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Ausgabe:

1877 Nr. 20

Spalte:

543-546

Autor/Hrsg.:

Schlau, Carl

Titel/Untertitel:

Die Acten des Paulus und der Thecla und die ältere Thecla-Legende. Ein Beitrag zur christlichen Literaturgeschichte 1877

Rezensent:

Lipsius, Richard Adelbert

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Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 20.

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Annahme einer folchen Benützung Bimmen' (S. 76). Das
Gefammtrefultat bei den apoftolifchen Vätern ift, dafs fie
,entweder von unfern gegenwärtigen Evangelien Gebrauch
machten oder von Schriften, welche fo nahe mit unfern
Evangelien verwandt waren, dafs ihre Exiftenz allein die
wefentliche Einheit und Gleichartigkeit der evangelifchen
Tradition beweift' (S. 87). Juftin, meint er, muffe entweder
unfere Evangelien oder eine aus ihnen zufammen-
gefetzte Evangelienharmonie benützt haben (S. 136 f.).
üb die Evangeliencitate, welche in den Philofophumena
dem Bafilides zugefchrieben werden, wirklich von die-
fem oder von feiner Schule herftammen, läfst er unent-
fchieden (S. 191 f. 194 f.), doch hält er es für wahrfchein-
lich, dafs wenigftens einige direct dem Bafilides angehören
(S. 192). Auch bei Valentinus betont er, dafs die
betreffenden Citate nicht mit Sicherheit ihm felbft zugefchrieben
werden können (S. 201). — Aehnlich find die
Refultate beim Johannesevangeliu m. Barnabas kann
zwar das 4. Evangelium benützt haben; aber es liegt
kein pofitives Zeugnifs dafür vor, das klar genug wäre,
um darauf Gewicht zu legen (S. 273). Bei Her mas fleht
es ungefähr ebenfo, aber mit einem gröfseren Ueber-
gewicht für die negative Entfcheidung (S. 273 f.). Von
den zwei Citaten aus Johannes, welche in den Philofophumena
dem Bafilides zugefchrieben werden, möchte
Sanday wenigftens eines auf Bafilides felbft zurückführen
(S. 298—301), und findet es darum wahrfcheinlich, dafs
Bafilides das 4. Evangelium benützt hat (S. 300). — Die
Hauptergebnifse der gefammten Unterfuchung werden
S. 311 dahin zufammengefafst: es fei ,moralifch oder
praktifch gewifs', dafs Marcion unfer drittes Evangelium
, die Clementinen alle vier Evangelien, Juftin
mindeftens drei von unfern vier Evangelien benützt hat;
und es fei wahrfcheinlich [probable in a lotver degree), dafs
auch fchon Bafilides die vier gebraucht hat.

Die Hauptfrage ift hier natürlich Bafilides. Dafs
Sanday in Bezug auf ihn fich zurückhaltend äufsert, ift
aller Anerkennung werth. Aber das eigenthümliche
Schwanken in diefem Punkte ift doch ein wefentlicher
Mangel der Unterfuchung, der nur darauf beruht, dafs
Sanday die Frage nicht gehörig in's Auge gefafst hat,
ob die Philofophumena das echte Syftem des Bafilides
oder eine fpätere Umbildung desfelben darfteilen. Bei
näherem Eingehen auf die Sache hätte er fich vielleicht
von letzterem überzeugt. Wenigftens in Deutfchland ift
die erftere Anficht faft nur noch von Jacobi (Zeitfchr.
f. Kirchengefch. I, 4, 1877, S. 481 ff.) vertreten. — Kommt
aber diefes Zeugnifs des Bafilides in Wegfall, fo fehen
wir uns auch nach Sanday auf die Linie Marcion-Juftin
zurückgedrängt. Und dabei wird eine befonnene Kritik
fich in der That zu beruhigen haben.

Leipzig. E. Schür er.

Schlau, Dr. Carl, Die Acten des Paulus und der Thecla

und die ältere Thecla-Legende. Ein Beitrag zur
chriftlichen Literaturgefchichtc. Leipzig 1877, Hin-
richs. (VI, 95 S. gr. 8) M. 3. 60.
Vorftehende, unter Harnack's Anleitung entftandene
Schrift zeichnet fich durch eine verftändige Methode,
durch forgfältige Benutzung des überlieferten Materials
fowie der einfchlagenden Literatur und durch befonnenes
Urtheil aus. Der Verf. behandelt im erften Capitel zu
erft die Uebcrlieferung des Textes und erzählt darnach
den Inhalt der Acten; im zweiten Capitel giebt er eine
kritifche Gefchichte der Acten und der in ihnen erzählten
Legende. Das dritte Capitel befpricht das in den Acten
vorausgefetzte Verhältnifs des Paulus zur Gnofis, den
theologifchen Standpunkt der Acten und die in den-
fclben enthaltene Auffaffung des apoftolifchen Zeitalters,
endlich Ort, Zeit und Zweck der Abfaffung, Quellen, Verhältnifs
zu den neuteftamentlichen Schriften, Verfaffer,
Sprache, Glaubwürdigkeit.

