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Ausgabe:

1878 Nr. 14

Spalte:

335-337

Titel/Untertitel:

Ad-dourra al-fâkhira la perle précieuse de Ghazâlî 1878

Rezensent:

Nestle, Eberhard

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Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 14.

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femitifcher Text vorangegangen ift, in welchem in Capp.
1—2 die 1. pers. noch erhalten war. Denn auf eine
folche Vorlage weift der HebraeusMünsteri, der die i.pers.
noch bewahrt hat, fonft aber, wie oben bemerkt, mit
unferm Chaldäer nahe verwandt ift. Wir wollen auch
die Möglichkeit gerne zugeben, dafs das Buch Tobit,
wie Bickell und Neubauer annehmen, urfprünglich he-
bräifch gefchrieben ift, und dafs aus diefem hcbräifchen
Original unfer chaldäifcher Text gefloffen ift. Aber es
bleibt eine blofse Möglichkeit. Und jedenfalls hat fich
der willkürlich abkürzende und frei reproducirende
Chaldäer von diefem etwaigen Originale viel weiter entfernt
, als irgend eineRecenfion unferes griechifchen Textes.

Kann demnach davon keine Rede fein, dafs mit
unterem chaldäifchen Texte die Urfchrift des Buches
Tobit entdeckt fei, fo ift dagegen feine Auffindung nicht
ohne Bedeutung für die Beurtheilung des Verfahrens des
Hieronymus. Es ift nämlich nicht unwahrscheinlich,
dafs der chaldäifche Text, welcher dem Hieronymus vorgelegen
hat, mit dem nun aufgefundenen nahe verwandt
ja vielleicht identifch war, abgefehen natürlich von der
Verftümmelung der letzten drei Capitel, an welcher unfer
erhaltener Text leidet. Der auffälligfte Berührungspunkt
ift der Gebrauch der 3. pers. in den beiden erften Capi-
teln — eine Eigentümlichkeit, die nur Hieronymus mit
dem Chaldäer theilt, während alle andern Ueberfetzun-
gen und Textrecenfionen hier die 1. pers. beibehalten
haben. Aber auch fonft ift der ganze Wortlaut des
Textes bei Hieronymus in ähnlich freier Weife abgekürzt,
wie bei dem Chaldäer. Auch Hieronymus reproducirt
oft, wie der Chaldäer, mehr nur den Inhalt der Erzählung
in freier und felbftändiger Wiedergabe des Details. Und
die Zufammenziehungen des Textes find bei Beiden vielfach
fehr ähnliche. Freilich find auch folche Stellen
nicht feiten, wo Hieronymus vollftändiger ift und die
Eigentümlichkeiten der andern Textrecenfionen im Ge-
genfatz zum Chaldäer theilt. Aber dies erklärt fich
vollftändig aus der ohnehin zweifellofen Thatfache, dafs
Hieronymus bei feiner Arbeit neben dem Chaldäer auch
den Vetos Latinus ftark benutzt hat. Alle Berührungen
mit dem fonftigen Text in Abweichung vom Chaldäer
laffen fich hieraus ableiten. Und es bleibt fehr wohl
möglich, dafs der dem Hieronymus bekannte Text kein
anderer war als der uns erhaltene. (Auf den Einflufs
des Chaldäers deutet z. B. 1, 13: deckt Uli Deits gratiam
in conspeetn Salmanasar — ^üskiiäva -ra'n, Vet. l.at.:
penes Salmannassar). Ift dies richtig, fo beftätigt fich
freilich nur die ohnehin fchon bekannte Thatfache, dafs
Hieronymus bei feiner Arbeit fehr frei und willkürlich
verfahren ift. Denn aufser den Abweichungen, welche
durch den Chaldäer gedeckt werden, finden fich bei ihm
noch eine Menge anderer , die ausfchliefslich auf feine
Rechnung kommen.

Leipzig. E. Schür er.

Ad-dourra al-fäkhira la perle precieuse de GhazäliJ.j
Tratte d'eschatologie musulmane public- d'apres les
manuscrits de Leipzig, de Berlin, de Paris et cl'Oxford
et une lithographie Orientale avec une traduetion
francaise par Lucien Gautier. Genevc-Bäle-Lyon
1878, Georg. (XVI, 90, 110 S. arab. Text. 8.)

