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Ausgabe: | 1879 Nr. 14 |
Spalte: | 332-335 |
Autor/Hrsg.: | Heppe, Heinr. |
Titel/Untertitel: | Geschichte des Pietismus und der Mystik in der reformirten Kirche, namentlich der Niederlande 1879 |
Rezensent: | Ritschl, Albrecht |
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Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 14.
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wird, dafs Marfilius von Padua nicht 1328 in Montalto Heppe, Dr. Heinr., Geschichte des Pietismus und der
geftorben rft (p. 93) und dafs uns von der Angabe, Bo- Mystjk in der reformirten Kirche, namentlich der Nie-
nagratia habe fich unterworfen (p. 101), gerade das Gegen- j , , , r lQ„ „ .„ ,vy, c „.
theil ausdrücklich erwähnt wird (Johann von Winterthur ! Jerlande. Leiden 1879, Brill. (XVI, 503 S. gr. 8.)
ed. Wyfs p. 88. Dritte bair. Fortf. der fächf. Welt-Chro- 1 M. 9. —
nik in M.G. D. Chr. II, 347, 25). Herr Heppe eröffnet durch diefes Buch ein bisher
Der Reft des Paragraphen fchildert die Ausläufer faft unbekanntes Gebiet der Kirchengefchichte. Es ift
diefer Bewegung im Orden mit reichen handfchriftlichen ihm gelungen, einer grofsen Maffe der asketifchen Litera-
Mittheilungen und deutet an den beiden grofsen deut- tur aus der englifchen und niederländifchen reformirten
fchen Myftikern Ekkehard und Tauler den Gegenfatz Kirche des 17. Jahrhunderts habhaft zu werden. Ref.
deutfcher und romanifcher Denkart an. In § 4 folgt , hat die Erfahrung gemacht, wie fchwer dies hält, und
die fortgehende Franzöfifirung des Cardinalats und der hat alle Urfache, das vorliegende Buch als ein Reper-
Kirche, die Rückkehr nach Italien, das grofse Schisma torium jener Literatur werth zu fchätzen. Wie die Dinge
der romanifchen Päpfte, die Kämpfe der Kirche in Spanien | liegen , dient es auch zu keinem Vorwurf gegen den
u. ä. § 5 enthält ,die romanifchen Staaten in der Re- ' Verf., dafs fich noch manche Nachträge zu feinen An-
ftaurationsperiode' d. h. in demjenigen Zeitraum, in dem gaben über die asketifchen Schriften der niederländifchen
es fich um Neuaufbau der ganzen Hierarchie handle. Pietiften machen liefsen. Als Gefchichte des Pietismus
Letzterer wird dabei jedoch nicht gefchildert; der § in der reformirten Kirche ift jedoch das Buch fehr un-
giebt vielmehr nur die politifche Entwicklung befonders ' gleich gearbeitet. Das Eingeftändnifs diefer Thatfache
der romanifchen Staaten, der Deftruction auf der einen, drückt fchon der Titel aus. Aber wenn auch ein Schrift-
des Wiederaufftehens und der grofsartigen Erhebung auf fteller das Recht hat, fich feine Grenzen zu fetzen, fo
der anderen Seite. Dagegen bringt dann § 6 eine inter- ift man doch durch den Titel nicht darauf vorbereitet,
effante Zufammenftellung der Vertreter der ,romanifchen dafs der Pietismus in der deutfchen reformirten Kirche
Reformation bis 1517', fo wie den Antheil der Päpfte, befon- , auf 24 Seiten mit einer Reihe zufammenhangslofer No-
ders Alexander's VI und Julius' II, und des Lateranconcils ; tizen abgemacht wird, die bis in den Anfang des iS.Jahrh.
