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Ausgabe:

Juni/1997

Spalte:

588 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Dannenmann, Bettina Katharina

Titel/Untertitel:

Die evangelische Landeskirche in Baden im Vormärz und während der Revolution 1848/49.

Verlag:

Bern-Berlin-Frankfurt/M.-New York-Paris-Wien: Lang 1996. 390 S. 8° = Europäische Hochschulschriften, Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, 697. Kart. DM 95,­. ISBN 3-631-49593-5.

Rezensent:

Gustav Adolf Benrath

Eine Geschichte der seit 1821 unierten evangelischen Landeskirche in Baden gibt es bisher nicht. Abgesehen von einzelnen Beiträgen ­ zumal in dem Sammelband von Hermann Erbacher (Hrsg.), Vereinigte Evangelische Landeskirche in Baden 1821-1971. Dokumente und Aufsätze (Karlsruhe 1971) ­ hat zwar der rührige Verein für Kirchengeschichte in der Evangelischen Landeskirche in Baden nach dem Zweiten Weltkrieg eine stattliche Anzahl von monographischen Veröffentlichungen (ca. 40 seit 1954) auf den Weg gebracht, von denen sich etwa die Hälfte mit entsprechenden Themen aus dem 19. und 20. Jh. befassen. Aber zu einer umfassenden Darstellung der wechselvollen badischen Kirchengeschichte auch nur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist es bisher noch nicht gekommen. Weitere Untersuchungen sind daher willkommen.

Der Wert der vorliegenden Dissertation beruht nicht so sehr auf der (selektiven) Behandlung des "Vormärz", wo sich die Autorin auf die Sekundärliteratur stützen konnte und bekannten Spuren gefolgt ist, als vielmehr auf dem Hauptteil (115-281) mit der Überschrift "Versuche einer Neuordnung im Verhältnis von Staat und Kirche während der Revolutionszeit", wo sie u. a. auch aus ungedruckten Quellen geschöpft hat, die in Karlsruhe im Generallandesarchiv und im Landeskirchenarchiv reichlich zu finden waren. ­ Die von ihr in Heidelberg und Mannheim eingesehenen Bestände befinden sich in der Universitätsbibliothek und im Universitätsarchiv Heidelberg bzw. im Archiv der Evang. Kirchengemeinde Mannheim, nicht in den Stadtarchiven dieser Städte, wie S. 328 f. irrtümlich angegeben.

In diesem Hauptteil wird vor allem das Ringen um die Lockerung des staatskirchlichen Systems, um eine neue, freiheitliche Kirchenverfassung und um die Trennung des Schulwesens von der kirchlichen Aufsicht beleuchtet ­ Ziele, auf welche die liberalen Kräfte, geführt von Pfarrer Karl Zittel (1802-1871), Mitglied der Zweiten Kammer des Landtags (seit 1842), der Generalsynode (1843) und Abgeordneter der Nationalversammlung in Frankfurt (1848), auch schon vor 1848 jahrelang hinarbeiteten. Während der Revolution von 1848/49 gelangten dann aus der Pfarrerschaft, verfaßt von Georg Friedrich Schlatter, Emil Otto, Wilhelm Friedrich Rinck u. a. sowie aus einigen Kirchengemeinden wie z. B. Lörrach, Heidelberg und Grötzingen, mehrere Vorschläge zur kirchlichen Verfassungsreform an die Öffentlichkeit, an die Regierung und an den ­ damals dem Innenministerium unterstellten ­ Oberkirchenrat, der lange Zeit zögerte, dann aber schließlich durch seinen juristischen Direktor Karl Ludwig Böhme eigene Stellungnahmen ausarbeiten ließ, wonach der Großherzog nicht mehr, wie bisher, Inhaber der Kirchengewalt sein sollte, sondern nur noch das "Haupt" einer sich selbst verwaltenden Kirche (157).

Der Oberkirchenrat trat damit vorsichtig in die Mitte zwischen die liberalen Kräfte, die den landesherrlichen Summepiskopat beseitigen und die Kirchenhoheit der Generalsynode übertragen wollten, und die konservativen, von Aloys Henhöfer bestimmten pietistischen Kräfte, die zwar die bisherige leidige Unterordnung des Oberkirchenrats unter das Innenministerium ebenfalls verwarfen, die volle, unmittelbare Kirchenhoheit jedoch weiterhin dem Landesherrn zusprachen (177) und gleichzeitig die ausdrückliche Rückkehr der Kirche zum reformatorischen Bekenntnis forderten. In der Schulfrage votierten die beiden Gruppen im Landtag entsprechend: Karl Zittel und die Liberalen setzten sich im Sinn der Mehrheit der evangelischen Lehrerschaft für die Abschaffung der kirchlichen Schulaufsicht und für die Einführung der staatlichen Gemeinschaftsschule ein, die pietistische Minderheit hingegen, geführt von Seminardirektor Wilhelm Stern, dem Freund Henhöfers, für den Fortbestand des konfessionellen Schulwesens. Mit der Niederschlagung der Revolution (Juli 1849) verloren jedoch alle diese Pläne ihre Aktualität augenblicklich.

In einem eigenen Abschnitt über "Gerichtliche Untersuchungen und Anklage wegen Hochverrats gegen Geistliche" (243-281) hat die Autorin aus den Gerichtsakten interessante Einzelheiten zum Strafverfahren gegen die 23 an der Revolution beteiligten Pfarrer (von 339 evang. Pfarrern in Baden insgesamt) mitgeteilt: Vier von ihnen wurden schwer bestraft, so die beiden Mitglieder der republikanischen Verfassunggebenden Versammlung Georg Friedrich Schlatter (Mühlbach) und Adolf Gerwig (Hornberg), die trotz eines breit fundierten entlastenden Bittgesuchs ihrer Gemeinden entlassen und zu zehnjähriger Zuchthausstrafe verurteilt wurden.

In der folgenden Reaktionszeit (1849-1860) hatte unter dem bekannten Vermittlungstheologen Carl Ullmann (1799-1865), den der Großherzog zum Prälaten und Direktor des neugebildeten Oberkirchenrats ernannte, die Kirchenverfassungsfrage zugunsten der Bekenntnisfrage in den Hintergrund zu treten. "So blieb alles beim Alten", wie die Autorin als Ergebnis formuliert (320). In der Tat erbrachte erst das Jahr 1860 die lange erstrebte Selbstverwaltung der Kirche und die Einrichtung der staatlichen Schulaufsicht, erst das Jahr 1876 die Einführung der Gemeinschaftsschule.

Der Ertrag der Dissertation hätte vermehrt werden können, wenn die Autorin der Prosopographie der handelnden Personen methodisch nachgegangen wäre. Die dürren biographischen Daten scheinen, manchmal sogar mehrfach und z. T. widersprüchlich wiederholt (z. B. Anm. 412, 610, 1225; 638, 716, 1162), durchweg dem Pfarrerbuch der evangelischen Kirche Badens II (1939) von Heinrich Neu entnommen zu sein, während die wertvollen älteren und neueren biographischen Lexika, Biographien und selbst Bibliographien zur badischen Geschichte nicht berücksichtigt und nicht genannt sind. (Einzelheiten: Anm. 375: Abegg; Anm. 392 und 445 widersprechen sich; S.111 Röhr; Anm. 483: Vf. war J. H. Rieger, vgl. S. 337; S. 218: Haslach; 221: "Mühlingen"?; Anm. 1215: Gaa, Welschneureut, nicht "von Gaa"; Anm. 1313: Vf. war Henhöfer; 1396: Bofsheim; S. 312, Z.7: eilfte).