, 9: Der Herr lehret die Elenden
liehen Intereffes vermittelt! der Heranziehung des äfthe- (les humblcs) feinen Weg (V), Jof. 7, 13: Es ift ein Bann
tifchen Intereffes ift in neuerer Zeit an vielen Orten (bei : unter dir, Israel (XI), Matth. 5, 13: Ihr feid das Salz der
Lutheranern und Reformirten) beliebt. Ich kann darin Erde (XII; u. f. w. In dem Hauptgedanken folcher Worte
nur einen Verfall der echt evangelifch-proteftantifchen läfst nun der Redner, ohne fleh in ein beftimmtes Schema
Kirchlichkeit erblicken. Wem folche Gottesdienfte Noth einfehnüren zu laffen, mit grofser Meifterfchaft wie in
thun, der wird ficher für den echt evangelifch-proteftanti- einem vielfach gefchliffenen Kryftall gefchichtliche Situa-
fchen Hauptgottesdienft den rechten Ernft und die rechte tionen und Vorgänge, gefellfchaftliche und fociale VerFreudigkeit
verlieren. Die alte Agende ift auch zu kirch- hältnifse, Seelenzuftände und praktifche Aufgaben (ich
lieh und zu proteftantifch, um Formulare für folche Vor- fpiegeln , um dann, nach allfeitiger Beleuchtung feines
Heilungen zu geben. Ich berühre nur, dafs D. dabei dem Textes und nach Befeitigung, refp. Richtigftellung aller
Pfarrer zumuthet, abwechfelnd mit der Gemeinde zu von ihm felbft erhobenen Einwendungen und Befchränk-
fingen. — Bei der Taufe ift in der alten Agende die ungen feinen Hauptfatz mit gewaltigem Ernft feinen Zu-
abrenuntiatio weggelaffen; D. führt fie wieder ein. — Vor hörern ins Herz und Gewiffen einzuprägen. Durch diefe
der Confirmation foll nach D. der Geiftliche die Stelle von den verfchiedenften Seiten immer wieder auf einen
2 Chron. 15, 9—12 lefen, was die Vorftellung von der Punkt zufammenlaufenden Strahlen wird eine bedeutende
Confirmation als einem Eidfehwur vorausfetzt oder doch Wirkung erzielt. Dafs dabei eine vorzugsweife aus Ge-
beim Volke hervorruft. Wie verhängnifsvoll diefe Vor- bildeten beftehende Gemeinde vorausgefetzt ift, liegt auf
ftellung ift, möge bei Palmcr Katechetik S. 592 nach- der Hand. Wenn aber heutzutage fo vielfach die Frage
gelefen werden. (Um die Liturgie wirklich zu verbeffern, erörtert wird, was gefchehen müffe, um die zahlreichen
follte man immer fämmtliche übrige Zweige der prak- der Kirche, nicht dem Chriftenthum entfremdeten Kreife
tifchen Theologie vor Augen haben.) Den Segen er- der Gebildeten wieder heranzuziehen, fo dürfte, foweit
theilt die alte Agende echt evangelifch; D. hingegen die Form der Predigt dabei in Frage kommt, mit der
wieder mit den Worten ,Nehmet hin etc.' Ich verweife hier befolgten Methode ein fehr beachtenswerther Wink
nochmals hierüber auf Nitzfeh Prakt. Theol. Bd. II gegeben fein.

S 37s- — Für die Krankencommunion giebt D. S. 304 f. Von dem reichhaltigen Inhalt diefer Sammlung

Anleitung zu geradezu vexatorifchen Fragen, von denen können hier nur dürftige Andeutungen gegeben werden,
die alte Agende auch nicht das Minderte weifs. — Hin- Es find vorzugsweife ethifche Fragen, die der Verf. vom
fichtlich der Begräbnifsliturgie wäre der alten Agende Standpunkte pofitiven Bibelchriftenthums aus behandelt,
allerdings eine gröfsere Mannigfaltigkeit fehr zu wünfehen; j Die Pflicht und der Werth eines auf Wahrheit und Liebe
D. verfällt in den entgegengefetzten Fehler und giebt für j beruhenden chriftlichen Zeugnifses in Wort und Wandel
alle denkbaren Fälle, fogar für die Beerdigung eines , (Ij, das Wirken des Chriften für die Ewigkeit (II), die
aufserehelichen Kindes ein befonderes Formular. — In fittliche Macht des Kreuzes als der höchften Offenbarung
der alten Agende ift nur für die Ordination, aber nicht göttlicher Heiligkeit und Liebe (III), Wefen und Werth der
n» •« Inftall.ation eines Geiftlichen liturgifch vorgeforgt. Demuth (IV), der Begriff der wahren Bufse (VII), die Wich-
Das ift allerdings ein Vorwalten des reformirten Gefichts- tigkeit der Togen, kleinen Pflichten für das innere Leben
punktes. Revidirt und fortgebildet würde die Agende, ; (VIII), die Gefahren derLieblofigkeit im Urtheil (IX), des Un-
wenn nicht das vorhandene Gebet ausgemerzt und an danks (X), der Lieblingsfünden — des ,Bannes' — (XI),
Stelle desfelben ein Formular für die Einführung in das der Muthlofigkeit (XIII), der Einflufs des Chriften auf die
Amt gefetzt würde, was D.'s Vorfchlag ift, fondern wenn I Welt (XII), die Aufgaben des Reichen dem Armen gegen-
aufser der Ordination auch noch dazu in einem befon- über (XIV; — das find, abgefehen von zwei Weihnachts-
deren Formular die Inftallation Berückfichtigung fände, predigten über die Vifion des Elias und die Gefchichte
Je mehr Verbefferungsvorfchläge die bis jetzt gültige Simeons, die behandelten Gegenftände. Die Lebendig
Agende betreffend man zu lefen bekommt, um fo höher | keit der Darftellung, die mit grofsem pfychologifchcm