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Ausgabe:

November/1997

Spalte:

1033–1035

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Frenken, Ansgar

Titel/Untertitel:

Die Erforschung des Konstanzer Konzils (1414–1418) in den letzten 100 Jahren.

Verlag:

Paderborn: Schöningh 1993. 512 S. gr.8° = Annuarium Historiae Conciliorum, Jg. 25, Heft 1/2. ISBN 3-506-59462-1.

Rezensent:

Josef Wohlmuth

Die von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln im Sommersemester 1994 angenommene Dissertation von A. Frenken. reiht sich ein in die Erforschung der beiden wichtigsten Konzilien des 15. Jh.s. Nachdem Johannes Helmrath vor fast zehn Jahren eine bedeutende Arbeit über das Konzil von Basel vorgelegt hat, folgt nun ein großer Forschungsbericht über das Konzil von Konstanz. Der Vf. versteht seine Arbeit als "Baustein für eine noch zu schreibende umfassende Forschungs- und Rezeptionsgeschichte des Konstanzer Konzils" (11). Es geht somit um eine "Historiographie ... unter forschungs- und rezeptionsgeschichtlichen Aspekten" (16), über die die Akten noch nicht geschlossen sind, auch wenn in den Archiven kaum noch großes Quellenmaterial zu finden sein dürfte. Da F. eine andere Richtung verfolgt, vermittelt er auch gar nicht den Eindruck, sich auf neue Materialsuche begeben zu haben. Seine Arbeit beschreibt vielmehr minutiös den Forschungsgang der letzten Jahrhunderte und endet in allen fünf Einheiten jeweils bei der Gegenwart.

Die Arbeit beginnt in ihrem ersten Teil mit einer ausführlichen Darstellung des großen Mediävisten Heinrich Finke und seiner Freiburger "Schule". Offensichtlich hat der Vf. an dieser bedeutenden Forscherpersönlichkeit ein besonderes Interesse gefunden. Finke wird nämlich nicht nur als der allseits bekannte Herausgeber wichtiger Quellentexte zum Konzil von Konstanz vorgestellt, sondern auch als großer Historiker, der ­ obwohl Autodidakt ­ das Vorurteil zu überwinden half, daß ein katholischer Forscher in seiner Wissenschaft allzusehr von kirchlichen Prämissen beeinflußt sei, und der u. a. auch (von 1924 bis zu seinem Tod 1938) Präsident der Görres-Gesellschaft war. Die Darstellung geht so liebevoll ins Detail, daß man das Großthema der Arbeit fast aus den Augen verlieren könnte (vgl. 17-89). Demgegenüber fällt der Blick auf die Historiographie in den romanischen Ländern wesentlich kürzer aus (91-118), aber die Arbeit kann auch überzeugend vermitteln, daß die nationalfranzösische Perspektive von Noël Valois nicht auf einer Forschung im Ausmaß Finkes beruht. Die spanische Forschung (G. Gaztambide und S. Fernández) geht zu Valois durchaus in Distanz,.wie der Vf. zeigt.

Die dritte Einheit ist die umfangreichste (91-357). Hier werden die Verhandlungsgegenstände des Konzils vorgestellt. In der "causa unionis" geht es um die Absetzung der drei Papstprätendenten, um das Konstanzer Konklave und um die Union mit den Griechen. Wird letztere nur kurz angeschnitten, so erfährt die Frage nach der Beendigung des Schismas eine ausführliche Behandlung. F. stößt hier zum ersten Mal auf die dezidierte Position Brandmüllers, der dafür plädiert, Papst Johannes XXIII. sei nicht abgesetzt worden, sondern er sei zurückgetreten.

Daß dies mit einer ganz bestimmten Gesamtsicht des Augsburger Konstanzexperten zusammenhängt, wird S. 136 bemerkt: Der höchste Souverän der Kirche könne nicht abgesetzt werden, er trete selbst zurück. Schon hier erhält der Leser den Eindruck, daß das Erscheinen des ersten Bandes von Brandmüllers Geschichte des Konzils von Konstanz F.s Arbeit nicht erleichtert hat. (vgl. 400-417, wo ausführlicher und durchaus vornehm-kritisch und auf dem Hintergrund von Miethkes Rezension auf Brandmüller eingegangen wird; vgl. auch das eigenartige Schwanken bei der Beurteilung der Vorgänge 163 f.).

Bezüglich der "causa fidei" werden der Prozeß gegen Jean Petit und dessen Rechtfertigung des Tyrannenmordes (181-205), die Auseinandersetzungen zwischen Polen und dem Deutschen Orden und der Prozeß gegen Johannes Falkenberg (207-238) und natürlich "Jan Hus auf dem Konstanzer Konzil" behandelt. (245-292/297) Da der "Fall Hus" bis heute seine Nachwirkung hat und die Verbrennung von Hus in Konstanz auch für die politische und kirchliche Entwicklung der böhmischen Lande von großer Bedeutung war, ist die ausführliche Darstellung sehr begrüßenswert.