Ghazali oder Ghazzäli, wie fein Name jetzt gewöhnlich
gefchrieben wird, derfelbe, der den mittelalterlichen
Philofophen und Theologen unter dem Namen Algazel
aus einigen fchon frühzeitig ins Lateinifche übertragenen
Werken wohl bekannt war, und der in den Jahren 1058 9
bis IUI/2 in Chorafan, Syrien, Aegypten lebte, nimmt
darum in der Gefchichte der muhammedanifchen Wiffen-
fchaft eine bedeutfame Stellung ein, weil er der freieren
arabifchen Philofophie im Oftcn durch die Philofophie
ein Ende bereitete und der orthodoxen Dogmatik und

I Scholaftik zum Siege verhalf. Nicht umfonft gab er
feinem in fpäteren Jahren gefchriebenen, noch heute weit
im Orient, bis nach Plinduftan hinein, viel gelefenen
Hauptwerk den Titel: Wiederbelebung der Religions-
j wiffenfehaften. Eine bisher in Europa nicht veröffentlichte
efchatologifche Abhandlung diefes Gelehrten ift
vor kurzem durch Lucien Gautier, jetzt Profeffor der
i altteft. Exegefe in Laufanne, als Leipziger Doctor-
arbeit, in mufterhafter Weife herausgegeben und ins
Eranzöfifche übertragen worden. Die Veröffentlichung
j diefes Tractats ift um fo dankenswerther, als neben
j einem 1546 in Venedig gedruckten efchatologifchen
Tractat Avicenna's und einer von Pococke 1655 feiner
' Porta Mosis beigefügten Abhandlung die Literatur über
I diefen Gegenftand faft ganz auf die von M. Wolff 1872
l arabifch und deutfeh herausgegebene populäre Schrift ,Mu-
! hammedanifche Efchatologie' eines unbekannten neueren
Verfaffers befchränkt ift; und doch nimmt in der Dogmatik
des Islam die Efchatologie eine fo hervorragende
Stellung ein und hat in derfelben eine bedeutfame Entwicklung
durchgemacht. Gautier f kizzirt in der Einleitung
kurz und treffend die Art und Weife, in welcher
eine Gefchichte der letztern zu fchreiben wäre, und wir
machen hier auf diefe Bemerkungen und das vorliegende
! Buch darum hauptfächlich aufmerkfam, weil Spiefs in
feiner Entwickelungsgefchichte der Vorftellungen vom
Zuftand nach dem Tod für die muhammedanifchen An-
fchauungen , die er Cap. XVIII, S. 488—509 behandelt,
i weder Pococke's Abhandlung, noch den von Wolff über*
! fetzten Tractat, noch auch Sale's aus Pococke fchöpftnde
[ Einleitung in den Koran benutzt hat. Ein pofitiver
Gewinn für etwaige Syftematifirung oder Begründung
chriftlich-cfchatologifcher Anfcliauungen ift allerdings aus
diefem arabifchen Buche nicht zu ziehen, das auch keineswegs
die phantaftifchen und bizarren muhammedanifchen
Glaubensfätze philofophifch oder myftifch bear-
| beitet, fondern wefentlich zur Erbauung für arabifchc
| Lefer gefchrieben zu fein fcheint. Dagegen ift es vortrefflich
geeignet, den Unterfchied zwifchen dem ethi-
fchen Charakter des Chriftenthums und dem unethifchen
des Islam ins Licht zu ftellen; doch finden fich in dem-
felben auch einige Erzählungen dont l'elevation morale
est incontcstable, wie der Herausgeber mit Recht fagt.
In zwei Haupttheile zerfällt das Buch, der erfte fchil-
dert den Tod und den Zuftand nach dem Tod, der die
Verftorbenen in 4 Kategorien fcheidet, der zweite gröfsere
I und dem Verf. offenbar wichtigere fchildert das Gericht,
1 führt aber nicht weiter als bis ans Thor von Paradies
und Hölle. Im erften Theil ift hauptfächlich beachtens-
werth, wie lebhaft die muhammedanifche Anfchauung
von dem Fortleben der Verftorbenen in ihren Gräbern
in einer ganzen Maffe von Erzählungen von revenants
fich ausfpricht, charakteriftifch weiter die Art und Weife,
wie nach vielen Erzählungen Gott als himmlifcher Sultan
mit feinen vor ihm erfcheinenden Unterthanen fein
Spiel treibt, fie eine Zeit lang in banger Erwartung fich
ängften läfst, aber auf eine gute, geiftreiche Antwort
hin fie gnädig von fich fchickt. Beffer als die
meiften ift in diefem Stück die Erzählung von dem berühmten
Prediger Manfur ibn Ammär (f 225 H.), dem
Gott auf die Frage, was er vor ihn bringe, weder feine
36 Wallfahrten, noch feine 360 vollftändigen Koran-
1 lefungen, noch feine 60 Jahre Faften gelten laffen will,
den er aber auf die fchliefsliche Antwort: ich bringe
nichts als dich felbft, mit der Rede entläfst: diesmal
hafit du mich getroffen, geh hin, ick verzeihe dir. Im
zweiten Theil follte man die draftifche Schilderung, wie
! die Menfchen in der fich immer mehr verengenden Gerichtsebene
, wo kein Baum irgend Schatten, kein Ort
I Verbergung giebt, taufend und abertaufend Jahre in immer
j fteigender Angft warten müffen, im Originale felbft nach-
lefen; nur eine für den Islam und deffen Selbftbewufst-
| fein fehr charaktcriftifche Erzählung vergönne ich mir