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Ausgabe: | Mai/2008 |
Spalte: | 535–537 |
Kategorie: | Kirchengeschichte: Reformationszeit |
Autor/Hrsg.: | Dingel, Irene, u. Günther Wartenberg [Hrsg.] |
Titel/Untertitel: | Politik und Bekenntnis. Die Reaktionen auf das Interim von 1548. Redaktion: M. Beyer, J. Hund, H. P. Jürgens. |
Verlag: | Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2006. 284 S. gr.8° = Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie, 8. Geb. EUR 38,00. ISBN 978-3-374-02492-6. |
Rezensent: | Peter Opitz |
Nachdem in den letzten Jahren ein verstärktes Interesse am Augsburger Interim von 1548 (und seiner Folgezeit) zu beobachten ist, vereinigt dieser Band Beiträge, die auf unterschiedlichen Ebenen nach Reaktionen auf dieses faktisch zwar nur für kurze Zeit geltende, in seinen Wirkungen aber vor allem für den lutherischen Protestantismus folgenschwere kaiserliche Religionsedikt fragen. Er widmet sich damit einem Themenkreis, der bislang eher innerhalb biographischer oder geographisch begrenzter, territorial-geschichtlicher Betrachtung in den Blick genommen wurde, und weitet ihn auf die Ebene des gesamten (lutherischen) deutschen Reichs aus. Dass dies nur exemplarisch geschehen kann, versteht sich von selbst. Der Band ist hervorgegangen aus der sechsten Frühjahrstagung zur Wittenberger Reformation vom 10.–13. März 2005. Die thematisch wie im Blick auf ihren Zugang zum Thema vielfältigen Beiträge gruppieren sich in die drei Themenkreise: 1. Das Augsburger Interim und die Leipziger Landtagsvorlage in ihren Wirkungen, 2. Der Adiaphoristische Streit, 3. der Majoristische und der Synergistische Streit.
Der weitaus umfangreichste erste Themenkreis beginnt mit einem gleichsam die Ausgangslage markierenden Beitrag des vor kurzer Zeit verstorbenen Leipziger Kirchenhistorikers Günther Wartenberg, der die (kirchen-)politischen Ereignisse in Kursachsen nachzeichnet, die zur Leipziger Landtagsvorlage führten, einem Text, der nicht einfach als Werk der Wittenberger Theologen anzusehen ist, der seine Intention als Gesprächsangebot an den Kaiser verfehlte und stattdessen zum Ausgangspunkt heftiger innerlutherischer theologischer Auseinandersetzungen wurde. Timothy J. Wengerts Interpretation von Melanchthons Brief an Carlowitz vom April 1548, der als scheinbare Kapitulation des Praeceptors vor dem Interim und zugleich als Selbstdistanzierung von Luther verstanden und verwendet worden ist, schließt hier an. Genau im gegenteiligen Sinn ist nach Wengert dieser Brief zu verstehen, nämlich im Grunde als Bereitschaftserklärung zum Martyrium. Im Beitrag von Heribert Smolinsky kommen in Gestalt von Cochlaeus und Georg Witzel zwei »altgläubige« Theologen in ihren durchaus unterschiedlich nuancierten Stellungnahmen zu Wort, die allerdings gemeinsam das Recht des Kaisers auf eine solche (Religions-)Gesetzgebung und deren Durchsetzung unterstreichen. Christian Peters zeichnet die biographischen Konsequenzen des Interims für Johannes Brenz, Martin Bucer und Andreas Osiander nach. Er führt eindrücklich vor Augen, welche existenziellen Folgen eine so oder anders beantwortete Frage nach dem sachgemäßen theologischen Erbe Luthers haben konnte, was wiederum Verständnis wecken kann für eine theologische Zeitdeutung aus der Sicht der Betroffenen, in welcher die Wittenberger Theologen keine günstige Rolle zugeteilt erhalten. Am Beispiel Württembergs zeigt Armin Kohnle den Handlungsspielraum für evangelische Fürsten in Süddeutschland auf, aber auch den sehr unterschiedlichen Umgang mit diesem durch Herzog Ulrich von Württemberg einerseits und durch seinen Sohn Christoph andererseits. Das nördliche deutsche Reich wird durch einen Beitrag von Roxane Wartenberg exemplarisch abgedeckt, der sich am Beispiel des Hamburger Superintendenten Johannes Äpinus mit der Reaktion norddeutscher Städte bzw. deren Theologen auf das Interim befasst. Auf Grund der geographischen Distanz ist hier deutlich mehr Gelassenheit im Umgang mit dem Problem möglich als im Süden des Reiches. Volker Leppin beschäftigt sich mit der theologischen Verarbeitung des Interims durch den in Gefangenschaft weilenden Johann Friedrich den Älteren. Dabei kommen die theologisch-existenzielle Seite eines evangelischen »Politikers« und die Ausstrahlung von Luthers »Schmalkaldischen Artikeln«, die in der Situation des Bekennens mehr Kraft zu entwickeln vermögen als die CA, eindrücklich zur Sprache. Abgeschlossen wird der erste Themenkreis durch die Vorstellung des Mainzer Projekts einer Quellenedition zur Bekenntnisbildung und Konfessionalisierung (1548–1580) durch Henning P. Jürgens und durch Dieter Koepplins Interpretation eines Cranacher Mariagemäldes auf dem Hintergrund des Interims.
