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Ausgabe:

1878

Spalte:

120-122

Autor/Hrsg.:

Uhlhorn, Gerh.

Titel/Untertitel:

Gnade und Wahrheit. Predigten über alle Episteln und Evangelien des Kirchenjahrs, in der Schloßkirche zu Hannover gehalten. 1. Bd. Evangelien-Predigten. 2 Thle. 2. Bd. Epistel-Predigten. 1. Thl

Rezensent:

Meyer, Ernst Julius

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Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 5.

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wohl für Dieckhoff nicht gewefen. Was ihn zu feinem
Refultate gedrängt hat, ift eine Anfchauungsweife, welche
er in dem von ihm bearbeiteten Material nicht gefunden,
fondern an dasfelbe herangebracht hat, — um es kurz
zu fagen: die Vorausfetzung einer magifchen Wirkungskraft
des von dem Priefter gefprochenen Wortes. Die
Form des priefterlichen Zufammenfprechens: ego con-
jungo vos, ift, wie aus Dieckhoff's eigenen Nachweif-
ungen hervorgeht, in der Kirche keineswegs die ur-
fprüngliche. Die älteren Jahrhunderte kennen nur die
bittende Formel: Dens conjungat vos, und es hat lange
gedauert, bis an deren Stelle jene indicativifche trat,
v. Scheurl fagt (S. 114 f.): fie wurde im fymbolifchen
Sinne angewandt, um die göttliche Zufammenfügung der
Ehegatten darzuftellen, denn gefchloffen war ja die Ehe
nach dem feftftehenden kirchlichen Rechte durch die
desponsatio de praesenü. Dieckhoff dagegen will, dafs
durch die Thatform der Copulation die göttliche Zufammenfügung
der Ehe ,erwirkt' werde, fo allerdings,
dafs durch den Uebergang zu der neuen Form gegen
früher nichts verändert worden fein foll. Auch bei der
anwünfchenden Formel erfolge unmittelbar auf das Wort
des Priefters die Zufammenfügung der Ehegatten durch
Gott, weil dem Gebet der Kirche die göttliche Erhörung
gewifs fei und demnach durch es die Action Gottes
hervorgerufen werde (S. 98). Man darf fragen: wo fteht
das gefchrieben? Nach einem Schriftgrunde oder einem
folchen aus der Natur der Sache fucht man vergeblich;
die Analogie der Abfolution, worauf fich Dieckhoff
beruft, wird er wohl nicht für einen Beweis anfehen.

Die richtige Confequenz des Dieckhoff'fchenStand-
punktes würde fein, den nicht kirchlich gefchloffenen
Verbindungen, welchen das bürgerliche Gefetz immerhin
die Rechtswirkung von Ehen beilegen möchte, die Eigen-
fchaft als folche abzufprechen. Diefen Standpunkt nimmt
feit dem Tridentinifchen Decret die kathol. Kirche ein.
Dieckhoff zieht jene Confequenz jedoch nicht, wehig-
ftens nicht völlig. Man lieft bei ihm (S. 310): ,Auch
eine Ehe, welche blos civiliter gefchloffen ift, gilt,
wenn fie nur an fich nicht in Widerfpruch mit dem
göttlichen Gefetz fteht, auch vor Gott als Ehe und ift
zugleich vor Gott durch Gottes Ehegefetz gebunden'.
Gleichwohl foll der Civilact für die nachfolgende
göttliche Zufammenfügung durch den Priefter Raum
laffen. Wie foll das gefchehen? Der Weg, den Dieckhoff
weift, ift folgender. Die Ehefchliefsenden follen
,den vom bürgerlichen Rechte geforderten Civilact nur
in der beftimmten Vorausfetzung vollziehen, dafs die
Schliefsung der Ehe durch die kirchliche Trauung ihre
nothwendige religiöfe Ergänzung finden foll', m. a. W.,
dafs jener Act noch nicht die volle Ehe, fondern nur
erft die ,menfchlich rechtliche Zufammenfügung' hervorbringe
. ,Dadurch' — fährt Dieckhoff fort — ,gewinnt
der Civilact vor Gott diejenige befchränkte Bedeutung,
welche für die auf die göttliche Zufammenfügung fich beziehende
Ergänzung durch den kirchl. Ehefchliefsungs-
act den Raum offen läfst. Gott ftellt fich mit feinem
Thun zu dem Ehefchliefsungsvorgange fo, wie es dem
Verhalten der Chriften zu Gottes Mitwirkung bei dem-
felben entfpricht' (S. 311). Gottes Thun, ob er bereits
auf dem Standesamt die angehenden Eheleute zufammen-
fügt oder in einem fpäteren Augenblicke, ift abhängig
von der Intention, womit von Jenen das Ja auf die Frage
des Standesbeamten ausgefprochen wird, und diefe mufs
bei Chriften eine andere fein, als die vom Gefetz geforderte
und vorausgefetzte. Es ift begreiflich, wenn
Dieckhoff diefes Sachverhäitnifs unerträglich findet.
Nicht allein, worauf er felbft hinweift, dafs auf diefe
Weife die Chriften in ein inneres Gegenfatzverhältnifs
zur geltenden Staatsordnung gefetzt — oder richtiger, zu
einer inneren Unwahrheit, einer reservatio mentalis von
fittlich recht zweifelhafter Qualität genöthigt werden;
fondern es entfteht auch für den trauenden Gciftlichen

