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Ausgabe:

1877

Spalte:

585-587

Autor/Hrsg.:

Spiess, Edm.

Titel/Untertitel:

Entwicklungsgeschichte der Vorstellungen vom Zustande nach dem Tode auf Grund vergleichender Religionsforschung dargestellt 1877

Rezensent:

Schultz, Hermann

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Theologische Literaturzeitung

Herausgegeben von Prof. Dr. E. Schürer.

Erfcheint Preis
alle 14 Tage. Leipzig. J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung. jährlich 16 Mark.

N°- 22. 27. October 1877. 2. Jahrgang.

Spiels, Entwicklungsgefchichte der Vorftel-
lungen vom Zuftande nach dem Tode (Herrn.
Schultz).

Lechler, Die Confeffionen in ihrem Verhältnifs
zu Chriftus (Ritfehl).

Oosterzee, Christelijke Dogmatik, 2 cleele,
2. ilruk (Kaftan).

Heucrmann, Die Bedeutung der Statiftik für Bäfsler, Timotheus, geiftliche Anfprachen an
die Ethik (Oeningen). die Schulgemeinde (Derf.).

Shute A• Discourse or1 Truth (Kaftan) Ahlfeld, Fünf Confirmationsreden, 2. Aufl.

Witte, ZurErkenntnifstheoneundEthik(Kaftan). (Derf)

Dehme, Tauf- und Beichtreden, nebft Andeutungen
über kafuale Rede im Allgemeinen | Diegel, Rathfchlägeund Texte zu evangehfehen
und über Tauf- und Beichtreden im Befon- Leichenreden (Derf.).

deren (Lindenberg). Rühle, Tod und Leben, 32 Grabreden (Derf.).

Spiess, Privatdoc. Lic. Dr. Edm., Entwicklungsgeschichte derfelben nicht nothwendig ein beftimmtes Gepräge, wie
der Vorstellungen vom Zustande nach dem Tode auf z- B. der Vergleich des Alten Teftaments mit der aegyp

Grund vergleichender Religionsforfchung dargeftellt.
Jena 1877, Coftenoblc. (XVI, 615 S. gr. 8.) M. 13. —

Das vorliegende Werk zerfällt in drei Hauptthcilc.
Zuerft werden die Gegenftände, welche gewiffermafsen
die Vorausfetzungen für den Glauben an ein jenfeitiges
Leben enthalten, in fünf Capiteln behandelt: die Vorstellungen
vom Wefen und Urfprung, fowie von der Be-
ftimmung und dem Schickfale der Seelen (I u. 2), die
,Gefchichte des Todes' (3), die Leichenbeftattung und
Gräberfymbolik (4), und die Gründe des Glaubens an
ein zukünftiges Leben (5). Dann folgt in 12 Capiteln
der Bericht über die efchatologifchen Vorftellungen
1) der rohen Völker, 2) der Aegypter, 3) der Chinefen,
4) der Inder, 5) der Perfer, 6) der Griechen, 7) der Römer,
8) der Gelten, 9) der Germanen, 10) der Slaven, 11) der
Juden, 12) des Islam. Endlich wird das religionsgefchicht-
liche Ergebnifa zufammengefafst. Dasfelbe geftaltct (ich
dem Verfaffer dahin, dafs ein Hinausgreifen der Gedanken
über den Leibestod ftch als gemeinfamer Befitz
aller Religionen und damit als religiöfes Eigenthum der
Menfchheit erweife, trotz aller bunten und phantaftifchen
Mannigfaltigkeit der efchatologifchen Vorftellungen, und
dafs in der Hoffnung auf perfönliche Fortdauer und
Vollendung fich nicht blofs eine fubjective Anficht kundgebe
, fondern eine objective Wahrheit, ohne welche die
höhere Auffaffung des Menfchenlebens unmöglich fei.
Das Buch zeugt überall von fehr grofser, wenn auch
nicht immer fyflematifcher Belefenheit. Es ift angenehm
gefchrieben, und manches feiner Capitel, z. B. die ,Ge-
fchichte des Todes', würde ohne Zweifel einen fehr an-
fprechenden und belehrenden Vortrag für ein gröfseres
Publicum geliefert haben.

