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Ausgabe:

Mai/2008

Spalte:

548–550

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Biser, Eugen

Titel/Untertitel:

Gotteskindschaft. Die Erhebung zu Gott.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2007. 298 S. gr.8°. Geb. EUR 39,90. ISBN 978-3-534-19689-0.

Rezensent:

Simon Peng-Keller

Mit diesem Buch, das als erster Band einer Trilogie konzipiert ist, legt B. einen essayistischen Beitrag zur christlichen Anthropologie vor. Sein Leitmotiv, die biblische Metapher der Gotteskindschaft, entfaltet B. in sieben prägnant überschriebenen Kapiteln mit je fünf Abschnitten, die ebenfalls mit eingängigen Titeln versehen sind. Dieses strenge Ordnungsraster, das eine ebenso klare inhaltliche Durchführung des Themas erwarten lässt, steht in einem starken Kontrast zu der mehr evokativen als argumentativen Gedankenführung. B. versteht die Gotteskindschaft als christliches Leitbild, das dem Glaubenden das Optimum seines Seinkönnens bzw. seines Seinsollens vor Augen führt. In der Art einer therapeutischen ›Christomathie‹ möchte B. seinen Zeitgenossen, denen er eine akute Identitätskrise attestiert, heimleuchten und dazu die apotropäische Energie nutzen, die seiner Einschätzung nach dem Hochbild der Gotteskindschaft zukommt. Entsprechend versteht B. das Leitwort seiner Studie als einen performativen Begriff, »der nach Art eines Sakraments bewirkt, was er bezeichnet« (155).
Die Genese des Motivs lässt sich nach B. in drei Hauptschritte aufgliedern: Den ersten bildet das prophetisch vermittelte Selbstverständnis Israels als Findelkind Gottes, die kollektive Auserwählung zu einer neuen Form der Gottesnähe und der Beauftragung. Den zweiten Schritt sieht B. in einer in der Sendung Jesu sich ereignenden Individualisierung und Überbietung. Drittens komme es nachösterlich durch die Übereignung der hyiothesia an diejenigen, die den Erhöhten in sich wohnen lassen, zu einer Universalisierung der Gotteskindschaft. Die individuelle und die gemeinschaftlich-ekklesiale Dimension des Rufs, an der Gottessohnschaft Jesu zu partizipieren, sind nach B. gleichursprünglich vermittelt. Das Prädikat der Gotteskindschaft komme, so betont er im Anschluss an J.A. Möhler, dem Einzelnen nur innerhalb des ›Zentralsubjekts‹ der kirchlichen Gemeinschaft zu.
Nach den ziemlich großflächigen historischen Darstellungen B.s, die sich mit vielen Wiederholungen an einigen wenigen Quellen orientieren, kommt es im Laufe der christlichen Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte sowohl zu vorbildlichen Ausprägungen und Vertiefungen des von ihm untersuchten Leitbildes, mehr noch aber zu dessen Verdeckung und Verzerrung. Das Pathos desjenigen, der ein s. E. bisher unterbelichtetes und zukunftsträchtiges Theologumenon zur Geltung bringen möchte, bestimmt B.s Darstellung durchgängig und bisweilen auf störend penetrante Weise. Es führt nicht zuletzt zu einer überscharfen Profilierung der Metapher der Gotteskindschaft gegenüber derjenigen der Gottebenbildlichkeit. Eine Reihe von Inkohärenzen in B.s Argumentation scheinen ebenfalls durch eine an starken Prägnanzen interessierte Rheto­rik bedingt zu sein: So verträgt sich die Rede von der Got­teskindschaft als »Zielbegriff« (33) bzw. von den »Stufen wachsender Selbstaneignung bis zur Höhe der Gotteskindschaft« (189) schlecht mit der Aussage, dass man erst in der Gottes freundschaft zu dem werde, was man als Gotteskind bereits besitze und sei (16). Dies reibt sich wiederum mit der These, dass der Empfang des Lebensstromes aus dem Herzen Jesu »nicht schon auf die Gottesfreundschaft, sondern erst auf die Gotteskindschaft« zutreffe (52). Problematisch ist auch, dass an manchen Stellen der Status des Glaubens als Vorstufe zu demjenigen der Gotteskindschaft be­schrieben wird und B. offensichtlich davon ausgeht, dass nicht alle Glaubenden zu jener höheren christlichen Exis­tenzweise berufen sind. So kann er z. B. schreiben, die paulinische Anfrage an die Korinther in 2Kor 13,5 richte sich »an alle, die ›im Glauben stehen‹, und unter ihnen in erster Linie an die zur Gottes­kindschaft Berufenen« (233).
Diesem engeren Kreis der Berufenen mutet B. einiges zu: Das Werden zum Gotteskind steht im Zeichen des Imperativs, in einer unfriedlichen Welt zu einer gelebten Utopie werden zu müssen (224). Dass das durchaus nicht individualistisch und apolitisch zu verstehen ist, zeigt eine Reihe von zeitdiagnostischen und politischen Stellungnahmen. Die prophetische und zuweilen apokalyptische Zeitdeutung, die sich in kleineren Exkursen entfaltet, neigt allerdings zu überzogenen Bezugssetzungen. Etwa wenn er »in Erinnerung an die auf Verwirklichung drängende Utopie Jesu das europäische ›Einigungswerk‹ als die zumindest partielle Einlösung des von Novalis gegebenen Versprechens« betrachtet, dass die anderen Weltteile auf Europas Versöhnung und Auferstehung warten würden, »um sich anzuschließen und Mitbürger des Himmelreichs zu werden« (257).
B.s Alterswerk, das durch eine Überfülle an Selbstzitaten den Leser an bereits vorliegende Programmschriften erinnert, präsentiert sich auf dem hinteren Buchdeckel als »Opus Magnum und Resümee eines Theologenlebens« und weckt damit Erwartungen, die es nicht zu erfüllen vermag.