Unter den griechifchen Handfchriften bevorzugt er
wie billig die parifer (ABC) vor dem baroccianifchen Texte
(G) und unter erfteren wieder den cod. C, wenn gleich
ihm felbft nicht entgeht, dafs auch diefe relativ befte
Handfchrift nicht immer das Urfprünglichc bietet. Den
lateinifchen Codex (D) nennt er an zweiter Stelle nach
den parifer Handfchriften. Dagegen urtheilt er über die
von Wright herausgegebenen fyrifchen Handfchriften,
,dafs fie fich vollkommen miffen laffen' (S. 8). Gegen
diefes Urtheil mufs indeffen fchon das hohe Alter der
einen fyrifchen Handfchrift (ö.Jahrh.) Bedenken erwecken.
Allerdings ift die fyrifche Üeberfetzung öfters blofse
Paraphrafe, und zuweilen flehen ihre Lesarten unzweifelhaft
hinter denen der griech. und latein. Handfchriften zurück.
Aber daneben enthält fie wieder eine Menge kleiner Zu-
fätze, welche gewifs urfprünglich find. Vgl. c. 19 die
ausführlichere Erzählung, wie der Thürhüter zum Ge-
ftändnifse gebracht wird; c. 33 Thecla's Gebet im Amphitheater
: die Ausbreitung ihrer Arme in Kreuzesform
(ein auch fonft in den apokryphen Apoftelacten vorkommender
Zug); ebendafelbft die genauere Angabe,
dafs zuerft ein Leopard, dann eine Löwin auf fie gehetzt
worden feien (die Lesart Isövetg x«t uqvjx ift handgreiflich
aus Xebnaqöog entftanden): die Löwin legt fich ihr
zu Füfsen, der Leopard fällt, als er fie angreifen will,
todt zu Boden, c. 35 ift die Gefchichte von den zwei
wilden Stieren wohl ebenfalls urfprünglicher erzählt.
Ebenfo ift es fchwerlich ein fpäterer Zufatz, wenn De-
mas und Hermogenes c. 1 vgl. 16 als Kupferfchmiedc bezeichnet
werden (vgl. 2 Tim. 4, 4. Ldltg~avdoog n xa^~
xsvg). Urfprünglicher ift ferner die flehende Bezeichnung
desrömifchen Statthalters zulconium als qyeftwv, während
im griechifchen Texte dvlrvaazng und rjyeucov wechfcln,
desgl. dafs Tryphäna gleich von vornherein (c. 27) als
Königin eingeführt wird, und diefen Beinamen ftetig führt,
während der griechifche Text dcnfclben nur gelegentlich
bei Erwähnung ihrer Verwandtfchaft mit dem Kaiferhaufe
(c. 36) nachbringt. Anderes über das fich ftreiten läfst,
z. B. die Zahl der Seligpreifungen c. 5, mag übergangen
werden. Während der fyrifche Text aber auf der einen
Seite öfters vollftändiger ift, kennt er andererfeits die (auch
vom Lateiner weggelaffenen) Zufätze c. 44. 45. noch nicht.
Unter diefen Umftänden verdient es Beachtung, dafs der
Syrer c. 14 zum Schluffe nur lieft xert tjiielg oe dtöä^o-
itev rjv keyei oixog cXvüaraaiv, was genau der Frage des
Thamyris c. 13 entfpricht: uvdqeg xlg eociv r> didaoxalla
avrov Unaxi 110t 'Iva y.uytb l'öoi, vgl. c. 12, wonach Paulus
lehren foll, dafs die Bedingung der Aufcrftehung die ge-
fchlechtliche Enthaltfamkeit fei.

Der Verf. verwirft die Anficht von Stilting u. A.,
dafs unfre gegenwärtigen Acten eine Umarbeitung einer
i älteren Schrift feien, ,als eine völlig grundlofe Hypothefe'
j (S. 54). Aber er mufs doch felbft (S. 67) zugeben, dafs
die Erzählung c. 21—23 den Eindruck macht, als ob
i Thecla fofort nach der Vertreibung des Paulus in's Thea-
j ter geführt werde und dann errettet vom Feuer den
! Apoftel auf fuche und finde, während nach c. 24 (c. 23
' Schlufs) alles dies vielmehr einen Zeitraum von fechs
Tagen umfpannt. Ebenfo ift ihm c. 26 mit Recht das
plötzliche Verfchwinden des Paulus aufgefallen, obwohl
hier nicht wie c. 21 von einer gewaltfamen Vertreibung
des Apoftels die Rede ift. Machen fchon diefe Stellen
| den Eindruck eines Excerptes, fo wird man in diefem
Urtheile durch die Erzählung c. 34 nur beftärkt. Nach-
j dem Thecla den auf fie gehetzten wilden Thieren, zu«
! letzt auch noch dem wüthenden Löwen Alexander's
glücklich entgangen ift, heifst es zunächft ziemlich un-
anfchaulich, dafs, während fie daftand und betete, andere
Thiere hineingelaffen worden feien. Da erblickt fie plötzlich
einen mit Waffer gefüllten Graben, in welchen fie
fich ftürzt, um die Taufe zu nehmen, und gleich darauf
heifst es: ai de (füjy.ai ■xvqog do%Qanr)g cpeyyng lönvöai
vexqcd ifcifcXevaav. Aber woher kommt der Waffergra-