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Ausgabe:

1880 Nr. 3

Spalte:

61-62

Autor/Hrsg.:

Monrad, M. J.

Titel/Untertitel:

Denkrichtungen der neueren Zeit. Eine kritische Rundschau 1880

Rezensent:

Krauss, Alfred

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Seite 1

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Öl

Theologifche Literaturzeitung. 1880. Nr. 3.

02

Schliefslich fei noch darauf aufmerkfam gemacht, dafs
der Verf. auf einige im Dresdener Staatsarchiv aufbewahrte
Stücke hinweift, die fehr der Veröffentlichung
werth feien; fo S. 24 Anm. 2 auf eine Arbeit von
Schütz: .Chronologifche Nachricht von den Bewegungen
der Kirche und in der Theologie, befonders foweit Philipp
Melanchthon dabei betheiligt gewefen, von 1519—
1566', und S. 58 Anm. 2 auf theologifche argumenta,
wie fie von einem flacianifch gefinnten Rector in der
Schule gegeben wurden.

Erlangen. G. Plitt.

Monrad, Prof. M. J., Denkrichtungen der neueren Zeit.

Eine kritifche Rundfchau. Deutfche vom Verfaffer
felbft beforgte Bearbeitung. Bonn 1879, Weber.
(VIII, 284 S. gr. 8.) M. 5. —

In zwei und dreifsig Vorträgen befpricht ein dem
Norden angehöriger Hegelianer der rechten Seite die
verfchiedenen Denkrichtungen der neueren Zeit. Hoch
intereffant ift es zu fehen, wie ein Nichtdeutfcher, der
doch durchaus in dcutfcher Bildung wurzelt und derfel-
ben überall mit der gröfsten Achtung begegnet, fich
den Gang der modernen Zeit zurechtlegt. Dafs den
bedeutenderen Erfcheinungen der dänifchen Literatur
befondere Aufmerkfamkeit zugewendet ift, kann nicht
blofs nicht überrafchen, fondern nur dankbar angenommen
werden. Wir haben zwar von Grundtvig und Kierkegaard
fchon Viel gehört und gelefen; aber die Propheten
des Nordens find uns doch (trotz Kaftan und
Martenfeh] noch nicht fo verdeutfcht, dafs wir nicht noch
gerne andere Landsleute über fie vernähmen. Darum
laffen wir uns nicht ftörcn, wenn die eine oder andere
für das grofse Ganze vielleicht bedeutungsvollere ,Denkrichtung
' von Monrad übergangen worden ift. Schleiermacher
fcheint kaum exiftirt zu haben; der moderne
Katholicismus macht dem Norweger auch nicht Viel zu
fchalfen. Ein Jeder fieht fich die Richtungen eben von
feinem eigenen Standpunkte aus an. Darum wird auch ein
Jeder wieder eine etwas andere Stellung zu den Denkrichtungen
im Allgemeinen und zu den hier gefchil-
derten im Befondern einnehmen.

Das Thema hält die Mitte zwifchen einer Gefchichte
der Philofophie feit Kant und einer Gefchichte der modernen
Cultur. Alle culturgefchichtlichen Ereignifse
fallen nur infoweit in Betracht, als fie in einer Gefchichte
der Philofophie eine Stelle finden müffen, und alle phi-
lofophifchen Syfteme werden nur infoweit herbeigezogen,
als ihnen nach des Verf.'s Annahme eine culturgefchicht-
liche Bedeutung zukömmt. So rangirt Herbart neben
Schopenhauer als Wegebereiter des Comte'fchen Pofitivis-
mus. Letzterem ift, abgefehen von den ebenfalls mehr
oder weniger ausführlich behandelten Nachfolgern Mill,
Taine, Littre, Renan, ein volles Viertel des Ganzen gewidmet.
Von Kant geht felbflverftändlich die Betrachtung aus,
bei der Socialdemokratie, diefelbe aber bekämpfend,
langt fie an.

Es läfst fich nicht leugnen, dafs die Hegel'fche Philofophie
in Monrad wieder auf's Neue ihr Talent bewiesen
hat, das fcheinbar Disparatefte unter einen einheitlichen
Gefichtspunkt zu bringen und unter den mannigfaltigen
und verfchiedenartigen Aeufserungen menfeh-
hcher Denkarbeit Zufammenhang herzuftellen. Es ift
das Talent für Philofophie der Gefchichte. Hie und da
möchte man fich weniger Raifonnement und mehr Erzählung
wünfehen; im Ganzen aber begleitet man
den Verfafler mit ftetig fich gleich bleibender Theil-
nahme. Rhetorifche Wendungen kommen nur gerade
fo viele vor, als man bei Vorlefungen für ein gröfscres
Publicum erwartet, dem man doch gewiffe Fachkennt-
nifse zutraut. Der Styl ift gut und fliefst regelrecht
dahin. Man freut fich, ein fo hübfeh gearbeitetes Buch
zu lefen.