Der sich dem Adiaphoristischen Streit widmende zweite Kreis wird bestritten von Ernst Koch, Robert Kolb und Charles P. Arnand. Koch zeichnet für Sachsen nach, wie sich an (kirchen-)politischen Problemen und Zwängen Diskussionen über (lutherisch-)theologische Grundfragen entzünden und mit personbezogenen Auseinandersetzungen vermischen. Dabei wird exemplarisch deutlich, welche Bedeutung politische Konstellationen für eine theologische Bekenntnisbildung besitzen können, war doch die Adiaphorafrage, aus welcher sich weitere Kontroversen ergaben, ein durch das Interim unausweichlich zum Thema gewordenes ekklesiologisches Problem. Kolbs Beitrag schließt hier an und untersucht die spätere Phase des Streites, der bekanntlich auch nach dem Augsburger Religionsfrieden keineswegs beendet war, sondern sich nun in gewisser Weise verselbständigt hatte. Durch eine rhetorische Analyse von Artikel XV von Melanchthons Apologie zur CA unternimmt es Arnand, Melanchthons konsistente Haltung auch angesichts des Interims zu erweisen, eine Eigenschaft allerdings, die in Anbetracht der gewandelten Zeiten und Herausforderungen auch ihre problematischen Seiten haben konnte.
Im dritten Themenkreis schließlich geben Irene Dingel und Stefan Michel einen Überblick über den Majoristischen bzw. den Synergistischen Streit. Auch der Majoristische Streit ist eine Folge des Interims bzw. der Wittenberger Reaktion darauf und somit ein aus der Bekenntnisfrage herausgewachsener theologischer Selbstklärungsprozess der lutherischen Reformation. Dazu gehört auch die Frage, inwieweit die CA das lutherische Erbe als Lehr- und Bekenntnistradition hinreichend zu gewährleisten vermag. Analoges gilt für den erst nach 1555 aufbrechenden Synergistischen Streit. Wiederum, und jetzt erst recht, steht Melanchthons spätere Theologie zur Debatte. Theologiegeschichtlich wird im Band damit die Linie ausgehend vom Interim bis hin zum, auch die »Schmalkaldischen Artikel« einschließenden, Konkordienbuch ausgezogen.
Es ist ein bunter Strauß von Einzelstudien, die hier präsentiert werden und die naturgemäß nicht in jedem Fall völlig neue Einsichten vermitteln können und wollen. Durch seine klare thematische Ausrichtung und Bündelung bei gleichzeitiger Vielfalt vermittelt der Band aber gerade in dieser Form ein gelungenes und anschauliches Bild von den vielschichtigen Konsequenzen und Reaktionen individueller, theologischer und politischer Art auf das Interim. Vielleicht ließen sich als implizite Thesen des Gesamtbandes formulieren: Bloßes Theologengezänk waren die vielfältigen Kontroversen der Zeit nicht, dafür waren sie zu eng mit der (gemeinsamen!) Bekenntnissituation verknüpft. Und: Wie die Wirkungsgeschichte der Leipziger Landtagsvorlage unterschied sich auch diejenige des Interims langfristig deutlich von der ursprünglichen Intention ihrer Autoren, trug sie doch wesentlich zur lutherischen Konfessionsbildung und auch »Konfessionskultur« bei.