Referent ift feinerfeits fo ftark wie möglich von der
Nothwendigkeit religionsgefchichtlicher Studien für die
Theologen überzeugt und hat feit Jahren Vorlefungen
über Rcligionsgefchichte feinem Lehrplan einverleibt.
Um fo mehr hätte er gewünfeht, in dem vorliegenden
Werke eine wefentliche P orderung diefer Seite der Studien
zu begrüfsen, und bedauert, trotz des darin ohne Zweifel
fichtbaren Fleifses und Talentes, das nicht ausfprechen
zu können.

Schon die Aufgabeftcllung und die Methode find
unzweckmäfsig. Ein einzelnes religiöfes Lehrftück durch
alle Religionen hindurch zu verfolgen ift immer bedenklich.
Wenn es aber gefchchen foll, fo mufs es fich um Fragen
handeln, welche ihrer* Natur nach den Charakter
einer jeden Religion beftimmen, z. B. die Lehre
von Gott, das Lebensideal, das Sündenbewufstfcin u. dgl.
Die Efchatologic aber ift einerfeits gar kein Grad-
meffer für den Werth einer Religion und giebt

tifchen Religion zeigt. Und andrerfeits läfst fie felbft
fich nur nach dem Nachdrucke, welcher in jeder Religion
auf fie fällt und nach ihrer Bedeutung für die Auffaffung
des Lebensideals richtig verliehen und würdigen. Deshalb
ift auch in diefem Buche bei jedem Abfchnitte ftets
ein kurzer Ueberblick über den Gefammtcharakter der
Religion des betreffenden Volkes gegeben, welcher der
Natur der Sache nach für den Kenner überflüffig, für
die Unwiffenden ungenügend ausfallen mufste. Und
trotzdem tritt es in dem Buche keineswegs deutlich genug
hervor, dafs ganz ähnlich lautende efchatologifche Vorftellungen
in verfchiedenen Religionen eine diametral
verfchiedene Tendenz haben können, z. B. bei den
Aegyptern und bei den Indern.

Diefem Mangel hätte nun abgeholfen werden können,
wenn die erften zwei Capitel zum Schwerpunkte des
Buches gemacht wären. Aber es hätte dann die reli-
gionsg efchichtliche Entwicklung der Vorftellungen
von Wefen, Urfprung, Beftimmung und Schickfal der
Seele gegeben werden müffen. Wenn wir ftatt deffen
gleich in das bunte Gemifch fchulphilofophifche r
und naturwiffenfehaftlicher Hypothefen über die
Seele aus neuer und alter Zeit geftellt werden, fo hat
das für den vorliegenden Zweck keinen Werth, ganz ab-
gefchen davon, dafs die in diefem Zufammenhange allein
mögliche wenig eingehende Behandlung diefer Fragen
auch philofophifch und phyfiologifch keine Förderung
bietet.

Vor Allem aber ift zu beklagen, dafs die mit dem
6. Capitel beginnende religionsgefchichtliche Ausführung
alles Andre eher giebt, als eine Entwicklungsgefchichte
. Eine wirkliche Entwicklungsgefchichte würde
vorliegen, wenn uns zuerft die urfprüngliche arifche Vor-
ftellung von den Seelen als unvergänglichen, wandernden
Elementargeiftern gefchildert, und dann gezeigt wäre,
wie diefe Vorftellung bei Gelten, Slaven, Italern, Griechen
und Ur-Indern fich mannigfach poetifch zur Efchatologic
entfaltet, aber im Ganzen auf dem Naturboden gehalten
hat, während fie bei den Germanen und noch mehr bei
den Perfern ethifch verklärt, und von der griechifchen
Philofophie, dem Brahmanismus und Buddhismus philofophifch
theils veredelt, theils bezweifelt, theils bekämpft
und negirt iff. Daran hätte die Entfaltung der turani-
fchen Elementargciftervorftellung zu der finnifchen Es-
chatologie und ihre rationaliftifche Behandlung bei den
Chinefen, und endlich die altfemitifche Scheollehre
mit ihrer Portbildung zur Auferftehungslehre bei Juden,
Chriften und Moslemim gereiht werden müffen. Wenn
daneben die mannigfaltigen Verbindungsglieder aufgezeigt
wären, z. B. der femitifche Einflufs auf die griechifche
Hadeslehre, die ganz eigenartige aegyptifche Efchato-

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