Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1879 Nr. 6

Spalte:

136-138

Autor/Hrsg.:

Kierkegaard, Sören

Titel/Untertitel:

Einübung im Christentum 1879

Rezensent:

Lindenberg, H.

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

135

Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 6.

Sehr charakteriftifch für Rothe's Standpunkt, exege-
tifch allerdings fraglich, ift die Deutung der Stelle II, 7
(ivTol. naX. rv elxcce an äo/fjc), an welche fich eine
vortreffliche Auseinanderfetzung anfchliefst über das Ver-
hältnifs des Chriftlichen zum Allgemein-Menfchlichen,
mit dem fich jenes innig berührt und von dem es fich
doch wiederum wefentlich unterfcheidet. ,Es gehört
wefentlich zu der eigenthümlichen chriftlichen Gemüths-
ftimmung, dafs der Chrift fich des Willens feines Er-
löfers bewufst wird als eines folchen, der nicht etwa
neue Forderungen ftellt, die nicht fchon an und für fich in
der Natur des menfchlichen Gefchlechtes gelegen hätten.
Es find vielmehr lauter rein und allgemein menfchliche
Forderungen , welche der Er löfer an uns richtet, aber
nichtsdeftoweniger find fie deshalb wirkliche Forderungen

Die hiftorifch-kritifchen Fragen treten bei diefer
praktifchen Erklärung zurück; immerhin giebt auch nach
diefer Seite die Einleitung intereffante Winke. R. fpricht
fich entfchieden für die Authentie des Briefes und des
mit ihm ganz verwandten 4. Evangeliums aus, wenn auch
über die gegenfeitigen Beziehungen einzelner Stücke aus
denfelben die Erklärungen des Verf. fchwanken (vgl.
S. 2 u. S.16).

Die Ausführungen über den Zweck des Briefes, den
R. auch als ein apoftolifches Rundfehreiben an mehrere
Gemeinden anfleht, und über die geiftige Phyfiognomie
der damaligen Chriftenheit mit ihrer kühlen Reflexion,
ihrer herrfchenden Halbheit und ihrem häretifchen Un-
wefen, dem gegenüber der Brief eine reinigende und
bewahrende Aufgabe hat, fowie die Auslaffungen über

erft des Erlöfers. — Der Chrift ift eben nur der Menfch, : den fchriftftellerifchen Charakter, fpec. im Unterfchiede
aber der Menfch, wie nur der Chrift ihn kennt.' Zu vergl. 1 von demjenigen des Apoftels Paulus, find voll von
ift damit die Ausführung S. 208. Die Erklärung von [ feinen und treffenden Bemerkungen

II, 12—14 bietet infonderheit (S. 65) feine und treffende
Bemerkungen über die eigenthümlichen Modificationen,
welche für den Standpunkt des Chriften und die Farbe
feines Chriftenthums durch den Unterfchied der Lebensalter
erwachfen. Nicht minder treffend und für R.'s
eschatologifchen Standpunkt bezeichnend find feine Auslegungen
zu II, 18 über die egxdxt] toga und den dvn-
Xgioiog, in denen er die Bedeutung der chiliaftifchen
Hoffnung nach ihrem wefentlichen Kern für die Gefund-
heit des Chriftenthums betont und die Anfchauung vom
Antichrift als der höchften Spitze einer Reihe von relativ
widerchriftlichen Erfcheinungen zur feinigen macht. (Zu

Die Leetüre diefer Erklärung, die namentlich auch
jüngeren Theologen und Geiftlichen angelegentlichft zu
empfehlen ift, bietet im beften Sinne des Wortes eine
wirkliche Erbauung und einen geiftigen Genufs. Der
warme Hauch wahrer Frömmigkeit, der Ton hohen fitt-
lichen Ernftes und infonderheit die tiefe Ehrfurcht vor
der gottmenfehlichen Perfönlichkeit des Erlöfers in feiner
Heiligkeit und in feiner Liebe vereinigen fich in der
Schrift in ergreifender Weife.

Mit Bezug auf das Letztere können wir uns nicht vertagen
, zwei fich ergänzende Bekenntnifse R.'s mitzutheilen,
in denen fich fein chriftologifcher Standpunkt, wie er

vergleichen die Erklärung von II, 2. S. 95 f.) Zu II, 20: 1 ihn jederzeit feftgehalten, in eigenthümlicher Weife aus-

olldare nävta bemerkt R. fehr fchön: ,Der Allwiffenheit
kann fich der Chrift gewifs nicht rühmen, auch fein Wiffen
ift Stückwerk; aber der grofse Unterfchied zwifchen der
Befchränktheit feines Wiffens und der des natürlichen
Menfchen befteht darin, dafs der Chrift gerade die letzten
Elemente alles Wiffens befitzt, die Principien für die
Flrkenntnifs aller Wahrheit, den Schlüffel zu allem Wiffen,
eben in der Erkenntnifs Chrifti felbft und der Erkennt-
nifs Gottes in Chrifto. Dadurch zeigt fich ihm Alles
im rechten Lichte'. Ganz eigenthümlich und finnvoll,
wenn auch ebenfalls exegetifch fehr zweifelhaft, ift die
Deutung von III, 8: an dgx>tg, indem R. das an' dgx-
nicht von der Zeit, fondern logifch fafst, indem Sinne

