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Ausgabe:

April/2008

Spalte:

446–448

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Hrsg. von der Gsesellschaft für Religionspädagogik u. dem Deutschen Katechetenverein.

Titel/Untertitel:

Neues Handbuch Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen (BRU-Handbuch). 2., durchges. Aufl.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2006. 686 S. gr.8°. Kart. EUR 44,00. ISBN 978-3-7887-2134-3.

Rezensent:

Erhard Holze

Über 50 % aller jungen Menschen in der Bundesrepublik durchlaufen Bildungsgänge berufsbildender Schulen. Zugleich ist bei keiner anderen Schulform die Heterogenität der Lerngruppen größer als hier: Der Altersfächer, das Spektrum der Nationalitäten und der regionalen Herkunft, die Vielfalt der Religionszugehörigkeit und der Berufs- und Lebensziele sind an den Berufskollegs noch weit größer als an den allgemeinbildenden Schulen. Die Grenzziehung zwischen beruflicher und allgemeinbildender Schule verläuft nicht mehr so exakt wie früher, da berufsbildende Schulen durch neue Bildungsgänge immer öfter auch zu allgemeinen Schulabschlüssen führen; zugleich steht die berufsbildende Schule durch ihre Ausrichtung auf sämtliche Ausbildungsberufe weiterhin so stark im Zentrum der gesellschaftlichen Erwartungen seitens Handwerk, Wirtschaft, Industrie, Gewerkschaften, Bildungspolitik und Kirchen wie keine andere pädagogische Institution. Sie muss in ihrem berufs- wie allgemeinbildenden Auftrag den Veränderungen seit PISA ebenso Rechnung tragen wie den Schülerinnen und Schülern in ihren sich beschleunigenden Kommunikationsbedingungen und wandelnden Lebenswelten.
1997 hatten die Gesellschaft für Religionspädagogik und der Deutsche Katechetenverein, damals gemeinsam mit dem Comenius-Institut, mit dem »Handbuch Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen« wertvolle pädagogische und theologische Impulse zur Bestandsaufnahme, Wahrnehmung und Weiterentwicklung des Religionsunterrichts an berufsbildenden Schulen gegeben. »Acht Jahre sind angesichts des gegenwärtigen bildungspolitischen Tempos eine ›halbe Ewigkeit‹«, begründen im Vorwort (5) die Herausgeber des Neuen Handbuchs die Tatsache, dass das bisherige Handbuch im Jahr 2005 komplett überarbeitet und 2006 in zweiter Auflage vorgelegt worden ist.
Beibehalten wurden die ökumenische Ausrichtung sowie die Gliederung in die zehn Kapitel »Lehrende und Lernende«, »Bildung und Beruf«, »Grundlagen und Bezüge«, »Situationen und Entwick­lungen«, »Erwartungen und Interessen«, »Begleitung und Initiativen«, »Pläne und Intentionen«, »Themen und Wege«, »Chancen und Zugänge« sowie »Medien und Hilfen«. Innerhalb dieser Kapitelstruktur bietet das Neue Handbuch erhebliche Aktualisierungen und Erweiterungen: Einige Beiträge wurden nicht mehr fortgeschrieben, etliche sind gründlich überarbeitet und 50 der 78 Beiträ­ge wurden gänzlich neu verfasst und greifen Themen der ak­tuellen Entwicklung wie z. B. Bildungsstandards, Kirchenpädagogik, und Neurobiologie auf.
Das Augenmerk dieses Neuen Handbuchs liegt auf dem Religionsunterricht, der an dieser gesellschaftlich zentralen Schulform von besonderem Interesse ist: Obwohl immer mehr junge Menschen nicht getauft sind oder keine ausdrückliche kirchliche Bindung haben oder einer anderen Religion zugehören, erreicht der Religionsunterricht an den berufsbildenden Schulen praktisch sämtliche Schülerinnen und Schüler. Die Abmeldequote beträgt weniger als 1 % (231)! Das Interesse und die Ansprechbarkeit junger Menschen im Blick auf christliche Themen, auf Sinn- und Wertfragen, auf die Inhalte des christlichen Glaubens und der anderen großen Religionen ist weiterhin bzw. wieder hoch. Allerdings ist Religion für junge Menschen neben der institutionalisierten Religion oftmals »Zivilreligion, Alltagsreligion, Bedürfnisreligion« (Zilleßen, 128). Neben der Säkularisation des Religiösen gibt es auch eine Sakralisierung des Alltäglichen. Religion in ihrer vertrauten Form verdunstet, um in neuer Gestalt zu kondensieren. Religiosität schwindet nicht, sondern wandelt sich. Diese Transformationen und ihre profanreligiösen Mischformen zu erkennen und wahrzunehmen und dabei im Dialog mit jungen Menschen gesprächs- und anschlussfähig zu bleiben, ist die gegenwärtige Herausforderung für die Theologie und die hohe Alltagskunst der Religionslehrerinnen und -lehrer! Diesbezüglich bieten in diesem Neuen Handbuch insbesondere die Beiträge von Klaus Kießling (»Berufliche Bildung mit religiöser Kompetenz?«, 23 ff.), Dietrich Zilleßen (»Theologie im Berufsschulunterricht«, 126 ff.) und Friedrich Schweitzer (»Die allgemeinbildenden Aufgaben des Berufsschulunterrichts«, 132 ff.) anregende Analysen.
Obwohl Religion und Beruf in der christlich-abendländischen Tradition – vom biblischen Schöpfungsbericht über Paulus und die Reformatoren bis in die Gegenwart – eng zusammengehören und die seit 1921 sog. »Berufsschule« aus der christlichen Sonntagsschule hervorgegangen war, ist das Fach Religionslehre in der Stundentafel dieser Schulform nicht unumstritten. Nicht nur die Abschaffung des Religionsunterrichts durch die Nationalsozialisten wirkt bis heute verunsichernd nach, auch die immer wieder geäußerte Kritik an allen sog. weichen Fächern wie Deutsch, Sport und Politik belastet dieses Fach. Umso erfreulicher ist, dass die ökonomis­tische Forderung, die berufsbildende Schule solle ausschließlich berufsbezogene Bildung vermitteln, in den letzten Jahren deutlich leiser geworden und zunehmend der Einsicht gewichen ist, dass sich die Berufskompetenz eines jungen Menschen nicht allein auf Sachkompetenz beschränkt, sondern eng mit Selbst- und Sozialkompetenz verbunden ist. Berufliche Bildung ist auch Allgemeinbildung – oder sie ist keine Bildung. Entsprechend positiv würdigen in diesem Neuen Handbuch Spitzenvertreter des Handwerks (Anne Dohle, 229 ff.), der Arbeitgeberverbände (Jochen F. Kirchhoff, 227) und des deutschen Gewerkschaftsbundes (Norbert Wichmann, 232 ff.) die Bedeutung des Religionsunterrichts an berufsbildenden Schulen als unverzichtbare Orientierungs- und Entscheidungshilfe für den privaten und beruflichen Lebensbereich.
Den Herausgebern, dem Redaktionskreis und den 78 Autorinnen und Autoren aus Pädagogik, Theologie, Schule, Kirche, Bildungspolitik und Verbänden ist es gelungen, über den Berufsschulreligionsunterricht in seinen vielen Dimensionen und Aspekten einen vielseitigen, informativen und anregenden Überblick zu geben. Dieses Neue Handbuch ist ein vielseitiges Grundlagenwerk, dem gerade deshalb für die nächste Auflage sehr zu wünschen ist, dass es wieder mit einem Namen- und Sachregister versehen wird.