eine peinliche Unficherheit. Er weifs gar nicht, ob die
Leute, die vom Standesamte kommend vor ihm er-
fcheinen, bereits ,göttlich zufammengefügt' find oder nicht.
Sie könnten ja aus Irrthum oder Bosheit bereits
dort die ehefchliefsende Intention gehabt und fo die
göttliche Zufammenfügung dahingenommen haben, fo
dafs dem Priefter das Object feines Handelns vorweg
genommen wäre. So viel Künfte, um dem evangel.
Geiftlichen ein Stück priefterlicher Machtvollkommenheit
zu retten! Einen Erweis der mühfam aufgebauten Theorie
hat Dieckhoff nicht einmal verfucht.

Die Form der kirchl. Trauung betreffend hält v.
Scheurl (S. 161) die Beibehaltung des Zufammenfprechens
für unbedenklich — mit Recht, wenn es in
dem von ihm vorausgefetzten, d. h. dem fymbolifchen,
declaratorifchen Sinne verftanden wird. Aber ob nicht
Mifsverftändnifse fehr nahe liegend, ja nach Vorgängen
wie dem Dieckhoff's geradezu unvermeidlich find?

Friedberg. K. Koehler.

Uhlhorn, Ob.-Confift.-R. Hofpred. Dr. Gerh., Gnade und
Wahrheit. Predigten über alle Epifteln und Evangelien
des Kirchenjahrs, in der Schlofskirchc zu Hannover
gehalten. 1. Bd. Evangelien-Predigten. 2 Thle.
2. Bd. Epiftel-Predigten. 1. Thl. Stuttgart 1876 u.
77, Meyer & Zeller. (VI, 377; IV, 268 u. IV, 339 S.
gr. 8.) M. 14. —

Die vorliegenden Predigten, von welchen die erfte
Sammlung vollftändig erfchienen ift, die andere aber, welche
die Epiftelpredigten enthält, nur dem erften Theile nach,
gehören unftreitig zu den hervorragenden Erfcheinungen
der gegenwärtigen homiletifchen Literatur. Sie tragen
durchweg ein echt lutherifches, kirchliches Gepräge. Ohne
provocirendeEinfeitigkcit bekennt fich der Verf. in milder,
ruhiger Entfchiedenheit zu dem vollen Inhalt der kirchlichen
Lehre mit ihren Confequenzen und betont mit
Nachdruck die objective Heils- und Gnadenordnung, die
Heilsthatfachen und die Gnadenmittel; ebenfo nimmt er,
dem echt gefchichtlichen Sinne unferer Kirche entfpre-
chend, auf die kirchliche Sitte, auf den Gang und die
Ordnung des Kirchenjahres beftändig Bezug. Wie dem
Inhalte nach, tragen die Predigten auch formell den
lutherifchen Typus. Frei von rhetorifchen Künften, frei
von allem ungefunden, pietiftifchcn Zug, und ebenfo von
jener gefuchten Geiftreichigkeit, die den Gefchmack am
Worte Gottes gründlich verdirbt und doch auch in fog.
,gläubigen' Predigten fo ftark wuchert, fucht der Verf.
den Hauptzweck der Predigt: die Erbauung (dies Wort
nicht in dem modern abgefchwächten, fondern in dem
urfprünglich biblifchcn Sinne verftanden) durch Förderung
der chriftlichen Erkenntnifs auf dem Wege der
Schriftvertiefung und einer gediegenen, gründlichen
I Schriftauslegung zu erreichen, ohne welche alle Schriftanwendung
des Fundamentes entbehrt. Diefe Eigcn-
thümlichkeit der lutherifchen Predigt ift ihre Stärke, aber
in gewiffem Sinne .zugleich ihre Schwäche; die Gefahr
eines einfeitigen Doctrinärismus, mit dem überhaupt unfre
luth. Kirche von je zu ringen hat, liegt nahe. Der Verf.
ift der Verfuchung entgangen: bei vorwiegender Lehr-
haftigkeit weift er doch überall mit dem Nachdruck eines
gewiffenfehärfenden Ernftes auf die ethifchen Confequenzen
der Glaubenswahrheiten hin, wie er andrerfeits
mit warmen eindringlichen Worten ans Herz zu reden
und zu tröften verlieht. Die Sprache, die er führt, trägt
zwar mitunter das Gepräge der theologifchen Reflexion,
ift aber in der Hauptfache von edler Einfachheit, klar
und durchfichtig. Der Rcichthum religiöfen Gedankengehalts
und erbaulichen Materials in den alten, auch in
den epiftolifchen Perikopen, die ein herrfchendes Vor-
urtheil der Trockenheit anklagt, tritt in diefen Predigten
mit einer Fülle anregender, fruchtbarer Gedanken und

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