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Ausgabe:

1877 Nr. 2

Spalte:

41-45

Autor/Hrsg.:

Watterich, Die Ehe

Titel/Untertitel:

ihr Ursprung, ihr Wesen und ihre Weihe, nach Gottes Wort und That dargestellt. 2. unveränd. Aufl 1877

Rezensent:

Köhler, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 2.

4-'

reinem Verftand' zurückgegriffen auf die Torgauer Artikel
, unter denen Auffatz F (C. R. XXVI 193) die Grundlage
des Art. VII der Auguftana fei. Kr hatte geläugnet,
dafs der zwölfte Schwabacher Artikel in diefem Artikel
reproducirt werden folle. Das Stichwort ,nach reinem
Verftand' ftammt in der That direct aus den Torgauer
Artikeln und die dort gegebene nähere Interpretation
wird fomit auch in der Auguftana anzuwenden fein.
Diefe nähere Ausführung deckt fich auch fachlich durchaus
mit der oben citirten Ausführung der Apologie.
Aus den Schwabacher Artikeln ift allerdings der erfte
Satz des Art. VII der Auguftana entnommen. Aber um
fo auffallender iff, dafs die fofort folgende Definition
der Kirche nicht adoptirt ift. Der Anonymus, der in der
,Zeitfchrift für Proteftantismus und Kirche' Befprcchungcn
über Gegcnftände ,aus der neueren Dogmatik' anficht und
dabei auch Ritfchl's unbequeme gefchichtliche Arbeit:
,Die Entftehung der lutherifchen Kirche' (Zeitfchr. f. Kir-
chengefch. 1876, 1. Heft; nebenbei abthun möchte (Auguft-
heft 1876), meint, Melanchthon habe unmöglich in der
Auguftana als Merkmal der Kirche die Predigt ^genannter
Artikel' nennen können. Denn das hätte bedeutet
, dafs nur die fechs erften Artikel der Auguftana
für die Kirche von integrirendem Belang feien. Aber
die Frage ift vielmehr, warum Melanchthon nicht das
Stichwort ,Artikel' übernommen. Ks ift ihm doch nachher
fo geläufig, die Kirche als coetus in quo articuli fidei
recte docentur zu definiren.

Es kann nicht geläugnet werden, dafs Luther gelegentlich
,Evangelium' und ,Glaubensartikel' glcichge-
fetzt hat. Praktifch hat er fich auch oft genug durch
diefe Gleichung beftimmen laffen. Aber wenn er prin-
cipiell von der Kirche redet und das Evangelium als
Merkmal der Kirche erläutert, fo hat er jene Gleichung
nicht angenommen, fondern im Gegentheil abgewiefen.
Und darauf kommt's an.

Göttingen. Ferd. Kattenbufch.

Watterich, Prof. Pfr. Dr., Die Ehe, ihr Urfprung, ihr
Wefen und ihre Weihe, nach Gottes Wort und That
dargeftellt. 2. unveränd. Aufl. Nördlingen 1876, Beck.
(XXXI, 230 S.) M. 3. 40.

Die Frage des Cölibates gehört zu denen, welche
der altkatholifchen Bewegung verhängnifsvoll werden
können. Während die Einen darauf drängen auch mit
diefem Stücke römifchen Kirchenthums zu brechen, rathen
Bedächtigere zur Schonung der kirchlichen Gewohnheit
und der Volksanfchauungen. Zu den Vorwärtsdrängenden
gehört der Verfaffer der vorliegenden Schrift, welche
eben darum fchon bei dem Krfcheinen der 1. Auflage
einen nachdrücklichen Proteft von der confervativen Seite
des Altkatholicismus hervorgerufen hat: der Auseinander-
fetzung mit dem dort erhobenen Widcrfpruch (Langen
im Bonner Theol. Literaturblatt) ift die umfängliche Vorrede
der vorliegenden 2. Auflage gewidmet. Der Verf.
hält feinen Proteft gegen das Cölibat mit aller Kntfchieden-
heitfeft Ihm ift dasfelbe eine .grauenhafte Verirrung' (S.IX),
,der Anfang jener Desorganifation und Zerfetzung der
Kirche, die in der päpftlichen Infallibilität ihren denkbar
höchften Grad erreicht hat' (S. 222). Denn es fei, fagt
er (S. XX; ,eine Unwahrheit und eine Blasphemie', von
einer zwiefachen Sittlichkeit im Chriftenthum zu reden,
einer höheren Vollkommenheit, dem Vorrechte der
Priefter, und einer einfachen, für die Menge ausreichenden
Gerechtigkeit. Es gebe nur Ein fittliches Ideal für
Alle, Priefter und Laien. Der niederen Schätzung der
Ehe, welche in jener Unterfcheidung wurzelt, (teilt er
eine hoch ideale Anfchauung von derfelben entgegen. Sie
ift eine heilige Gottesordnung, begründet in Gottes
Schöpferthat, daher nicht nur neben der Virginität zu-
hfffig, etwa als Schutzmittel gegen Schlimmeres, fondern

gradezu durch die gottgefetzte Natur des Menfchen gefordert
, fo dafs — abgefehen von fcltcnen Ausnahmefällen
, welche durch aufserordentliche Aufgaben imRciche
Gottes und aufserordentliche Begabung bedingt fein mögen
— der fittliche Lebenszweck gar nicht anders als
in der Ehe voll erreicht werden kann.