fpricht. ,Dasjenige, wovon in der chriftlichen Welt', fagt
Rothe S. 133, ,alle Wirkfamkeit des Heils ausgeht, ift
die Anfchauung des menfchlich-gefchichtlichen Lebens
Chrifti. Diefes ift das eigentliche Heiligthum der Menfch-
heit und wer diefes antaftet, der ift der eigentliche Geift
des Widerchrift. Im Gegentheil um feine Aufhellung,
immer vollftändigere Reftauration fich zu bemühen, ift die
eigentliche Aufgabe aller, die mit klarem Sinn für Gottes
Intereffe in der Welt wirken. Wen der gefchichtliche
Jefus Chriftus abftöfst, der hat nicht den Geift aus Gott;
wen er anzieht, der hat gewifs etwas von jenem Geift.
Nichts kann dem chriftlichen Gemüth weher thun, als
wenn es fieht, wie mit kaltem Blut oder gar mit Freude

von ,principiell', dem abgeleiteterweife Sündigen ge- 1 an diefem in der Welt aufgerichteten Bilde Chrifti zer-
genüber. ,Der Satan, will Johannes fagen, ift es, wel- ftörend gearbeitet wird. Dagegen ift eine kritifcheBearbeit-
cher par principe fündigt, um des Sündigens felbft j ung desfelben etwas nothwendiges'. Ergänzend dazu fagt

willen; die anderen Sünder fündigen nur um etwas
anderen willen'. Unter dem anegua &eov in III, 9 verlieht
R. ebenfalls abweichend von der gewöhnlichen
Erklärung den in dem Bekehrten fittlich erzeugten oder
zu Stande gekommenen (centralen) Anfatzpunkt von
wirklichem gutem oder heiligem Geift, der Same Gottes

R. S. 173: ,Ein Glaube an Jefum, bei dem er nicht der
Sohn Gottes wäre, fondern nur Menfch wie wir alle,
könnte das Bewufstfein der weltüberwindenden Kraft uns
nicht mittheilen. Wem der Erlöfer klein ift, der wird
auch gewifs ein kleinliches und armfeliges Chriftenthum
führen; je gröfser uns der Erlöfer ift, defto mächtiger

Dresden. Meier.

heifst, fofern ihm die göttliche Natur in dem heiligen Geift j und herrlicher ift auch unfer chriftliches Leben. I )cr
Chrifti einwohnt und er durch Gott in dem Menfchen ge- ' Menfchheit diefen einzigen, wahren Gottmenfchen entwirkt
ift, der als wirklicher Geift unauflösbar ift und von i reifsen zu wollen, ift der härtefte Frevel, der an ihr
dem es darum heifst: er bleibt im Wiedergeborenen.— j begangen werden kann'.

Wie R. ein befonders feines Verftändnifs hat für
die Vereinigung der ethifchen und der religiöfen Momente
, beweift die Deutung von III, 19. 20. Noch machen
wir befonders aufmerkfam auf die fehr eigenthümliche
Deutung von IV, 18 und V, 6, indem wir uns darauf
befchränken, die Auslegung der letzteren Stelle anzudeuten
, in welcher R. den ,Geift' nicht, wie herkömmlich,
als ein drittes, die Meffianität Jefu beglaubigendes Moment,
neben Waffer und Blut geftellt, auffafst, fondern als
das Beides, das Waffer und das Blut, verriegelnde Moment
, durch welches die in beiden liegende Beglaubigung
erft volle überzeugende Kraft erhält, (ort verlieht
R. hier als Caufalpartikel: weil der Geift die Wahrheit
ift.) Die Schwierigkeit, welche v. 8 diefer Auslegung

Kierkegaard, Sören, Einübung im Christentum. Aus dem

Dänifchen überfetzt von A. Bärthold. Halle 1878,
Fricke. (VIII, 320 S. gr. 8.) M. 3. —

Der in Nr. 8 des vorigen Jahrgangs diefer Zeitung
ausgefprochene Wunfeh, dafs es dem fleifsigen Bearbeiter
und Ueberfetzer Kierkegaard'fcherSchritten gefallen möge,
eine oder die andere der bedeutendftenSchriften des dänifchen
Autors ganz und unverkürzt dem deutfchenLefer zugänglich
zu machen, ift fchneller erfüllt worden, als Ref.
zu hoffen wagte. Herr Bärthold rechtfertigt jetzt auch
die, wie er felbft bemerkt, ,bisher wenig durchfichtige'
gegenüber bietet, fcheint uns allerdings nicht genügend I Methode, nach der er in feinen- Veröffentlichungen aus
befeitigt zu fein. | und über K. verfahren ift. Wie K. felbft feiner .Einübung