von 1512—1517. Höfler entwickelt dabei eine von feinem 1 reichen, und indem fie faft nur Bekanntes darbieten, als
Standpunkt aus wohlbegreifliche Abneigung gegen Wiclef ein uberflüffiger Anhang zu der Gefchichte des nieder-
und Hus und eine — wohl nicht nur für uns Proteftan- ländifchen Pietismus erfcheinen. Um fo überflüffiger
ten — fehr grofse Ueberfchätzung deffen was das ge- find die letzten 14 Seiten über die Anfänge des Pietis-
nannte Concil für die Einheit und Reform der Kirche , mus in der ktherifchen Kirche. Aber auch der Stoff,
gethan. Das Mafs derfelben möge aus dem zufammen- welcher die Hauptmaffe des Buches ausmacht, wird nur
faffenden Satz klar werden: ,Die Gefchichtfchreiber der ' bis in die Mitte des 18. Jahrh. verfolgt. Man erfährt
Reformation gehen wie auf gemeinfame Verabredung nicht, wo der Pietismus in der niederländifchen Kirche
über diefe Thatfachen hinweg; fie paffen nicht zu der feitdem geblieben ift. Anftatt deffen, was man in dem
Beleuchtung, welche man zur Befchönigung des deut- j Buche fuchen darf, findet man in ihm vielmehr manches,
fchen Schismas bedarf' (p. 274). 1 was gar nicht unter das Thema fällt. Dahin gehört zu-
Wie fchon hervorgehoben, hat Höfler auch in diefer ! nächft das Capitel über die Entftehung der FöJeral-
Schrift wieder eine Reihe von Mittheilungen aus Hand- i theologie und über die Streitigkeiten zwifchen Voetia-
fchriften gegeben. Einiges, wie eine franciscanifche . nern und Coccejanern, woran fich eine ganz dürftige
Historia persecutionis foll nach feinen Andeutungen ge- 1 Notiz über den für Deutfchland fo höchlt einflufsreichen
druckt werden, in einem Urkundenbuch zur Gefchichte F. A. Lampe fchliefst, der jedoch unter die niederländi-
der Secten im Mittelalter, welches Döllinger zu publici- fche Gefchichte geftellt wird, weil er einige Jahre in
ren gedenkt. Dasfelbe wäre allem nach auch von anderen | Utrecht gelehrt hat; — ferner ein Paragraph über die
Stücken zu wünfehen. Jedenfalls dürfte eine nähere An- I Bourignon und Poiret, die zufällig in Amfterdam gelebt
gäbe über die Schriften und ihre Manufcripte fehr willkommen
gewefen fein. Manchmal ift es freilich dem Verf.
bei feiner Vorliebe für Benützung der Handfchriften ergangen
, dafs er längft Gedrucktes dennoch aus Handfchriften
citirt, fo pag. 87 eine Urkunde, welche Ficker
aus demfelben Cod. Vallicell. in feinem Urkundenbuch
zur Gefchichte des Römerzugs etc. p. 68 nr. 112 publicirt
hat. Das Citat auf p. 117 n. 1 und 2 aus Cod. Palat.
971. (Vatic. 3758) ift identifch mit Anonymus Leobicusis
in Pez, SS. ter, Austr. I, 937 ff. Mit anderen mag es
ähnlich fein. Auch eine Notiz, welche davon redet, dafs
Cardinal Beffarion beinahe zum Papft erwählt worden
wäre und auf deren erftmalige Entdeckung aus handfchriftlichen
Commentaren Pius' II Höfler Werth legt,
war zuvor nicht unbekannt. Sie findet fich fchon in der
Leichenrede auf Beffarion von Capranica (cf. Hafe in
Erfch und Gruber, Art. Beffarion). Eine Nacht lang
hatte er die Stimmen des Cardinalcollegiums befeffen:
darum nennt ihn Capranica einen pontifex nocturnus, ein
Ausdruck, der gewifs nicht ohne Zufammenhang ift mit
dem von Höfler citirten Satz von Pius II ,Qui cum una
nocte____pontifex habitus esset.'
Tübingen. Lic. Dr. C. Müller.
haben, denen dann mit oberflächlichen Angaben der
ihnen verwandte Deutfche Terfteegen angehängt wird ;
— endlich die Notizen über gewiffe Gefellfchaften
mit halb philofophifchen und halb religiöfen Ueberzeug-
ungen, wie die von Verfchoor (die Hebräer) und von
Pontiaan van Hattem, welche in Holland aufgetreten find,
aber mit dem Pietismus durchaus nichts gemein haben.
Die Ungleichheit der Behandlung des Stoffes zeigt fich
weiter darin, dafs einige Gröfsen mit ungebührlicher
Ausführlichkeit bedacht find, namentlich der asketifche
Schriftfteller Wilhelm Teellinck in Middelburg (S. 106—
159), Jean de Labadie und feine Gemeinde (S. 240—374),
endlich Wilhelm Schortinghuis (S. 421—459); während
Andere, die nicht minder wichtig find, kurz und undeutlich
abgemacht werden. Hiedurch, fowie durch die nicht
zur Sache gehörigen Einfchiebungen und die gegen die
Chronologie gleichgültigen Combinationen ift es bedingt,
dafs man kein klares Bild von dem Verlaufe der Dinge
bekommt. Insbefondere weifs der Verf. nicht, dafs gegen
das Ende des 17. Jahrhunderts ein Umfchwung im niederländifchen
Pietismus von der gefetzlichen in eine
evangelifche Form ftattgefunden hat, obgleich die Gefchichtfchreiber
der niederländifchen Kirche, Ypeij und
Dermout, diefe Thatfache deutlich bezeugen, und der
Abftand beider Formen in den Schriften von Lodenfteyn
und von Wilhelm Brakel, die ja Herr Heppe gelefen
hat, handgreiflich ift. Ein noch wirkfamerer Grund für
die Unklarheit der ganzen Darftcllung des Pietismus ift
die im Voraus aufgeftellte Definition diefer Erfcheinung