Die Begründung feiner Auffaffungsweife verflicht der
Verf. auf fpeculativem Wege, ausgehend von der Idee
der Schöpfung als der Antithefe von Gott (S. 13 ff.).
Man braucht die Speculation des Verf. nicht zu theilen,
man kann der Anficht fein, dafs fie, felbft ihre Prämiffen
zugegeben, für den beabfichtigten Zweck nicht ausreiche
— denn fic läfst das Hervortreten der Gefchlechts-
differenz, diefen für den.Urfprung der Ehe fo wefentlich
bedingenden Factor, im Grunde unerklärt, — man kann
insbefondere den Vernich, den er macht, feine Speculation
mit der Schöpfungsgefchichtc der Gencfis in Einklang
zu fetzen, unzutreffend finden und doch feinem
Refultate von Herzen zuftimmen. Die fchöne, echt chrift-
liche Idealität, die hohe fittliche Werthfchätzung, womit
er über Ehe und Familienleben redet, berührt wohl-
thuend im Munde eines katholifchen Priefters. Die hierauf
bezüglichen Abfchnitte (z. B. S. 108, Iii ff. 163 ff.
222, 251) gehören zu den wcrthvollften Partien des
Buches.

Nachdem, fährt der Verf. fort, auch die Ehe in die
durch den Sündcnfall verurfachte Corruption hereingezogen
, doch nicht dadurch zerftört worden war, wurde
der Heiland der Menfchhcit auch der Pleiland der Ehe
(S. 53). Doch ift leider von allem Anfang neben der
in den Worten Jefu gegebenen idealen auch eine falfche,
niedere Auffaffung der Ehe in die Kirche eingedrungen,
ja fogar mit der Zeit zum vorherrfchenden Einflufs gekommen
, doppelt verhängnifsvoll dadurch, dafs fie ihren
Urfprung von keinem Geringeren herleitet als dem Welt-
apoftel Paulus.

Die Befprechung der Worte Chrifti über die Ehe
Matth. 5 und 19 (wobei übrigens auch auf die fynopti-
fchen Parallelftellen hätte Bezug genommen werden
follen) bietet viel Schönes und Treffendes. Der Nachweis
, dafs Chriftus eine doppelte Sittlichkeit nicht kenne,
wird mit Beziehung auf die oft dafür angerufene Beleg-
ftelle Matth. 19, 21 ff. (vom reichen Jüngling) zutreffend geführt
(S. 200 ff.). Beanftanden müffen wir indeffen die
Behauptung, dafs von Chriftus die abfohlte Unauflöslichkeit
des Ehebandes ausgefprochen fei. Auch in der
zweiten Verbindung des entlaffenen Weibes oder des ent-
laffenden Mannes ficht er unftreitig eine wirkliche Ehe-
fchliefsung, allerdings eine folche, die auf unfittlichem
Wege, nämlich durch den Bruch der erften Ehe zu
Stande gekommen ift: er würde fonft nicht den Ausdruck
yauelv darauf anwenden. Der Einwand aber, wenn
durch Ehebruch die Ehe thatfächlich zerriffen werde,
würde das Verhältnifs der Gatten, welche nach dem vom
einen Theil begangenen Ehebruch beifammen bleiben,
zum Concubinat, träfe nur dann zu, wenn behauptet
wäre, dafs die Untreue des einen Theils nothwendig und
ipso facto in allen Fällen jene Wirkung haben müffe. Die
Behauptung geht aber nur dahin, dafs diefelbe eintreten
könne. Es kommt alles auf die Befchaffenheit des con-
creten Falles an. Durch die Fortfctzung des Zufammen-
lebens und die darin enthaltene Verzeihung des beleidigten
Theils kann der durch die Sünde des Anderen
verurfachte Rifs geheilt werden. — Unbillig müffen wir
das Urtheil des Verf. über den Apoftel Paulus nennen.
In ihm fleht er den Urheber jener Entwürdigung der
Ehe, welche nachmals im Mönchthum zum vollen Ausdrucke
kam. Er habe fich namentlich bei feinen Aus-
fprüchen 1 Cor. 7 ,in einem Fundamentalpunkte von
der göttlichen Wahrheit verirrt', indem er dort von der
Ehe als einem an fich unreinen, dein Chriftenberufe
hinderlichen Verhältnifs rede, was auf ,eine förmliche
Leugnung des göttlichen Rathfchluffes der Ehe' hinaus-