Auf den Inhalt im Einzelnen einzugehen verzichte
I ich, weil ich hier nicht jede Denkrichtung felber beur-
theilen kann. Wer Freude an philofophifchen Betrachtungen
befitzt und auf einem weder orthodox noch natur-
wiffenfchaftlich pofitiviftifchen Standpunkte fleht, weder
Skeptiker noch Peffimift ift, der wird das Buch mit hohem
Intereffe und gewifs auch mit viel Genufs lefen. Den
Hegelianismus, der uns in Deutfchland jetzt fchon etwas
fremd anmuthet, nimmt man mit in den Kauf. Dafs der
Verf. fich befonders nachdrücklich gegen den Pofitivis-
mus erklärt, ift leicht begreiflich. Nur möchte ich leine
Behauptung beanftanden, dafs demfelben ein ,arifto-
kratifcher Charakter' eigne. Der Pofitivismus entfprang
gewifs nicht aus einer befonders vornehmen Geiftes-
richtung. Aller Wiffenfchaft kommt ein gewiffer Arifto-
kratismus zu, aber nicht der fo oder fo gearteten , fondern
der Wiffenfchaft fchechthin und als folcher, und
darum fchlägt auch die von der Maffe inftinetiv als ihr
! verwandt erkannte Richtung des Pofitivismus, je wiffen-
fchaftlicher fich diefer ausbaut, in das Ariftokratifche
über. So geht es aber jeder zur Wiffenfchaft fich ausbildenden
Richtung. Die Wiffenfchaft ift ja die that-
fächlich geltend gemachte Herrfchaft des Gedankens
über den Stoff, der Idee über die Erfahrung. Aller
Pofitivismus oder, wie man früher fagte — denn die
Namen find es nur, welche wechfeln — aller Empirismus
löft fich entweder in ejne mitunter der Phantafterei
doch fehr zugängliche Oberflächlichkeit auf oder nimmt
idealiftifche Elemente an und ariftokratifirt fich dadurch
- unvermerkt.

Für den Geift aber, der das ganze Buch durchweht,
fowie für viele treffende Einzelbemerkungen fei dem
Verfaffer herzlicher Dank gefagt.

Strafsburg i/E. Alfred Kraufs.

Landerer, weil. Prof. Dr. Max. Alb., Zur Dogmatik. Zwei
akademifche Reden. Nebft L.'s Gedächtnifsrede auf
Ferd. Chrn. Baur. Tübingen 1879, Heckenhauer. (83 S.
gr. 8.) M. 1. 20.

Der erfte der beiden Vorträge ift des Verfaffers akademifche
Antrittsrede vom 14. Septbr. 1843 und handelt
von der Form der Dogmatik. Vornämlich gegen Hegel
fich wendend, ftrebt er eine Vervollftändigung des Schleier-
macher'fchen Standpunktes durch ftärkere Betonung des
Schriftprincips und der Erfahrung an. Man lieft fich
angenehm durch die wohlgefchriebene Abhandlung hindurch
, ohne viel Neues zu vernehmen. Wer mit dem
Verf. principiell nicht einverftanden ift, wird fich fchwer-
lich grofs angefochten fühlen; wer auf Schleiermacher'-
fchen Principien fufst, wird fagen, nun komme Alles auf
die Durchführung an. Ein Anftofs zu neuer Entwicklung
der Dogmatik wird nirgends gegeben. Selbft die Sche-
matifirung im engern Sinne des Wortes ift nicht einmal
berührt. Aber man hört einen Docenten, dem jeder
gläubige und dabei für die Wiffenfchaft begeifterte Pfarrer
vertrauensvoll feinen Sohn ins Colleg fchicken konnte.
— Der zweite Vortrag, vom 27. Septbr. 1843, fpricht
über den Inhalt der Dogmatik und wendet fich gegen
die Hegel'fche Philofophie, gegen Straufs und gegen
Feuerbach. Es ift eine Rede aus der Zeit und für die
Zeit, nützlich, wenn man in der Dogmatik zur Lehre vom
Religionsbegriff kömmt, wiederum ohne wefentlich neue
Gefichtspunkte zu enthalten, aber gefchickt gemacht. —
J Als Beigabe, doch beinahe die Hälfte des ganzen Schriftchens
füllend, wird uns die am 7. Februar 1861 in der
Aula gehaltene Gedächtnifsrede auf Ferd. Baur geboten.
Diefe Rede war feiner Zeit mit den betreffenden Predigten
etc. von Georgi, Palmer und Oehler zufammen
in dem Schriftchen ,Worte der Erinnerung an Dr. Ferd.
Chrift. v. Baur' erfchienen und ift mit diefen ein Ehren-
! denkmal, das die Tübinger Theologen nicht blofs ihrem
! verewigten berühmten Collegen, fondern ihrem eigenen