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Ausgabe:

April/2008

Spalte:

430–431

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Hagmann, Gerald

Titel/Untertitel:

Ökumenische Zusammenarbeit unter einem Dach. Eine Studie über evangelisch-katholische Kirchen- und Gemeindezentren.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2007. 355 S. gr.8° = Arbeiten zur Praktischen Theologie, 32. Geb. EUR 38,00. ISBN 978-3-374-02477-3.

Rezensent:

Thomas Klie

Das Thema Kirchenraum hat Konjunktur in der Praktischen Theologie. Arbeiten zur Kirchenpädagogik, zum liturgischen Raum und zur Kunst in der Kirche markieren einen Gegenstandsbereich, der lange kaum praktisch-theologische Forschungsinteressen band, nun aber publikationsstark in Erscheinung tritt. In seiner Bochumer Dissertation legt Gerald Hagmann eine explorative Studie zu den 70 ökumenischen Gemeindezentren in Deutschland vor. Bei diesem sehr speziellen und bis dato kaum untersuchten Gegenstand verschränken sich Fragen zur Praxis evangelisch-katholischer Kooperation mit Raumkonzeptionen und im weitesten Sinne kybernetischen Fragestellungen. Intendiert ist, die »gegenwärtigen Bestrebungen zur ökumenischen Raumnutzung auf eine wissenschaftliche Basis zu stellen« (19). Die Arbeit gliedert sich in drei große Abschnitte: Im ersten Teil werden auf etwa 80 Seiten der Gegenstand, seine (kurze) Geschichte sowie die Analyseinstrumente erläutert, der Hauptteil widmet gut 130 Seiten der Darstellung von drei exemplarisch ausgewählten Gemeindezentren in Nord­rhein-Westfalen: Meschede-Gartenstadt, Recklinghausen-Hilterheide, Essen-Kettwig. Im Anschluss daran formuliert der Vf. ein 20-seitiges Fazit in ökumenischer Perspektive. Interessant ist der umfangreiche Materialanhang (Interviewleitfäden, Musterverträge für die ökumenische Nutzung sowie eine Thesenreihe zu den ökumenischen Zentren).
Zwar gibt es derzeit eine kaum überschaubare Anzahl ökumenisch genutzter Sakralräume, wie z. B. Stilleräume in Krankenhäusern, Schulen, Justizvollzugsanstalten oder Autobahnkapellen – hier dagegen werden als ökumenische Kirchen- und Gemeindezentren nur »eigenständige Baukomplexe bezeichnet, die als regelmäßige Versammlungsorte von mindestens zwei Kirchengemeinden dienen, von denen mindestens eine die Parochialgemeinde einer evangelischen Landeskirche oder der römisch-katholischen Kirche ist, also volkskirchlichen Charakter hat« (23). Obwohl historisch die Vorläufer dieser konfessionellen Kooperativen in den sog. Simultankirchen aus dem 16. und 17. Jh. zu sehen sind, arbeitet der Vf. hier mit Recht eine andere Wirkungsgeschichte heraus: das Konzept des Vereins- bzw. Gemeindehauses aus der Gründerzeit, das in den Jahren 1960–1980 unter anderen gesellschaftlichen Bedingungen rezipiert und fortgeschrieben wurde.
Das Ergebnis der eingehenden Studie fällt im Hinblick auf Fortschritte bei den Bemühungen um eine ökumenische Zusammenarbeit vor Ort einigermaßen ernüchternd aus. Die räumliche Nähe schafft zwar insgesamt eine Intensivierung des gemeinsamen Gesprächs und der gegenseitigen Wahrnehmung, sie lässt die kontroverstheologische Auseinandersetzung aber auch umso deutlicher hervortreten: an erster Stelle wie zu erwarten das nach wie vor ungelöste Problem der eucharistischen Gemeinschaft. »Wo ökumenisch unter einem Dach zusammengearbeitet wird, schärft sich das konfessionelle Profil« (252). Dagegen scheint der pragmatische Nu­tzen enorm: eine effizientere Raumnutzung, Personalkostenersparnis (beim nicht-geistlichen Personal) und Einsparungen bei der Raumpflege und der Instandhaltung. Ökumenische Zentren fördern also keineswegs a priori den ökumenischen Dialog, sondern umgekehrt: Ohne vorlaufenden ökumenischen Dialog ist eine räumliche Kooperation von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Euphorie der 60er und 70er Jahre ist mit der sie tragenden Generation einer eher schleichend-pragmatischen Re-Konfessionalisierung gewichen.
Auch negative Ergebnisse sind natürlich wichtige Ergebnisse. Die Konsequenzen werden hier allerdings nicht recht deutlich gemacht. Es sind hier mit großem Fleiß Daten erhoben, Stimmungen notiert und Fakten aufgeordnet worden, die sich leider nur an wenigen Stellen zu einer systematischen Theoriebildung verdichten. Dies ist insofern ein gewisses Manko der vorliegenden Arbeit, als gerade an diesem exponierten Gegenstand dogmatische und ökonomische, zeitdiagnostische und religionsästhetische Fragen in hohem Maße korrelieren. Dieses komplexe Diskursbündel neutralisiert sich nicht wie in der Tagungs- und Konsensökumene, sondern es mündet in der konkreten Situation »unter einem Dach« in pragmatische und damit wohl auch sehr realistische Deutungen der nach wie vor vorhandenen ökumenischen Aporien. Gerade das aber macht dieses Buch zu einem lesenswerten Buch.