Recherche – Detailansicht
Ausgabe: | April/2008 |
Spalte: | 381–383 |
Kategorie: | Neues Testament |
Autor/Hrsg.: | Novakovic, Lidija |
Titel/Untertitel: | Messiah, the Healer of the Sick. A Study of Jesus as the Son of David in the Gospel of Matthew. |
Verlag: | Tübingen: Mohr Siebeck 2003. XII, 231 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 170. Kart. EUR 49,00. ISBN 3-16-148165-8. |
Rezensent: | Ji ˇrí Mrázek |
Für das Matthäusevangelium ist kennzeichnend, dass Jesus im Zusammenhang mit einer Reihe von Heilungen als Sohn Davids angesprochen wird. Fraglich ist, ob hier Matthäus an eine ältere Tradition anknüpft oder die zeitgenössischen Erwartungen ad hoc auf das Bild Jesu übertragen hat. Die Hauptthese des Buches ist, dass Matthäus von keiner vorgegebenen Überlieferung ausgeht, sondern dass er eine vereinzelte Bemerkung aus Mk 10,47 f. breiter ausführt. Während Markus die Anrede Sohn Davids eher ad hoc verwendet hat – als Vorwegnahme des nachfolgenden Einzugs in Jerusalem –, wird die Bemerkung von Matthäus zu einer vollständigen Tradition des heilenden Sohns Davids ausgeweitet. Und zwar so, dass diese Tradition mit den zeitgenössischen Erwartungen vereinbar und für das jüdische Ohr überzeugend ist.
Im Zuge der Verteidigung dieser These untersucht N. zunächst die den messianischen Sohn Davids betreffenden alttestamentlichen und frühjüdischen Überlieferungen und stellt fest, dass alle verfügbaren Belege jener Überlieferungen auf die Verheißung von 2Sam 7 zurückzuführen sind. Drei Elemente seien für diese Tradition konstitutiv: die davidische Abkunft, die Vater-Sohn-Beziehung zwischen Gott und dem davidischen König und die Fortdauer (Perpetuität) seiner Herrschaft. Matthäus bezieht die ersten zwei Komponenten schon im ersten Kapitel auf Jesus, doch genau anders herum als erwartet: Jesus ist nicht Nachkomme Davids, der zum Sohn Gottes adoptiert worden wäre, sondern – im Gegenteil – er ist von Anfang an Sohn Gottes und wird erst durch Josef in den davidischen Stammbaum adoptiert. Das dritte und letzte Element war schon für die frühere jüdische Überlieferung problematisch: Die verheißene Beständigkeit der davidischen Herrschaft kollidiert mit der ihr gänzlich widersprechenden geschichtlichen Realität. Während der kompromisslose Traditionsstrang auf der Unbedingtheit der Verheißung beharrt (Ps 89,34; Jer 33,14–29 u. a.), kann dem anderen Strang zufolge die Dauerhaftigkeit der davidischen Herrschaft durch Sünde gefährdet werden, und zwar entweder durch Sünde eines amtierenden davidischen Herrschers, oder aber– weitergedacht – durch Verstöße seines Volkes (Ps 132,12; Sir 49,4 f. u. a.). Und hier – so N. – knüpft Matthäus an, der gleich im ersten Kapitel ankündigt, dass Jesus sein Volk von seinen Sünden retten wird, was freilich keineswegs zu den geläufigen messianischen Vorstellungen gehörte. Wenn es nach Matthäus ein Verhältnis zwischen Sünde und Krankheit gibt (wie mit Mt 9,1–6 belegt wird), dann gilt von der Heilung des Volkes zweierlei: Sie eröffnet die Möglichkeit einer messianischen Herrschaft und gilt bei Matthäus als Bestandteil der Sendung des davidischen Messias.
Es bleibt noch, andere Auslegungsmöglichkeiten zu eliminieren. N. polemisiert besonders gegen die Interpretation, die den Topos des heilenden Sohns Davids an die Volksüberlieferung über Salomo als Exorzist anschließen lässt: Es fehlen eben die exorzistischen Ingredienzen, die für diese Volkstradition bezeichnend sind; Matthäus vermeidet ja sichtlich Exorzismen, wo immer es möglich ist. Danach schließt N. auch die Eventualität aus, dass hier die davidische Tradition mit dem (Vor)Bild Moses als Prophet zusammenschmelzen würde. Schließlich untersucht sie, wie Matthäus seine Version der davidischen Erwartungen durch ihre Rückbindung auf das Alte Testament untermauert.
Das Buch ist recht übersichtlich geschrieben und auch hinsichtlich der Art und Weise wertvoll, wie es in die bisherige Fachdiskussion einführt. N. zeigt eine tiefe Einsicht in das Thema und weiß den Text mit einer sehr soliden und vorwiegend auch sehr überzeugenden Argumentation auszustatten.
Nicht immer ist freilich klar, ob sie den Sohn Davids als den von Matthäus angebotenen Schlüssel auffasst, der zum richtigen Verständnis von Jesus führt, oder ob dies nur die Meinung der Figuren der Szene ist, von welcher Matthäus leicht Abstand nimmt (vgl. Mt 12,23; 21,9, hier erinnert N. daran, dass es sich um eine Meinung der Menge handelt und nicht um die Überzeugung Jesu und seiner Jünger). Früher oder später fragt sich der Leser, ob es nicht etwas zu viel ist: ob man hier nicht allzu einseitig alles auf einen Nenner bringen möchte bzw. die davidischen Motive nicht auch dort sieht, wo es Matthäus selbst gar nicht eingefallen wäre. N.s Buch ist allerdings immer wieder und in jedem Detail überzeugend. Es stellt jedenfalls einen sehr gründlichen und sympathischen Beitrag zur Erforschung des Matthäusevangeliums und der Messiasvorstellungen im frühen Judentum und Christentum dar.