F. spricht sich klar dafür aus, daß Sigmund das Versprechen des Geleits gebrochen hat (266). Die Thesen Paul de Vooghts und Loserths werden eingehend besprochen, wobei sich Vf. der Meinung Meuthens anschließt, daß die Rettung von Hus als einem durchaus katholischen Theologen "keinen allgemeinen Beifall gefunden" hätte (277). In der Frage, ob es sich bei der Verurteilung von Hus um ein Justizverbrechen handelte, gehen die Meinungen weit auseinander. Wollten die großen Konziliaristen hier ihre Rechtgläubigkeit unter Beweis stellen (De Vooght) oder ging es um ein faires Verfahren (Brandmüller) (vgl. 284 f.)? Der Vf. hält sich zurück: "Ob damit ein unter diesen Bedingungen geführter Prozeß so ohne weiteres als unfair bezeichnet werden kann, sofern dessen Ablauf den Regeln der damaligen Zeit entsprochen hat, bleibt fraglich" (286). Wenn zutrifft, daß Hus "mit dem Kirchenverständnis der Konzilsväter" (291) nicht übereinstimmte, und natürlich eine Reihe von Gründen vorgebracht werden können, warum Hus nicht nur Freunde hatte, bleibt immer noch die Frage, die allerdings über das strenge Urteil eines Historiographen hinausgeht, ob die Übergabe zur Verbrennung eine wirklich angemessene Antwort des Konzils war.

Bezüglich der "causa reformationis" (299-344/357) wird der Kirchenrechtler B. Hübler, der das Reformwerk des Konzils in vieler Hinsicht herausstellte, eingehend gewürdigt. Brandmüller äußerte sich zur Konstanzer Reform eher skeptisch. Sie sei "zutiefst unbefriedigend" (329). K. A. Fink, der in der Arbeit wiederholt begegnet, wird im Kontext seiner Einschätzung der Reform auch in seiner wissenschaftlichen Biographie kurz vorgestellt (332-333). Interessant finde ich die Hinweise auf die Rolle der Orden im Reformbemühen des Konzils und seiner Zeit (339-342).

Sinnvollerweise wird auch die Bewertung des Dekrets "Frequens" im Kontext der Reformfrage behandelt. Ging es ihm um eine Strukturreform der Kirche, wie die einen meinen (Hübler, Fink) oder um eine vorübergehende Notmaßnahme (Jedin, Brandmüller)? Der Vf. scheint sich der zweiten Interpretationsrichtung anzuschließen (344). Unter den drei Exkursen ist ohne Zweifel der Exkurs über die "Nationen" in Konstanz zur Beseitigung von Mißverständnissen besonders aufschlußreich (352-357).

Die vierte Einheit behandelt das Konzil von Konstanz vom Zweiten Vatikanum her gesehen, wobei natürlich die Interpretation der Dekrete "Haec sancta" und "Frequens" noch einmal zur Debatte stehen müssen (359-389). Nicht nur die Namensnennung des Konzilspapstes des Zweiten Vatikanums, sondern auch das Konzilsfieber der beginnenden 60er Jahre haben hier die Wogen hochgehen lassen. Wieder ist es Paul de Vooght, der den entscheidenden Anstoß gab und der weitgehend von Hans Küngs "Strukturen der Kirche" (vgl. Zusammenfassung der These 369) übernommen wurde. Hier wird auch der Vermittlungsvorschlag von H. Riedlinger ins Gespräch gebracht (381-383). Handelt es sich bei "Haec sancta" um ein "situationsgebundenes Dekret", wie es nach O. Engels die Zeitgenossen sahen, oder um eine Strukturentscheidung? Geht es dem Konzil um eine Notstandslösung (Hollnsteiner, Jedin)? Der Vf. kommt zu dem Ergebnis, die Ablehnung der Notstandstheorie habe sich in der Forschung nicht durchsetzen können (389).

Die fünfte Einheit widmet sich schließlich der neueren Entwicklung der Konstanz-Forschung, wobei die Freiburger Veröffentlichung zum 550. Jubiläum und die Forschungen von Walter Brandmüller im Mittelpunkt des Interesses stehen. Die Arbeit endet mit einer umfassenden Bibliographie von 70 Seiten zum Konzil von Konstanz sowie mit einem Register der Orts- und Personennamen und einem Sachregister.

Der Wert der Arbeit für die weitere Forschung des Konstanzer Konzils kann nicht hoch genug angesetzt werden. Da ich mich als Dogmatiker mit diesem Konzil beschäftigt habe, ging es mir bei der Lektüre von Frenkens Arbeit ähnlich wie seinerzeit bei Johannes Helmrath: Hätte ich eine solche Arbeit nur für meine eigenen Interpretationen voraussetzen können!

Ich habe nicht überprüft, ob bei der Fülle der Literatur, die hier besprochen wird, wirklich das Ideal der Vollständigkeit verfolgt wurde. Ich hätte mir natürlich gewünscht, daß mein eigener Interpretationsversuch wenigstens ­ wenn auch noch so kritisch ­ zur Kenntnis genommen worden wäre. (Vgl. G. Alberigo [Hrsg.], Geschichte der Konzilien. Düsseldorf 1993, ital. 1990) G. Alberigos "Chiesa conciliare" hätte, zumal bezüglich der Interpretation von "Haec sancta", m. E. eine ausführlichere Würdigung verdient. Manche vornehmen Anfragen an Brandmüllers ersten Band könnten vielleicht auch Beachtung in der Fortsetzung der Historiographie dieses Konzils finden.

Die vorliegende Dissertation kann jedenfalls in Zukunft niemand übergehen, der sich mit dem Konzil von Konstanz historisch oder auch dogmatisch befassen wird.